Malte Woydt
Das Regieren gewinnen

[am 1.11.98 abgeschlossenes Manuskript für die
GAJB-Zeitschrift "Spunk", leider nicht veröffentlicht
]

Die Wahlen sind gelaufen, Deutschland hat eine Linksregierung! Jetzt beginnt die Arbeit. Undzwar  noch viel mehr für die Basis als für MinisterInnen und Fraktion. Das mag auf den ersten Blick paradox erscheinen. Jetzt sind wir doch an der Regierung, jetzt sind wir doch an der "Macht" beteiligt, da muß sich doch einiges machen lassen. Und welche Rolle hatte die Parteibasis denn in CDU und FDP die letzten 16 Jahre? Rein garkeine.

Stimmt, nur hat eine linke Regierung ganz andere Probleme als eine rechte. Eine konservativ-liberale Regieurng hat alle finanzstarken Industrie- und Wirtschaftsverbände hinter sich und den Großteil der Medien. Sie schwimmt wie ein Fisch im Wasser. Schröder mag in unseren Augen noch so wirtschaftsfreundlich sein, die Vertreter aller Wirtschaftsverbände spucken trotzdem Gift und Galle. Die machen da keinen Unterschied zwischen Schröder und Trittin.

Es reicht mitnichten, an der Macht zu sein, und diese jetzt zu nutzen. Eine Regierung die gegen alle organisierten Wirtschaftsinteressen und den Großteil der Medien anregieren muß, hat nicht viel Bewegungsspielraum. Der erste Ausrutscher, der erste kleine Schritt nach links, und eine massive Antikampagne beginnt.

Wir müssen um jeden Preis vermeiden, innerparteilichen Druck auf "unsere" MinisterInnen auszuüben. Wir haben es in der Hand, sie abzusägen, aber Politik können wir auf dem Wege der innerparteilichen Meinungsbildung nie und nimmer beeinflussen. Da stehen Schröder und die "öffentliche Meinung" davor.

Die britische Labourregierung unter Callagher mußte das Feld für Margareth Thatcher räumen, weil die Gewerkschaften eine massive Kampagne gegen die Regierung gefahren hatten. Sie haben Callagher die innerparteiliche Unterstützung genommen, und ihn öffentlich demontiert. Die Kampagne war äußerst erfolgreich: Thatcher statt Callagher! Clinton hatte zu Beginn seiner ersten Amtszeit eine ganze Reihe liberaler Reformprojekte angehen wollen. Die konservativen Medien haben ihm diese Flausen im Handumdrehen weggepustet, weil die Liberalen meinten, mit der Wahl Clintons sei alles getan, und man könne jetzt die Hände in den Schoß legen.

Nein, kann man nicht! Schröder ist Populist und das war seine einzige Chance, in der Mitte genügend WählerInnen zu finden. Schröder weiß, daß er nicht gegen die konservative "veröffentlichte Meinung" anregieren kann. Er wird sich deshalb vor jedem größeren Reformprojekt der Zustimmung der Bevölkerung versichern. Nur diejenigen Projekte, die in der Bevölkerung tief genug verankert sind, um von konservativen Interessengruppen nicht umgeworfen werden zu können, werden durchgeführt.

Dieser Populismus ist unsere Chance! Raus auf die Straße! Die Schlachten werden nicht auf Parteitagen gewonnen, sie werden auf der Straße und in den Medien gewonnen. Jedes Reformprojekt, daß Grün oder Rot-Grün angehen wollen, braucht unsere massive Unterstützung. Die Regierungspressestelle wird ihren Teil tun. Aber die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung bildet sich ihre Meinung immer noch im persönlichen Gespräch. Und denen müssen wir als Gesprächspartner zur Verfügung stehen.

"Mehr Demokratie" beginnt nächstes Jahr eine großangelegte Kampagne zur Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene. Das war schon geplant, bevor klar war, daß die Regierung wechseln würde. Aber sie kommt jetzt genau zum richtigen Zeitpunkt. Wenn die Kampagne durchschlägt, kommt niemand mehr an Volksentscheiden vorbei. Und die CDU wird sich noch freuen, ein mächtiges Instrument zur Politikgestaltung in die Hand zu bekommen. Und das ist gut so. Man hat es in Bayern gesehen: Die Selbstdemokratisiserung der Gesellschaft funktioniert hervorragend.

Volksentscheide werden die Bedeutung von Straßenkampagnen noch verstärken, aber soweit sind wir ja noch nicht. Welche anderen Themen stehen an? Zum Beispiel der Atomausstieg. Wir brauchen jetzt eine große Kampagne zusammen mit allen Umweltverbänden für den Ausstieg. Die Partei sollte sich nicht weiter aus dem Fenster lehnen als die Stimmung in der Bevölkerung sie trägt. Es liegt an uns, am GAJB, und an der Parteibasis, die Leute zu überzeugen. Je lauter die Rufe aus der Bevölkerung kommen, desto schneller wird ausgestiegen.

Es gibt unendlich viel zu ändern in diesem Land. Fangen wir an! Konzentrieren wir uns auf einige wenige Projekte zur Zeit, auf die aber richtig!

(c) 1.11.98, Malte Woydt



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