MALTE WOYDT

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Achtundsechziger 1

Jaaa, die über Dreißigjährigen. Sind das nicht die, von denen es einmal hieß, man solle ihnen nicht trauen? Natürlich hat Achim Schmollen in Vielem Recht, wenn er sich in der ZEIT (“Wir sind besser als die Alten”, 7.3.1997) über die Achtundsechziger beklagt. Aber ist er denn so anders? Er scheint zumindest eines mit ihnen gemeinsam zu haben: Man selbst gehört immer per definitionem der jüngstmöglichen Generation an.

Aber kurz noch ein Wort zu den Achtundsechzigern: Mir sind sie ja in zweierlei Form begegnet. Zunächst einmal als Lehrer in der Schule. Die hatten es in meiner Popper-dominierten Umgebung in den Achtzigern ziemlich schwer. Weniger, weil sie ihre Ideale unter den Schülern nicht wiederfanden. Vielmehr, weil sie nicht einsehen wollten, daß sie älter geworden waren, und uns inzwischen mit Notengewalt gegenüberstanden. Es ist unheimlich schwer, einem Über-Vierzigjährigen zu erklären, daß er “der Jugend” nicht mehr angehört, mag er nun noch so sehr “Vertrauenslehrer” sein, und soviele coole Sprüche draufhaben, wie er will.

Der zweite Kontakt zu Achtundsechzigern stellt sich unweigerlich ein, wenn man beginnt, sich politisch zu engagieren. Ich nehme ihnen ja nicht übel, daß sie von den alten Zeiten schwärmen wie Kriegsteilnehmer oder Spanienkämpfer vor ihnen. Ich denke, das wird jede Generation tun.

Da ist es schon nerviger, wenn Ältere ständig an uns Jüngeren herummäkeln, uns fehle der richtige Drive. Eine gewisse Zeit habe ich das ja sogar geglaubt. Inzwischen glaube ich eher, die politisch Engagierten waren immer eine kleine Minderheit und werden es auch bleiben. Wenn heute die große Mehrzahl der Studenten Studiengebühren etcetera ruhig hinnimmt, sollte man dabei allerdings nicht vergessen, daß immer noch mehr Leute protestieren, als damals überhaupt zur Uni gehen durften.

Damit wären wir dann auch schon bei dem, was mich am meisten an den “Achtundsechzigern” ärgert. Schließlich haben sie ja erst den massiven Ausbau der Universitäten bewirkt. Das ewige Gejammere über Angepaßtheiten, über den mißlungenen Marsch durch die Institutionen, über die offenbar unendliche Zahl von Niederlagen liegt wie dichter Nebel über der Geschichte. Erst historische Studien helfen einem aus meiner Generation zu verstehen, was “68” bewirkt hat. Die frühen 60er Jahre sind für uns ähnlich weit entfernt wie die Kaiserzeit. Genausowenig, wie wir uns kaisertreuen Hurrahpatriotismus vorstellen können, können wir uns die dumpfe Spießigkeit eines Deutschlands der 50er und 60er Jahre vorstellen.

Mein persönlicher Eindruck von den 68ern ist, daß sie Westdeutschland den Anschluß an den Westen verschafft haben. Dieses Land, daß seine “Kultur” immer als Gegensatz zur westlichen “Zivilisation” verstand, dieses Land hat sich in den siebziger Jahren in unglaublicher Weise modernisiert. “Mitteleuropa” ist für heutige Jugendliche aus Westdeutschland völlig unfaßbar. Wenn überhaupt, dann ist das ein Begriff, den Polen, Tschechen und Ungarn für sich benutzen.

Auch die nachfolgenden “Sozialen Bewegungen” haben dieses Land geprägt. In meiner Abiturklasse mußten sich die angehenden Wehrdienstleistenden rechtfertigen, warum sie diesen Drückebergerjob bei der Bundeswehr machten. Schließlich war allen klar, daß Arbeit mit Behinderten oder Körperpflege bei alten Damen einen mehr mitnehmen als in einer Kaserne Skat zu kloppen. Die einzig akzeptable Begründung war, daß es auf die Weise halt schneller ‘rum sei. Daß das vor der Friedensbewegung anders war, konnte man in den Leitfäden für Kriegsdienstverweigerer nachlesen, die allesamt in den engagierten Siebzigern geschrieben worden waren.

An die Achtundsechziger habe ich somit eigentlich nur eine Bitte: Vergleicht Eure Erfolge nicht immer nur mit Euren Zielen. Die habt Ihr sicherlich nicht erreicht. Vergleicht sie einfach mit den Zuständen, von denen Ihr ausgegangen seid. Dann waren die Erfolge gar nicht so klein, und ihr könnt das Jammern ein für alle Mal lassen. …

Malte Woydt, Replik auf einen ZEIT-Artikel

03/97

09/10/2007 (9:58) Schlagworte: DE,Notizbuch ::

Wirtschaftsliberalismus 1

Wirtschaftsliberalismus ist die unverschämte Behauptung, daß man den Reichen und Mächtigen nur noch mehr Reichtümer und Macht hinterherwerfen müsse, damit es auch den Armen bessergehe. Natürlich eine völlig absurde Idee.

