MALTE WOYDT

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Social Media 2

[DE]

“Six years was a long time to be in jail, but it’s an entire era online. Writing on the internet itself had not changed, but reading — or, at least, getting things read — had altered dramatically. …

Blogs were gold and bloggers were rock stars back in 2008 when I was arrested. … People used to carefully read my posts and leave lots of relevant comments, and even many of those who strongly disagreed with me still came to read. Other blogs linked to mine to discuss what I was saying. I felt like a king. …

The hyperlink was a way to abandon centralization — all the links, lines and hierarchies — and replace them with something more distributed, a system of nodes and networks. Blogs gave form to that spirit of decentralization: They were windows into lives you’d rarely know much about; bridges that connected different lives to each other and thereby changed them. …

Since I got out of jail, though, I’ve realized how much the hyperlink has been devalued, almost made obsolete.

Nearly every social network now treats a link as just the same as it treats any other object — the same as a photo, or a piece of text — instead of seeing it as a way to make that text richer. You’re encouraged to post one single hyperlink and expose it to a quasi-democratic process of liking and plussing and hearting: Adding several links to a piece of text is usually not allowed. Hyperlinks are objectivized, isolated, stripped of their powers.

At the same time, these social networks tend to treat native text and pictures — things that are directly posted to them — with a lot more respect than those that reside on outside web pages. One photographer friend explained to me how the images he uploads directly to Facebook receive a large number of likes, which in turn means they appear more on other people’s news feeds. On the other hand, when he posts a link to the same picture somewhere outside Facebook — his now-dusty blog, for instance — the images are much less visible to Facebook itself, and therefore get far fewer likes. …

Apps like Instagram are blind — or almost blind. Their gaze goes nowhere except inwards, reluctant to transfer any of their vast powers to others, leading them into quiet deaths. The consequence is that web pages outside social media are dying. …

Fewer users are directly checking dedicated webpages, instead getting fed by a never-ending flow of information that’s picked for them by complex –and secretive — algorithms. The Stream means you don’t need to open so many websites any more. You don’t need numerous tabs. You don’t even need a web browser. You open Twitter or Facebook on your smartphone and dive deep in. The mountain has come to you. Algorithms have picked everything for you. …

Here’s no question to me that the diversity of themes and opinions is less online today than it was in the past. New, different, and challenging ideas get suppressed by today’s social networks because their ranking strategies prioritize the popular and habitual. … But diversity is being reduced in other ways, and for other purposes.

Some of it is visual. Yes, it is true that all my posts on Twitter and Facebook look something similar to a personal blog … But I have very little control over how it looks like; I can’t personalize it much. …

The centralization of information also worries me because it makes it easier for things to disappear. … What if my account on Facebook or Twitter is shut down for any reason? …

Maybe it’s that text itself is disappearing. After all, the first visitors to the web spent their time online reading web magazines. Then came blogs, then Facebook, then Twitter. Now it’s Facebook videos and Instagram and SnapChat that most people spend their time on. There’s less and less text to read on social networks, and more and more video to watch, more and more images to look at. Are we witnessing a decline of reading on the web in favor of watching and listening?

The web was not envisioned as a form of television when it was invented. But, like it or not, it is rapidly resembling TV: linear, passive, programmed and inward-looking. …
In the past, the web was powerful and serious enough to land me in jail. Today it feels like little more than entertainment. …”

aus: Hossein Derakhshan: The Web We Have to Save. Medium.com, 14.07.2015

Abb.: Pawel Kuczynski: Blinkers, pictorem, im Internet.

07/15

23/07/2015 (1:17) Schlagworte: EN,Lesebuch ::

Soziale Medien 2

[EN]

“Sechs Jahre sind eine lange Zeit im Gefängnis, aber online ist es eine ganze Ära. Das Schreiben im Internet hatte sich nicht verändert, aber das Lesen – oder zumindest das Gelesenwerden – umso dramatischer. …

Im Jahr 2008, als ich verhaftet wurde, waren Blogs pures Gold und Blogger waren Rockstars. … Man las meine Beträge aufmerksam und die Leser hinterließen viele relevante Kommentare. Selbst diejenigen, die überhaupt nicht meiner Meinung waren, besuchten meine Seite. Andere Blogs verlinkten auf meine Beiträge, um zu diskutieren, was ich schrieb. Ich fühlte mich wie ein König. …

Der Hyperlink war eine Möglichkeit, jegliche Zentralisierung – die Verbindungen, Linien, und Hierarchien – hinter sich zu lassen, und sie durch etwas Dezentrales zu ersetzen:  ein System aus Knoten und Netzwerken. Blogs gaben diesem Geist der Dezentralisierung eine Form: Sie waren Fenster zu unbekannten Leben, Brücken, die diese unterschiedlichsten Leben miteinander verbanden und sie dabei veränderten. …

Seit ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, ist mir aufgefallen, wie sehr der Hyperlink entwertet wurde, und nun nahezu überflüssig ist.

