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Malte Woydt:
Die Wallonie auf dem Weg nach Paris?
Guy Denis zum Anschluß der Wallonie an Frankreich

...... "Die Gegner der Wallonie sind nicht die Flamen, das sind frankophone Brüsseler wie Wallonen, die der Wallonie ihr Recht auf Autonomie bestreiten." Der Schriftsteller Guy Denis gibt mit "France-Wallonie: L'impossible marriage?" (Frankreich-Wallonie: Die unmögliche Hochzeit?") seine Antwort auf die Preisfrage des frankophonen Belgiens: Was tun wenn die Flamen wirklich Ernst machen?
...... Der kulturelle Reichtum der Wallonie werde nicht beachtet. In der ganzen Ausstellung "Paris-Bruxelles" tauchte das Wort Wallonie kein einziges Mal auf. Die frankophonen Medien kennen nur belgische Sportler, belgische Künstler, keine Wallonen. Alle Welt spricht von Renault-Vilvoorde, niemand von Forges-de-Clabecq.
...... Ständig werde behauptet, die Wallonie koste nur Geld. Dabei werde die Wallonie 1999 nur noch 30% des Steuerkuchens bekommen, gegenüber 38% noch 1989. Das Geld fliege anderswo zum Fenster hinaus: Der Hafenneu- bzw. -ausbau von Antwerpen und Seebrügge, die Autobahnbeleuchtung, Atomkraftwerke noch und nöcher, unnütze und viel zu teure Rüstungsausgaben...
...... Der weiße Marsch beklagte sich über den Staat, der seine Bürger betrüge. Aber, so Denis, mon Dieu, zum wievielten Male denn schon? Man solle sich doch lieber fragen, "wer sind wir [Belgier] denn, die wir diesen betrügerischen und amoralischen Staat etabliert haben?" Sozialisten und Katholiken, Flamen und Wallonen halten seit Jahrzehnten das schwierige Gleichgewicht sozialen Friedens - teuer und zunehmend schwieriger zu erhalten. Alle Kraft geht da hinein, der Staat kümmere sich seit Jahrzehnten ncht mehr um seine eigentlichen Aufgaben.
...... Und Denis taucht tief ein in Verschwörungstheorien. Die versteckte Macht des angeblich machtlosen Königshauses, selbstverständlich darf die Königsfamilie mitten im Naturschutzgebiet bauen. Belgien sei eine große Familie, mit König und Königin als Eltern, die davon träume, sich den USA völlig zu unterwerfen, um sich nicht mehr selbst verwalten zu müssen. Die belgischen Bürger seien Minderjährige, die kein Recht hätten, sich mit Politik zu beschäftigen, die demokratischen Institutionen seien ein heiliger Graal, bewacht von Kardinal höchstpersönlich.
...... Ganze Regierungen bestückt mit Bankiers, willige Kollaborateure im Zweiten Weltkrieg, dabei nach dem Krieg die Zusammenarbeit der Großindustrie mit der deutschen Besatzung herausdefiniert aus der Kollaboration... Die "kulturelle Macht" des frankophonen Belgiens konzentriere sich bei RTBF, ULB und "Le Soir" - allesamt brüsselzentriert... Wenigstens seien die Zeiten vorbei, in der belgische Journalisten nur willige Knechte der Nomenklatura waren.
...... Die heutige Wallonie in die Vergangenheit projizieren zu wollen, sei absurd. Dennoch sei festzuhalten, daß die Wallonen ein Volk seien, das in Belgien aufgegangen sei, ohne jemals selbst über sich bestimmen zu können.
...... Woher nehmen, eine wallonische Identität? In der französischen Revolution von 1789, die in Liege sofort ihren Widerhall gefunden hatte? Fast völlig ausgelöscht Erinnerung und Gedenken an die hoffnungsvollen belgischen Revolutionäre von einst. Übriggeblieben nur die katholische Opposition gegen die Franzosen. Während Flandern sich einig sei, in der katholischen Ablehnung der französischen Revolution, sei das für die Wallonie nicht so einfach. Das gleiche gelte für die Streiks der 1950er Jahre und ihre Toten.
...... Dabei sei die Zeit der Franzosenherrschaft eine goldene Epoche der Geschichte. Brüssel als große Metropole des Nordens, Gegenstück zu Lyon im Süden, der europäische Markt von Napoleon geöffnet für die belgischen Produkte...
...... Aber der Beitritt zu Frankreich würde der Wallonie ihre durch eine Teilung Belgiens gerade erst gewonne Autonomie wieder nehmen. Würden die anderen europäischen Länder die Expansion Frankreichs bis nach Brüssel akzeptieren? Und wäre es nicht eine schöne Sache, auch mal einen Wallonen als EU-Kommissar zu installieren?
...... So oder so: Unter welchem gemeinsamen Programm sollten Brüsseler und Wallonen zusammenfinden? Was gewänne die Wallonie in einer Föderation mit Brüssel? In Gesamtbelgien bräuchten die Brüsseler wenigstens noch die Unterstützung der Wallonie, um die Flamen auszubalancieren. Sind die Flamen einmal weg, kümmert sich in Brüssel niemand mehr ums Hinterland.
...... Wenn sich kein wallonisches Bewußtsein entwickle, das stark genug sei, um die Wallonie als unabhängigen Staat zu erhalten, sei es immer noch besser, den Brüsselern nach Frankreich zu entkommen. Man sei auch nicht ärmer als andere französische Regionen, würde das französische BIP pro Kopf nur geringfügig drücken. Nur traurig, daß Frankreich immer noch über Wallonie und "französische Gemeinschaft" hinweg mit der belgischen Zentralregierung verhandle...
...... Ein verwirrendes Buch, ohne klare Struktur oder Aussage, dem man nur schwerlich ein Lektorat glauben kann. Verschwörungstheorien, krude moralische oder modephilosophische Theorien im bunten Welchsel mit politisch-pragmatischen Gedanken. Die interessantesten Stellen sind noch die, an denen der Autor seitenweise zwei andere Autoren zitiert. Vermutlich wäre man besser damit bedient, sich gleich diese beiden, José Fontaine, einem Vorkämpfer der Wallonie, und Manu Ruys, Chefredakteur des "Standaard", vorzunehmen und auf die zähe Lektüre des hier vorliegenden Buches zu verzichten.

...... Guy Denis: France-Wallonie: L'impossible marriage? Étude sur le rattachisme et le séparatisme. Woluwe-Saint-Lambert: Gilson Éditeur, SPRL Pré aux sources, 1997, ISBN 2-87269-079-4, 775 FB.
...... Brüssel-Rundschau, 1.1.1999
...... (c) Malte Woydt & Brüssel-Rundschau 1998

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