Welch vernünftig denkender Mensch käme schon auf die Idee, daß Unternehmer, denen man Geld schenkt und die Möglichkeit, dasselbe nach Gutdünken zu exportieren, damit ausgerechnet bei uns Arbeitsplätze schafften? Welch vernünftig denkender Mensch käme auf die Idee, daß man einem armen Land helfe, indem man die lokalen Märkte mit spottbilligen Importen überschwemmt? Welch vernünftig denkender Mensch käme auf die Idee, Steuern durch verzinste Darlehen bei den vormaligen Steuerzahlern zu ersetzen?

Wirtschaftsliberalismus liegt im Interesse weniger großer Kapitaleigner. Seine Verbreitung unter Bevölkerungskreisen, die nie von ihm profitieren werden, läßt sich rational nicht erklären. Außer man schreibt ihm die suggestive Kraft zu, jedermann die Illusion zu geben, persönlich zu den Gewinnern zu gehören. Diese Illusion aber ist krankhaft.

Wirtschaftsliberalismus müssen wir uns als Krankheit vorstellen, eine äußerst ansteckende Viruskrankheit. Die im Labor erzeugten Viren werden von Kriminellen vorsätzlich in Umlauf gebracht.

Wirtschaftsliberale gibt es natürlich schon lange, in liberalen Parteien gab es für sie immer ein warmes Plätzchen. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Virus aber weiter verbreitet als je zuvor in der Geschichte.

Zuerst fielen Konservative und Christdemokraten um. Man hat sich viel zu wenig Gedanken darüber gemacht, wie es kommt, daß wirtschaftsliberal in den achtziger Jahren zum Synonym für konservativ und christdemokratisch werden konnte – ursprünglich hatten diese beiden politischen Strömungen wenig mit dem Wirtschaftsliberalismus am Hut. Die einen wollten der Abstammung den Vorrang vor wirtschaftlichem Erfolg geben, die anderen die Opfer des Kapitalismus durch Gemeinschaftsbildung vor dem Sozialismus bewahren. Trotzdem sind beide der Krankheit anheimgefallen.

Leider blieb es nicht dabei. Heute sind es Sozialdemokraten und Grüne, die die Liberalisierung des Welthandels fleißig vorantreiben. Der Druck des wirtschaftsliberalen Einheitsdenkens ist so groß geworden, daß heute Grüne und Sozialdemokraten bilaterale Freihandelsabkommen durchpeitschen und neue WHO-Liberalisierungen erfinden. Zunächst, um in den interessierten, “tonangebenden” Kreisen nicht für “lächerlich” erklärt zu werden, später aus eigener Überzeugung.

Wenn man auf der “Linken” genau hinschaut, wird man feststellen, daß es häufig gerade frühere Linksradikale sind, die heute wirtschaftsliberale Thesen vertreten. So überraschend das auf den ersten Blick erscheinen mag, so logisch ist das auf den zweiten: Marxisten und Neoliberale haben gemeinsam, ewiggeltenden Gesetzen den Gang der Geschichte zuzuschreiben. Wer vom Historischen Materialismus kommt, hat es mit dem neoliberalen Materialismus nicht schwer. Eingriffe denkender und handelnder Menschen in den Gang der Geschichte werden von beiden für unmöglich erachtet. So kommt man von linksaußen nach rechtsaußen ohne den Umweg über die humanistische, (ehemals?) sozialdemokratische Mitte gehen zu müssen…

Die in letzter Zeit zunehmende Kritik an der Globalisierung hat bisher nur dazu geführt, daß dieselben Politiker, die mit Gesetzen und internationalen Verträgen die Sache immer weiter anheizen, in Reden und Wahlprogrammen das Gegenteil von dem verkünden, was sie im Parlament tun. Die Medien beschränken sich weiterhin darauf, als Nachricht zu werten, worüber Politiker Lärm machen, anstatt sich einmal der Dinge anzunehmen, die hinter dem Lärm versteckt werden sollen.

Allerdings geht es nicht nur um eine Art “falsches Bewußtsein”. Das wäre zu einfach. Manche Andersglobalisten diskutieren mit moralischen Argumenten, dabei hat die Geschichte mit Moral nur sekundär zu tun. Es geht ganz simpel um Machtfragen.

Technische Entwicklung, gesunkene Transportkosten, verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten und willentliche Öffnung der Märkte haben in den westlichen Industrieländern zu einem rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Und die Massenarbeitslosigkeit sorgt dafür, daß das Kapital zur Zeit eine viel stärkere Verhandlungsposition hat als vor 35 Jahren. Darum geht es beim “Neoliberalismus” und beim “Sozialabbau”: Errungenschaften der Arbeiterbewegung werden zerstört, weil das Kapital derzeit eine stärkere Machtposition hat, als zu den Zeiten, als sie eingeführt wurden.

Schlimm ist nur, daß unsere lieben “linken” Politiker das so nie sagen, sondern durch neoliberale Verblendung die vom Kapital geforderten Einschnitte richtig gut finden, statt sie nur in zähen Verhandlungen zähneknirschend und mit überprüfbaren Gegenleistungen herauszurücken.

Malte Woydt, 2003

Abb.: Mark Flood: Free the rich. 1992, im Internet.

12/03

05/10/2007 (0:23) Schlagworte: DE,Notizbuch ::
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