Malte Woydt
Prämonstratenserabtei Obermarchtal
unveröff. Seminarexposé
1995
I. Historischer Abriß
Der Name Marchtal wird heute vom alemannischen "marach" (Mähre)
abgeleitet, frühere Deutungen kamen auf "Grenzsiedlung" (March=Mark).
Um 770 von den fränkischen
Halahofingern gegründet, als Teil der Bemühungen, die alemannischen
Gebiete an die fränkische Krone zu binden, deren Christianisierung abzuschließen
und die Donautalstraße als wichtigen Aufmarschweg gegen Bayern zu sichern.
Das erste Kloster hatte nur kurzen Bestand, da die alemannischen Bertholde die
Stiftung nicht anerkannten, als sie die Besitzungen wieder übernahmen.
vor 993: In der Folgezeit entstand in Marchtal eine Burg, die im 10. Jh. den
Herzögen von Schwaben gehörte. Diese errichteten im Burgbezirk ein Kanonikerstift.
Bis Ende des 12. Jh. waren allerdings die diesem wohl zugedachten Pfründen
von verschiedenen schwäbischen Adelsfamilien behauptet, so daß es nur
sehr beschränkt lebensfähig war.
1171 soll nach dem Zeugnis im 13. Jh. gefälschter Urkunden angeblich
die Neugründung des Stiftes erfolgt sein. Gesichtert ist nur, daß die
Stiftung auf Betreiben Elisabeths von Bregenz in den Siebziger Jahren des 12.Jh.
erfolgte. Es war Ableger des Klosters Rot an der Rot und somit ein Prämonstratenserstift.
Die zahlreichen Urkundenfälschungen aus der Amtszeit Probst Walter von Schmalstetten,
der auch mit seiner "Historia Monasterii Marchtalensis" für viel Verwirrung
gesorgt hat, stehen im Zusammenhang mit dem kämpferischen Bemühen des
Klosters, die früheren Pfründe zurückzuerobern, was auch in bemerkenswertem
Ausmaß gelang. Bis zu einem 1273 vom damaligen Probst ausgesprochenen Aufnahmeverbotes
für Chorfrauen war Obermarchtal ein Doppelstift für Chorherren und -frauen.
Der Prämonstratenserorden erhielt seinen Namen vom Gründungsort Premontré
(Praemonstratum = ödes Felsental). Nach dem Ordensgründer Norbert wurden
seine Mitglieder auch Norbertiner oder nach ihrem Habit die weißen Mönche
genannt.
1440 wurde Marchtal zur Abtei, 1500 zur Reichsabtei erhoben und 1609 erhielt
der Abt das Recht zur Führung der Pontifikalien.
1674-1756 entstand die heutige Klosteranlage. 1674 vereinbarten Abt Nikolaus
und Baumeister Tommaso Comacio, daß Kirche und Konventsgebäude völlig
neu errichtet oder umgestaltet werden sollten, was im ersten Anlauf aufgrund finanzieller
Nöte nicht weit gedieh. 1685 hatte sich die Lage soweit wieder entspannt,
daß man mit dem Bau der Kirche beginnen konnte, auf die dann bis 1756 die
anderen Gebäude folgten.
1803 fiel Obermarchtal an die Fürsten von Thurn und Taxis, die von hier
aus ihre in der Region neu erhaltenen Besitzungen verwalteten, nachdem sie das
Stift aufgelöst hatten.
1919 gewährte der Fürst von Thurn und Taxis
aus Böhmen geflohenen Salesianerinnen im ehemaligen Konventgebäude Unterkunft.
Sie unterhielten hier bis 1992 eine Realschule für Mädchen.
1973 kaufte die Diözese Rottenburg-Stuttgart die Anlage, um dort ab 1978
eine Akademie zur Lehrerfortbildung zu unterhalten.
