Vor den Wahlen 99: Die belgischen Parteien
Malte Woydt  Parti Social Chretien (PSC)  und Mouvement des Citoyens pour le Changement (MCC) Volksunie und ID21
 
Die GESCHICHTE der PSC begann um 1840 mit der katholischen Opposition gegen die liberale Alleinherrschaft, die 1868 in einer formellen Parteigründung ihren Ausdruck fand. Einst politischer Arm der katholischen Kirche ohne große Eigenständigkeit, wurde sie 1945 zu einer (zumindest theoretisch) überkonfessionellen christdemokratischen Partei mit Einzelmitgliedschaft und beschlußfassenden Parteitagen. Die Abspaltung des flämischen Teils der Partei als CVP in Folge der Spaltung der (katholischen) Universität Löwen im Jahre 1968 ließ die PSC heftig zusammenschrumpfen. Saßen doch ihre WählerInnen schon vorher hauptsächlich in Flandern. Seitdem hat die PSC nie aufgehört WählerInnen zu verlieren, im Zuge der Säkularisierung sterben der Partei ihre AnhängerInnen weg. Allerdings kann sie sich darauf verlassen, von der großen Schwester CVP immer wieder in die Regierung gehievt zu werden.

Als eine Partei, die seit 1945 ununterbrochen an der Regierung ist, ständig an "belgischen Kompromissen" mitgefeilt und Pragmatismus zur Doktrin erhoben hat, ist an der PSC fast keine spezifische PROGRAMMATIK mehr auszumachen. Sie sieht sich sozusagen als "Mitte der Mitte". Einzige Hoffnung kann für sie ein neuer Schulstreit sein. Es gibt viel mehr Leute, die ihre Kinder auf einer katholischen Schule haben, als die PSC WählerInnen hat. Und immer dann, wenn Liberale und Sozialisten Autonomie oder Finanzierung der katholischen Schulen bedrohen, scharen sich die Eltern um die PSC.

In puncto EUROPA heißt es für die PSC schlicht "Weiter so" im Sinne Dehaenes und Kohls. Sie ist (wie die CDU) Mitglied der EVP.

In BRÜSSEL ist die alte Dame PSC keine Großpartei mehr, hat 7 Abgeordnete im 75 Köpfe umfassenden Regionalparlament, und ist ebenso wie in der Wallonie in der Opposition. Sie will das multikulturelle Zusammenleben fördern und der Expansion der EU-Institutionen möglichst wenig Steine in den Weg legen.

Was macht ein Parteivorsitzender, der bei dem von ihm als Generationswechsel inszenierten Abtritt zu seinem Entsetzen von seinem (noch älteren) Vorgänger abgelöst wird? Gérard Detrez gründete mit dem Mouvement des Citoyens pour le Changement (MCC) eine Partei in der Partei, wurde von der PSC daraufhin im Januar 1998 ausgeschlossen, woraufhin die MCC sofort eine richtige Partei wurde, mit der er jetzt auch zu den Wahlen antreten wird. Hauptthemen: Benachteiligung und Unterentwicklung der Wallonie beenden, Einführung von Volksentscheiden.

Inzwischen hat sich die MCC der liberalen PRL angeschlossen. Das dürfte die Strategenköpfe in der PSC kurzzeitig zum Rauchen bringen. Schließlich hatte man dort auch schon eine KOALITIONSAUSSAGE zugunsten der PRL in der Schublade. Angesichts der Umfrage-Schwindsucht der skandalgeschüttelten regierenden Sozialisten rennt alles im Kreis. Vor einigen Monaten hatte die PSC Ecolo noch zum "Bündnis der Fortschrittlichen" aufgerufen. Noch bevor sich jene eine Antwort überlegt hatten, war sie wieder zur PRL abgezischt. Aufgeregtes Hin-und-Her, das sich bis zur Wahl noch tausendmal ändern kann. Für die Vertreter der traditionellen Parteien beschränkt sich Politik hier oft einzig auf taktische Spielchen.

Bekannte NAMEN aus den Reihen der PSC umfassen den neuen Vorsitzenden Philippe Maystadt, die graue Eminenz Charles-Ferdinand Nothomb, die ewige Verliererin vom rechtskonservativen Flügel Joëlle Milquet, den wegen der Dutroux-Affäre schwer angegriffenen früheren Justizminister und jetzigen Europarichter Melchior Wathelet, Verteidigungsminster Jean-Pol Poncelet und Finanzminister Jean-Jacques Viseur.
 


Philippe Maystadt
Charles-
Ferdinand Nothomb

Joëlle Milquet
Melchior Wathelet Jean-Pol Poncelet Jean-
Jacques Viseur
Gérard Detrez

Seit 15 Jahren kommt die PSC aus dem Sich-Neugründen nicht mehr hinaus. Alle paar Jahre ruft ein neuer Vorsitzender zur Erneuerung der Partei auf, erfindet ein neues Outfit und scheitert aufs Neue an der lethargischen Parteibasis. Der letzte Schrei: "Die neue PSC" mit einer winkenden (linken) Hand im Parteisymbol - das soll mehr Wähler bringen als die 7,7 % vom letzten Mal. Die Umfragen lassen aber keinen "Effekt Maystadt" erkennen, auf den die Partei so hofft. Sicher scheint nur, daß die PSC auch in der nächsten Regierung vertreten sein wird. Wie immer.

Malte Woydt

Brüssel-Rundschau 11.12.1998

  (c) Malte Woydt & Brüssel-Rundschau 1998

Links PSC-Homepage 
zum Thema: MCC-Homepage