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Ergebnisse der Kommunalwahlen 2006

Partnertausch allerorten


...... Jetzt ist der Wahlkampf also vorbei. Von überallher strahlten einem Kandidaten entgegen, inhaltliche Unterschiede waren oft selbst in Fernsehdiskussionen nicht herauszuhören (obwohl die Praxis zeigt, daß sie sehr wohl existieren, sehr oft sogar in heftigen Kämpfen münden, wenn auch meist hinter den Kulissen) ...
...... Die Wahlen sind vorüber. Hunderte von Gemeinden bekommen im Januar neu zusammengesetzte Gemeinderäte. Die Wahlergebnisse sind bekannt, aber Zahlen sagen nicht alles, es ist meistens nicht so einfach, herauszufinden, was da wirklich abläuft.

Übersicht

...... In der REGION BRÜSSEL ist der allgemeine Trend wie folgt: Die Grünen von Ecolo/Groen! erholen sich von den miserablen Ergebnissen der Föderal- und Regionalwahlen von 2003 und 2004, bleiben aber erwartungsgemäß weit unter ihren sensationellen Ergebnissen der lezten Gemeinderatswahlen von 2000. Sie regierten bisher in der Mehrheit der 19 Gemeinden mit. Damit ist es nun zu Ende. Die Christdemokraten vom CDH sind große Gewinner der Wahl, das heißt, sie klimmen langsam heraus aus dem Tal der Kleinpartei, die sie die letzten 15 Jahre waren und überholen hier und da selbst die Grünen. Sie werden in deutlich mehr Gemeinden mitregieren als bisher. Die Sozialisten (PS) legen im Vergleich mit 2000 meist zu, bei den Liberalen ist das von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich, mal legen sie stark zu, mal verlieren sie. Im Vergleich mit 2003/2004 stagnieren Liberale und Sozialisten allerdings eher. Die Rechtsextremen bleiben klein, der Vlaams Blok verliert ein wenig, die FN gewinnt einige Sitze dazu, bleibt aber weit entfernt von ihrem 1994 erzielten (relativen) Rekord.
...... In FLANDERN sind alle froh, daß der Vlaams Blok-Belang zum ersten Mal in 20 Jahren bei einer Wahl stagnierte statt zuzulegen, er hat nirgendwo seine Wahlziele erreicht, in Antwerpen ist er von den Sozialisten als stärkste Partei überholt worden. Die regierenden Liberalen (VLD) verloren überall, witzigerweise genau mit Ausnahme der Orte, wo liberale Minister wohnen, die deswegen keine persönlichen Konsequenzen ziehen müssen. Gewinner waren die Christdemokraten vom CD&V und in geringerem Maße die Sozialisten (SPA). Groen! rappelte sich nach den schlechten Ergebnissen von 2003 und 2004 wieder auf, während die zwei grünen Bürgermeister sogar im Vergleich mit 2000 stark hinzugewannen.
...... In der WALLONIE haben die skandalgeschüttelten Sozialisten (PS) weniger verloren als sie selber befürchtet hatten. Den Liberalen (MR) ging es meist besser als 2000, während die Christdemokraten (CDH) einen großen Satz voran machten. Ecolo ging mancherorts zurück, andernorts voran, verpaßte in Amay, dem Heimatort ihres Vorsitzenden Javaux sogar nur äußerst knapp eine absolute Mehrheit.
...... Der Trend, immer weniger Listen und immer mehr EINZELKANDIDATEN anzukreuzen, nimmt weiter zu. Das hat u.a. zur Folge, daß fast alle, "die man aus dem Fernsehen kennt", Riesengewinne einfahren. Früher betrachtete man die Kommunalpolitik als Schule für höhere Ebenen, jetzt ist es andersherum: Nationale oder regionale Politik wird zum Sprungbrett für das Bürgermeisteramt.

