MALTE WOYDT

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Ausdauer

“‘Ich kann nichts Großes arbeiten. Das ist vorbei: nur die Jugend plant so verwegen. Jetzt habe ich keine Ausdauer mehr. Ich bin – warum es verbergen? – ein Mensch der kurzen Augenblicke geworden, ich kann nicht durchhalten. Früher hatte ich mehr Kraft, jetzt ist sie weg. Ich kann nur reden: da trägt michs manchmal, da reißt mich etwas über mich fort. Aber stillsitzend arbeiten, immer allein, immer allein, das gelingt mir nicht mehr.'”

aus: Stefan Zweig: Verwirrung der Gefühle. In: Ders.: Verwirrung der Gefühle, drei Novellen, Leipzig: Insel 1927, S.208.

Abb.: Sister Corita: Rest, 1971, im Internet.

05/13

25/05/2013 (15:36) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Selbstbeherrschung

“… Ich sah unter Barock nach und fand Paul Fleming:


Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren,
Nimm dein Verhängnis an, laß alles unbereut

.
Und eh du förder gehst, so geh in dich zurücke.
Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann,
Dem ist die weite Welt und alles untertan.

Typisch deutsch, sagte Francesco. Erst wollt ihr euch selbst, dann gleich die ganze Welt beherrschen, und Karl … sagte, ‘untertan’ sei dasjenige deutsche Wort, das er am meisten hasse … Auf englisch, sagte er, könnte man das gar nicht sagen: ‘untertan’. Wir lasen in der Übersetzung nach, da stand: The man who is master of himself and can control himself has the whole world and what is in it at his feet.

Na bitte, sagte Francesco. Das ist der entscheidende Unterschied: Ob du die Welt beherrschen willst oder ob sie dir zu Füßen liegt. Ja aber, sagte ich, sich selbst beherrschen sei doch nicht tadelnswert! Eben doch! schrie Francesco. Eure Selbstunterdrückung bringt ja das ganze Unglück hervor! Und dein Verhängnis annehmen – das fehlte noch!”

aus: Christa Wolf: Die Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud, Berlin: Suhrkamp 2010, S.156/157.

Abb.: Syagini Ratna Wulan: Catharsis, 2015, indoartnow, im Internet.

05/13

14/05/2013 (23:16) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Stasi

“… Aber was war das schleichende Gift, das du aus diesen Akten einatmetest und das dich so lähmte? Damals konntest du es nicht benennen. jetzt weiß ich: Es war die brutale Banalisierung eures Lebens auf diesen hunderten von Seiten. Die Gewöhnlichkeit, mit der diese Leute euer Leben ihrer Sichtweise anpaßten. Selbst wenn die Tatsachen gestimmt hätten, über die die Observanten berichteten und die die Führungsoffiziere von Zeit zu Zeit zusammenfaßten – was keineswegs immer der Fall war, sie mußten ja den Interessen und Erwartungen der Auftraggeber angepaßt werden -, selbst dann stimmte nach meinem Empfinden nichts. Wenn ich irgend etwas gelernt habe bei der Lektüre dieser Berichte, dann, was Sprache mit der Wirklichkeit anstellen kann. Es war die Sprache der Geheimdienste, der sich das wirkliche Leben entzog. Ein Insektensammler, der seine Objekte aufspießen will, muß sie vorher töten. Der Tunnelblick des Spitzels manipuliert sein Objekt unvermeidlicherweise, und mit seiner erbärmlichen Sprache besudelt er es. Ja, sagte ich zu Francesco, das war es, was ich damals empfand: Ich fühlte mich besudelt. …

So wäre es dir lieber gewesen, sagte Francesco, ihr hättet intelligente, womöglich feinfühlige Informanten auf eurer Spur gehabt?”

aus: Christa Wolf: Die Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud, Berlin: Suhrkamp 2010, S.183/184.

Abb: Yannis Gaitis: Men in hats, im Internet.

05/13

14/05/2013 (23:03) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Mitgefühl

“Ich weiß noch, wie ich als Kind manchmal in meinem Bett lag, und mich fragte, wie ich die Nachrichten von dem Leid, das anderen Menschen andauernd zugefügt wurde, und die Angst vor eigenen Verletzungen ein ganzes Leben lang aushalten sollte. Da wußte ich noch nicht und hätte es nicht geglaubt, daß Mitgefühl sich abschwächen kann, wenn es übermäßig beansprucht wird. Daß es nicht in der gleichen Menge nachwächst, wie es ausgegeben wird. Daß man, ohne es zu wissen und zu wollen, Schutztechniken entwickelt gegen selbstzerstörerisches Mitgefühl.”

aus: Christa Wolf: Die Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud, Berlin: Suhrkamp 2010, S.69.

05/13

13/05/2013 (9:58) Schlagworte: DE,Lesebuch ::