Jetzt behandelt fast jedes soziale Netzwerk einen Link so wie jedes andere Objekt  – wie ein Foto oder ein Stück Text  – und nicht als eine Bereicherung. Du wirst aufgefordert, einen einzigen Hyperlink zu teilen und ihn dem quasi-demokratischen Prozess von Likes, Plus und Herzen auszusetzen: Einem Text verschiedene Links hinzuzufügen ist in der Regel nicht erlaubt. Hyperlinks werden objektiviert, isoliert, ihrer Macht beraubt.

Gleichzeitig behandeln diese sozialen Netzwerke diejenigen Texte und Bilder, die direkt in ihnen geteilt werden, mit viel mehr Respekt, als alles, was außerhalb auf anderen Websites liegt. Ein befreundeter Fotograf erklärte mir das anhand seiner Bilder: Alles, was er direkt auf Facebook hochlädt, bekommt viele Likes und taucht somit häufiger in den Newsfeeds anderer Leute auf. Wenn er einen Link postet – zu seinem mittlerweile verstaubten Blog beispielsweise – sind diese Links viel weniger sichtbar und erhalten daher viel weniger Likes. …

Apps wie Instagram sind blind oder beinahe blind. Ihr Blick richtet sich nur nach innen, unwillig, ihre unermessliche Macht an andere zu verteilen, die so einen leisen Tod sterben. Die Konsequenz ist, dass Websites außerhalb sozialer Medien sterben. …

Immer weniger Nutzer besuchen ausgewählte Websites direkt. Stattdessen werden sie von einem endlosen Informationsfluss gefüttert, der für sie aus komplexen  – und geheimen  – Algorithmen zusammengestellt wurde. Dank des Datenstroms brauchst du nicht mehr so viele Websites zu öffnen. Du benötigst nicht mehr so viele Tabs im Browserfenster. Du brauchst eigentlich nicht mal einen Browser. Du öffnest Twitter oder Facebook auf deinem Smartphone und tauchst tief ein. Der sprichwörtliche Berg ist zu Dir gekommen. Algorithmen haben schon alles für dich ausgewählt. …

Ohne Zweifel gibt es heute weit weniger Vielfalt an Themen und Meinungen im Netz als früher. Neue, andersartige und streitbare Ideen werden in den heutigen sozialen Netzwerken unterdrückt, weil deren Platzierungslogik das Beliebte und Gewohnte belohnt … Aber Vielfalt wird auch auf anderen Wegen und für ganz andere Zwecke reduziert.

Manche davon sind visueller Art. Es stimmt schon, dass alle meine Statusmeldungen auf Facebook und Twitter beinahe wie ein Blog aussehen … Aber ich habe sehr wenig Kontrolle darüber, wie es aussieht; ich kann fast nichts personalisieren. …

Diese Informationszentralisierung ist auch deshalb beunruhigend, weil Dinge leichter verschwinden. … Was … passiert, wenn mein Konto auf Facebook oder Twitter aus irgendeinem Grund geschlossen wird? …

Vielleicht ist es [auch] der Text an sich, der verschwindet. Immerhin haben die ersten Nutzer des Internets einen Großteil ihrer Zeit mit dem Lesen von Webmagazinen verbracht. Dann kamen Blogs, dann Facebook, dann Twitter. Jetzt sind es Facebook-Videos, Instagram und SnapChat, die unsere Aufmerksamkeit beanspruchen. In sozialen Netzwerken findet sich immer weniger Text zum Lesen, dafür umso mehr Videos und Bilder. Beobachten wir den Niedergang des Lesens zugunsten des Sehens und Hörens im Netz? …

Das Netz wurde nicht als Form des Fernsehens konzipiert. Aber ob wir es mögen oder nicht, es ähnelt ihm immer mehr: linear, passiv, programmatisch durchgeplant und selbstbezogen. … Früher war das Internet mächtig und ernsthaft genug, um mich ins Gefängnis zu bringen. Heute ist es nur wenig mehr als Unterhaltung. …”

aus: Hossein Derakhshan: Das Internet, das wir bewahren müssen. ZEIT Online,
Abb.: Pawel Kuczynski: Blinkers, pictorem, im Internet.

07/15

23/07/2015 (1:04) Schlagworte: DE,Lesebuch ::