Im Detail zur Region Brüssel

...... Selbst Bürgermeister, die über eine absolute Mehrheit verfügen, nehmen oft einen Koalitionspartner mit an Bord, so verringern sie die Gefahr, ihre Mehrheit durch Überläufer zu verlieren, disziplinieren sie die eigenen Leute und reduzieren die Schlagkraft der Opposition.
...... In den meisten Gemeinden blieben die Kräfteverhältnisse mehr oder weniger wie sie waren, wenn auch oft kleinere Kolitionspartner ausgetauscht werden: In ST.GILLES bleibt unter Ministerpräsident-Bürgermeister Piqué (PS) alles beim alten: Er regiert weiter mit der MR als Juniorpartner. In MOLENBEEK verpaßt die graue Eminenz der Brüsseler PS, Bürgermeister Moureaux, die absolute Mehrheit knapp, behält die CDH als Partner, ersetzt Ecolo aber durch die MR. Auch in EVERE verpaßt Bürgermeister Vervoort (PS) knapp die absolute Mehrheit und tauscht Ecolo gegen die MR. In GANSHOREN blieb Bürgermeisterin Carthé (PS) ohne eigene Mehrheit, tauscht MR und Ecolo aber gegen die CDH.
...... In AUDERGHEM behält Bürgermeister Gosuin (MR) seine absolute Mehrheit aber sucht noch nach einem kleinen Koalitionspartner. In WOLUWE-ST.PIERRE baut Bürgermeister Vandenhaute (MR) seine absolute Mehrheit noch aus und nimmt die CDH mit ins Boot. In WATERMAEL-BOITSFORT wird Bürgermeisterin Payfa (MR) mit Ecolo weiterregieren wie bisher. Verkehrte Welt in ETTERBEEK: Bürgermeister De Wolf (MR) behält die absolute Mehrheit, tauscht seinerseits entgegen dem allgemeinen Trend die PS gegen Ecolo als Juniorpartner aus. Derweil nimmt sein Parteifreund Simonet (MR) in ANDERLECHT die PS anstatt Ecolos in die Mehrheit.
...... In SCHAERBEEK regiert Bürgermeister Clerfayt (MR) weiter, behält seinen Koalitionspartner Ecolo. Die PS macht nicht weiter, sie hatte unter der von auswärts eingeflogenen Justizministerin Onkelinx aus der Mehrheitsbeteiligung heraus einen massiven Oppositionswahlkampf gemacht, auch viele Stimmen gewonnen, aber Ecolo nicht für eine Koaltion PS-CDH-Ecolo gewinnen können - die PS schäumt vor Wut über den angeblichen Verrat, in den frankophonen Medien wurde über keine Gemeinde in den letzten Tagen so heftig diskutiert. Zentrale Parteistrategien (Onkelinx eine gute Startposition als kommende PS-Vorsitzende zu schaffen) stehen gegen Gemeindeorientiertheit (Ecolo wählt den nur knapp an einer absoluten Mehrheit vorbeigeschrappten populären Bürgermeister (über 12000 Vorzugsstimmen) mit dem sie jahrelangrecht erfolgreich zusammengearbeitet haben... Ecolos aus anderen Gemeinden schimpfen, weil die Schaerbeeker Absage der PS anderswo zum Vorwand dient, ihrerseits Ecolo aus der Mehrheit zu werfen ...
...... So in BRÜSSEL-STADT, wo Thielemans (PS) weiter mit der CDH regiert, Ecolo aber aus der Mehrheit fliegt, angeblich als Strafe für Schaerbeek, vielleicht aber auch, weil sich die örtlichen Ecolos gegenseitig die Schöffenposten nicht gönnten ...
...... In JETTE behält Bürgermeister Doyen (CDH) PS und Ecolo als Koalitionspartner. Auch in BERCHEM-STE.AGATHE führen die Christdemokraten. Bürgermeister Riguelle (CDH) tauscht Ecolo aber eher gegen die MR aus.
...... In UCCLE, über das 2000 so viel diskutiert wurde wie heute über Schaerbeek, weil damals die Liberalen in der Woche nach der Wahl ihre absolute Mehrheit verspielten durch den Streit zweier Anwärter aufs Bürgermeisteramt, gewann der damalige lachende Dritte De Decker (auch Liberaler) diesmal eine absolute Mehrheit, behält die PS als Partner, wirft Ecolo aber hinaus.
...... In WOLUWE-ST.LAMBERT gewann Mangain (MR) knapp die absolute Mehrheit gegen seine frühere Parteifreundin Carton, die eine Liste aus MR-Dissidenten und allen anderen Parteien anführte. Damit hat sich der größte Flamengegner aller frankophonen Politiker durchgesetzt gegen die sprachgemischte Opposition. Der neue Bürgermeister freut sich auf Überläufer ... In KOEKELBERG gewann Bürgermeister Pivin (MR) die absolute Mehrheit, ob er seinen Koalitionspartner CDH trotzdem dabeibehält war zu Redaktionsschluß noch nicht bekannt.
...... In zwei Gemeinden gab es wirkliche Richtungswechsel: In FOREST verlor Bürgermeisterin De Parmentier (MR) ihre 2000 durch PS-Überläufer gewonnene absolute Mehrheit und ihre Vorgängerin De Galan (PS) bildet mit Ecolo eine neue Mehrheit, ein reiner Postentausch: De Galan ist auch nicht dynamischer als De Parmentier. In IXELLES hatten 2000 die Ecolos die viel kleinere PS aus der Koalition mit der MR herausgeeist, in dem sie ihnen den Bürgermeisterposten anboten. Derselbe Bürgermeister Decourty wechselt seine bisherigen Partner Ecolo und CDH jetzt wieder gegen die MR aus, der Schwanz wedelt mit dem Hund. Schlechte Zeiten für Matongé: Wo die MR traditionell einen äußerst agressiven Kurs fuhr, war die letzten Jahre Ruhe und fruchtbare Zusammenarbeit eingekehrt.
...... ST.JOSSE drohte dieses Jahr Uccle zu werden: Bürgermeister Demannez (PS) hat angekündigt, trotz bestätigter absoluter Mehrheit wieder einen Koalitionspartner an Bord zu nehmen, und will die MR gegen CDH eintauschen. Soweit, so wenig aufregend... Allerdings rumorte es im eigenen Laden: Staatssekretär Emir Kir (ebenfalls PS) hat mehr Vorzugsstimmen erhalten als Demannez. Kir würde nur zu gerne der erste türkischstämmige Bürgermeister des Landes werden, hat aber im Gegensatz zu De Lobkowitz 2000 in Uccle nur drei Gemeinderäte hinter sich. Nach stundenlanger Diskussion zwischen Kir und Demannez wurde eine Art enger Zusammenarbeit vereinbart ...

