“Das lebendige Gedächtnis wird der Frau entwunden, ein Bild, das andre von ihr sich machten, wir ihr untergeschoben: der entsetzliche Vorgang der Versteinerung, Verdinglichung am lebendigen Leibe. zu den Sachen gehört sie nun, zu den Res mancipi – wie Hauskinder, Sklaven, Grundstücke, Großvieh -, die der Besitzer durch die Mancipatio, ein Rechengeschäft, einem anderen übertragen kann, der seinerseits sie ‘manu capere’, mit der Hand erfassen, der Hand auf sie legen kann. Die Emancipatio aber, die Entlassung aus der Gewalt des Pater familias, war lange nur für die Söhne vorgesehen, und als das Wort endlich, als ‘Emanzipation‘ auf Frauen angewendet wurde (heute noch häufig pejorativ: Du bist wohl eine Emanze?), da hat man – und Frau – diesen Begriff, dessen revolutionären, radikaler Sinn störte und stört, im Sinn von ‘Gleichberechtigung’ gebraucht, heruntergespielt und mißverstanden.
… Ahnt man, ahnen wir, wie schwer, ja wie gefährlich es sein kann, wenn wieder Leben in die ‘Sache’ kommt; wenn das Idol sich wieder zu fühlen beginnt; wenn ‘es’ die Sprache wieder findet? Als Frau ‘Ich‘ sagen muß?”
aus: Christa Wolf: Kassandra. Berlin: Aufbau 1990, S.195/196
Abb.: Mary Sibande: They don’t make them like they used to, 2008/2019, im Internet.
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