II. Bauliche/kunsthistorische Besonderheiten
Gesamteindruck
Obermarchtal ist eine geschlossene, voll erhaltene Klosteranlage. Zu Beginn der
barocken Bauperiode, deren Produkte wir heute ausschließlich sehen, war
die damals noch aus dem 13.Jh. stammende Kirche der baufälligste Teil der
Anlage, weshalb man beim Neubau außergewöhnlicherweise mit der Kirche
(1686-1701, Michael und Christian Thumb, Franz Beer) begann. Bei den meisten vergleichbaren
Neubauprojekten hatte man mit den Klostergebäuden begonnen, und sich solange
mit den alten Kirchen beholfen, bis man zur Krönung des Neubaus eine alles
dominierende Kirche hinzufügte. Hier folgte man schon einem anfangs festgelegtem
Plan, dennoch ließ es sich nicht verhindern, das die späteren Bauten,
darunter insbesondere der Ostflügel (1746-1756, Johann Caspar Bagnato), der
Kirche die Dominanz verwehren.
Kirche Auffällig ist an dieser Kirche, daß ihre eigentlich sehr
gedrungene, kompakte Gestalt durch die Ausgestaltung des Innenraumes aufgehoben
wird. Sie ist ein Musterbau des "Vorarlberger Münsterschemas", definiert
als "Hallenkirche mit zweigeschossiger Aufteilung der Seitenschiffe in Kapellen
und Emporen, wodurch der räumliche Hauptakzent auf das Mittelschiff fällt",
weitere Merkmale sind "ein mäßig ausgeprägtes Querschiff und ein
Chor, der seitlich von geschlossenen Kapellen, darüber offenen Emporen begleitet
ist." Auffällig ist dazu zum einen die Deckengemälde völlig ersetzende
aufwendige Stuckdecke von Franz Xaver Schmuzer, zum anderen die dort und in der
unteren Fensterreihe vorkommende Betonung der ovalen Form. Die außergewöhnliche
Stellung der beiden den Chor flankierenden Türme ist unter anderem darauf
zurückzuführen, daß noch bis weit ins 18. Jahrhundert der Turm
der alten Kirche an der Nordwestecke des Langhauses stand.
Refektorium In der Form eines Spiegelsaales angeblich der "festlichste Saal
an der ganzen Barockstraße", 1750 im beginnenden Rokoko eingerichtet. Vor
der Renovierung 1950 wurde dieser Saal für 150 Jahre als Lagerraum für
das Thurn und Taxissche Archiv genutzt worden.
Kapitelsaal Besondere Bedeutung wird in der Literatur ferner das hintere Chorgestühl
im Kapitelsaal beigemessen, das "beispiellos bewegte Schnitzwerk" Andreas Etschmanns
steigere sich zu "genialer Wildheit".
III.
Literatur
- Müller, Maximilian: Die ehemalige Prämonstratenserabtei
St. Peter und Paul Marchtal. Hg. von der Kath. Kirchengemeinde St.Peter und
Paul, Neubearb. und erw. Aufl. Obermarchtal 1994.
- Müller, Max (Hg): Marchtaler Lehrer-Akademie.
Festschrift zur Eröffnung der Kirchlichen Akademie der Lehrerfortbildung
Obermarchtal, 1978. Darin: Tüchle, Hermann: Obermarchtal - Kloster und
Reichsstift, S.164-186 und Kraft, Herbert Karl: Barock jubilierendes Marchtal,
S.188-200.
- Aus der Geschichte des Klosters Obermarchtal.
Hrsg. vom Geschichtsverein Raum Munderkingen, Bad Buchau 1985. Darin: Nuber,
Winfried: Die St.Peterskirche in Marchtal, S.15-65. Walter, Friedrich von:
Kurze Geschichte von dem Prämonstratenserstifte Obermarchtal, Nachdruck
der eigenständigen Ausgabe Ehingen 1835, S.57-418.
- Kretzschmar, Robert (Bearb.): Fürstlich
Thurn und Taxissches Archiv Obermarchtal, Grafschaft Friedberg-Scheer. Urkundenregesten
1304-1802, Stuttgart 1993.
- Spahr, Gebhard: Oberschwäbische Barockstraße
I, 2. neubearb. u. erw. Aufl. Weingarten 1979, S.50-61.
Abb.1 aus Merian: Schwaben
Abb.2 aus Müller 1978, S.156/157
Abb.3 von http://www.obermarchtal.com/kirche/
Abb.4 aus Müller 1994, S.40