Ausländer

...... AUSLÄNDER und Belgier ausländischer Herkunft sind schon seit 15 Jahren stark im Kommen. Ein Drittel der neuen Gemeinderäte in den Brüsseler Gemeinden sind ausländischer Herkunft. Gewählt wurden z.B.: Murat Denizli, grauer Wolf (laizistische türkische Faschisten) bei der Schaerbeeker PS, Kebir Bencheikh, marrokanischer Islamist bei der CDH in Evere, Mustafa Öztürk, Autor eines Buches über den "Genozid der Armenier an den Türken" bei der Schaerbeeker MR. Das ist aber mehr Folge der - im Vergleich mit Deutschland - ideologischen Verschwommenheit belgischer Parteien insgesamt, für die oft jeder Kandidat gut ist, solange er nur populär ist, als ein besonderes Kennzeichen Brüsseler Gastarbeiterkultur. In den 80er-Jahren hatten die frankophonen Sozialisten, Christdemokraten und Liberale beispielsweise alle einen rechtsradikalen Flügel (Bonvoisin, CEPIC, Nols). Die Schöffen und Gemeinderäte ausländischer Herkunft haben in den letzten Jahren genausogut oder schlecht gearbeitet wie ihre belgischen Kollegen: da gibt es alles, vom brillianten Manager über den engagierten Umweltschützer bis hin zum bierseligen Stammtischpolitiker ...
...... Es fällt allerdings auf, daß die Grünen, die 1994 als erste viele "neue Belgier" auf ihren Listen hatten, heute durchweg weniger aufstellen als früher und auch als die anderen Parteien. Das Ausländerwahlrecht wurde durchgesetzt, die Gastarbeiter als gleichberechtigte Bürger akzeptiert. Ausländer brauchen keine Partei mehr, die etwas für Ausländer tut. Einige unter ihnen passen zu den sozial, kulturell, intellektuell und ökologisch engagierten Ecolos, weitaus mehr aber zu den Verteidigern des gewerbetreibenden Mittelstandes oder in eine Arbeiterpartei ... Den Grünen sind so viele Leute schnell weggelaufen, die, als sie den sozialen Aufstieg zum Mandatsträger einmal geschafft hatten, ihre christdemokratische oder liberale Seele entdeckt haben, daß sie versuchen, jetzt nur noch Leute zu nehmen, die aus ihnen nahestehenden Vereinen oder Bürgerinitiativen kommen. Auf die anderen Parteien kommt dieser Sortierprozeß mit etwas Verspätung jetzt auch zu ...

Vorbehaltsklausel

...... Wenn Sie diesen Artikel lesen, ist er schon sechs Tage alt. Belgische Politiker lieben Coups-de-thé�tre (zumindest wenn sie selber nicht gerade deren Opfer sind). Belgienweit kamen mehr als 40% der Koaltionen, die in den ersten Tagen nach den Kommunalwahlen 2000 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, letztendlich nicht in der angekündigten Form zustande! Da wurden im letzter Minute Koalitionspartner ausgetauscht, liefen frisch gewählte Gemeinderäte noch vor der ersten Sitzung des neuen Gemeinderates zu einer anderen Partei über... Selbst absolute Mehrheiten zerbrachen mancherorts an internen Machtkämpfen (letztes Mal Uccle, dieses Mal vielleicht St.Josse?). Das echte Endergebnis kennen wir erst im Januar...

Malte Woydt

In etwas abgeänderter Fassung ursprünglich Mitte Oktober 2006 in der Brüsselrundschau erschienen.
(c) Malte Woydt 2006

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