“Deutschland hat wieder eine Führerpartei, und alle laufen ihr nach. Das Bündnis Sahra Wagenknecht gab es vor einem Jahr noch gar nicht, heute sitzt es in drei Landtagen und demnächst vielleicht in drei ostdeutschen Landesregierungen. Parteiführerin Sahra Wagenknecht sitzt fast jeden Abend im Fernsehen und erklärt den Deutschen die Welt.
Das BSW ist nach eigenem Bekunden ‘für Vernunft und Gerechtigkeit’. Wieso wird betont, man sei für Vernunft? Man ist ja auch nicht für Hirntätigkeit und Stuhlgang, man denkt und scheißt einfach. Wer sagt, er sei ‘für Vernunft’, will Zweifel ausräumen. Das BSW gründet, wie der Name schon sagt, auf Personenkult, das ist weder vernünftig noch gerecht.
Der letzte deutsche Politiker, der das Wort ‘Vernunft’ politisch einsetzte, war Erich Honecker, DDR-Regierungschef bis 1989. Eine ‘Koalition der Vernunft’ strebte er mit der Bundesrepublik Deutschland an – eine Vereinbarung, mit der die DDR ihre Interessen ohne Gegenleistung durchsetzt. Diese Art von ‘Vernunft’ – wir einigen uns auf meine Forderungen – entspricht der, die Russlands Präsident Wladimir Putin derzeit gegenüber der Ukraine vorbringt, mit deutlich mehr Nachdruck; und Putin nachzugeben, ist Wagenknechts Hauptanliegen.
Die größten politischen Schnittmengen hat das BSW mit der AfD: Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen, Sympathie für Putin, Wunsch nach einer Allianz ‘souveräner’ europäischer Staaten gegen die USA. Wäre der Begriff nicht verbraucht, könnte man Wagenknecht als nationale Sozialistin bezeichnen. …
Sahra Wagenknecht ist Deutschlands Nigel Farage: eine Konservative im subversiven Gewand, die sich als Irrlicht inszeniert, um die Gegenwart rückgängig zu machen. Als Personen trennen sie Welten – die stocksteife Wagenknecht ist anders als der leutselige Farage eine fürchterliche Rednerin und hat keinen Humor – aber beide verfolgen eine zerstörerische Agenda, die alle vergiftet, die sich darauf einlassen. …
Für Wagenknecht ist die Westbindung Gesamtdeutschlands nach der Wiedervereinigung 1990 die Wurzel allen Übels. … Auch das BSW ist keine normale Partei. Ihre wenigen Mitglieder sind von Wagenknecht handverlesen, in Sachsen sind es derzeit rund 70, in Thüringen und Brandenburg unter 50. Die sitzen demnächst alle in den Landtagen als Abgeordnete und Mitarbeiter. Es ist keine Partei, es ist ein elitärer Klub.
Die angestrebte Läuterung beginnt für Farage mit dem Brexit, für Wagenknecht in einem Schulterschluss mit Moskau als erster Schritt zur mindestens mentalen Rückabwicklung der Wiedervereinigung. Deswegen stellt sie in den Sondierungen vor allem außen- und verteidigungspolitische Forderungen. Landespolitik ist ihr egal. Es geht ihr um die Sprengung des deutschen Nachwendekonsenses von 1990; am liebsten würde sie aus Deutschland eine große DDR machen.
Keine demokratische Kraft kann sich darauf ernsthaft einlassen. … Die Devise muss lauten: keine Zusammenarbeit mit AfD und BSW. Kein Fußbreit den Faschisten oder den Stalinisten.
Und wenn es anders keine Mehrheiten gibt? Dann gibt es eben keine Mehrheiten. Stabile Mehrheiten gibt es mit einem BSW, das bei jeder Gelegenheit den Partner erpressen könnte, sowieso nicht. Es sind auch keine anderen Mehrheiten in Sicht, wie der Thüringer Landtag gerade eindrucksvoll beweist. Die demokratischen Kräfte in allen drei Bundesländern müssen sich treu bleiben, sich nicht kompromittieren und direkt auf vorgezogene Neuwahlen setzen, bei denen sie sich diesmal besser aufstellen. Alles andere ist politischer Selbstmord.”
aus: Dominic Johnson: Gegen die Bundesrepublik, taz online, 28.9.24, im Internet.
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