MALTE WOYDT

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Bildungskrisen

“In westlichen Gesellschaften … wurden seit Ende des 19. Jahrhunderts ständig ‘Erziehungskrisen’ beschworen, die also entweder immer da sein müssten oder auf geheimnisvolle Weise nie eintreten. Im ersten Fall wäre die Erziehung gleichbedeutend mit der eigenen Krise, was absurd ist; im zweiten Fall wäre Krise nur ein ständiges Gerede, das allein die Medien beschäftigt. Tatsächlich aber reagieren Erziehungsinstitutionen … auf Krisen immer positiv, also nie achselzuckend oder gleichgültig. Krisen sind dazu da, überwunden zu werden, und Katastrophen dürfen nie wirklich die pädagogische Existenz bedrohen, so dass immer genügend Gewissheit vorhanden ist, die Umkehr zu erreichen und einen neuen Weg einschlagen zu können. …

Alle diese ‘Krisen’ sind mit starken Medieninszenierungen und sehr schwachen Normalitätsannahmen verbunden gewesen, die vor allem ein Thema kannten, angesichts der Situation die rasche Wendung zum Besseren oder eine neue Erziehung, die die alte ablösen sollte. Die Deutung der Krisen wird weitgehend kritiklos übernommen, es werden keine methodologischen oder erkenntnistheoretischen Fragen gestellt, der Fokus auch der wissenschaftlichen Diskussion richtet sich auf Verbesserung der Praxis, deren Defizite festzustehen scheinen. Daher ist der Ausgang der Krise immer ein praktischer:

  • Der Sputnik-Schock [1957] wurde mit Forderungen nach weitreichenden Curriculumrevisionen verbunden,
  • die deutschen Bildungskatastrophe [1964] zog einen Umbau des Bildungssystems nach sich,
  • aus ‘A Nation at Risk’ [1983] entwickelte sich das „Standard-Movement,
  • der ‘Aufbruch in der Bildungspolitik’ [1997] hatte Organisationsreformen zur Folge
  • und PISA [2001] führt zum Aufbau eines zielorienterten Kontrollsystems. …

‘Bildungskrisen’ sind interessierte Konstrukte, sie werden erfunden, um Politik in Gang zu bringen. …

  • Krisenszenarien entwickeln aus Anzeichen Gesamtbilder, die einen Panorama-Blick auf das Ganze des Systems ermöglichen sollen.
  • Der Blick richtet sich von der Gegenwart in die Zukunft, weitgehend unter Missachtung von Erfahrungen der Vergangenheit.
  • Für ihre Erfinder sind Krisen daher nie Wiederholungen, das würde die „Krise“ erheblich abschwächen und unglaubwürdig machen, sondern immer Originale, die dringlich Handlungsbedarf nahe legen.

Bildungskrisen sind spezielle Konstruktionen von ziemlicher Prognoseschwäche. Es sind … pädagogische Aufrufe, die eine bestimmte Situation reflektieren und zumeist stark Zeitgeist gebunden argumentieren. Es sind umgekehrte Kassandra-Rufe, nämlich Warnungen, die gehört werden, obwohl oder weil sie nur Weissagungen sind. …

Alle meine Stichworte … stammen aus Expertendiskussionen, die scheinbar selbstlos auf schwere Krisensymptome reagieren, unmittelbar Abhilfe schaffen wollen und natürlich Interesse habe, dass die Krise möglichst lange dauert oder nach ihrer Bewältigung möglichst schnell eine neue Krise erfunden wird.”

aus: Jürgen Oelkers: “Pädagogik der Gegenwart”, Vorlesung im WS 2002/2003, 20.10.2002, im Volltext im Internet, S.3, 25, 27/28, 53/54, etwas umgestellt.

Abb.: Hendra Hehe: TV eye – TV girl, 2011, indieguerillas, im Internet.

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25/11/2015 (12:07) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Antworten

“Nein. Keiner erwartet eine Antwort. Alles ist bereits Antwort. Keiner fragt, denn keiner weiß, daß man überhaupt fragen kann. Alle sind sie nur mit den Antworten groß geworden, denkt der Lehrer, aber es sind keine Antworten auf Fragen, vielmehr sind es Scheinantworten, sie dienen dazu, der Frage zuvorzukommen, die Frage zu verhindern, sind dazu entworfen, den Willen der Frage im Keim zu ersticken, die Frage so zu verdecken, als gäbe es sie nicht. Zuerst kam die Antwort, so denkt mein Freund, und dann erst die Frage, das steht schon in der Bibel … und als die Frage kam, kam sie wie der Poet zur Verteilung der Güter dieser Erde, zu spät, für sie gab es keinen Platz mehr, so denkt der Lehrer.”

aus: Wolfgang Hildesheimer: tynset, Frankfurt/Main: Surkamp 1965, Seite 136/137

Abb.: Lee Lorenz, The New Yorker, 27.2.1989.

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24/11/2015 (13:05) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

2015 (nl)

Wat zijn er dus de lessen uit 2015? Vrede, vrijheid, civiele maatschappij zijn bedreigd. Door haat en geweld.

Daesh, Assad, FN en Pegida zitten in hetzelfde kamp, landen die burgerdoelwitten bombarderen en ministers die hele gemeentes willen opkuisen eveneens. Ze genieten steun van financiers (Saudi-Arabië, Qatar…), van ons wapenleveringen, van Arabische complottheorieën, die pretenderen, dat de aanslagen in Parijs door de staatsveiligheid werden geënsceneerd en van media die ons willen geloven dat de scheidslijn niet tussen vreedzame en geweldachtige burgers gaat, maar tussen moslims en de rest.

Syriers die Daesh of Assad ontvluchten, Fransen die in een concertzaal worden uitgemoord en Turkse pittabakkers die door Duitse neonazi’s werden gedood, zitten in het andere kamp, dat van de slachtoffers.

Bruggenbouwers verdienen ons steun: Le Foyer, Artsen zonder grenzen. Maar er zijn er tot nog toe veel te weinig structuren om te steunen: Werk voor 2016.

Malte, 20.11.15

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24/11/2015 (10:17) Schlagworte: NL,Notizbuch ::

Büro

“Möglicherweise wäre alles dasselbe gewesen, wenn er in ein Büro hätte gehen müssen. Wo liegt der Unterschied? In der Regelmäßigkeit? In der Unregelmäßigkeit? Aus einiger Entfernung gesehen kann er tatsächlich erscheinen wie ein Tier mit regelmäßigen Gewohnheiten. Würde er im Büro nicht Verabredungen nur deshalb treffen, weil sie die Bürozeit unterbrechen? Würde er nicht abends länger bleiben, um eine Entschuldigung zu haben, morgens später zu kommen? Er hatte manchmal das Objektivierende eines Büros mit einem gewissen Neid betrachtet. Die Möglichkeit, nicht länger man selbst, sondern ein ersetzbarer Einrichtungsgegenstand zu sein.”

aus: Helmut Heißenbüttel: D’Alembergs Ende. Neuwied/Berlin: Luchterhand 1970, S.69

Abb.: Claudia Wirth: Open Space, 2023, Ausstellung Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten 2024.

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20/11/2015 (0:11) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Innerlichkeit

“‘Macht eine neue Erfindung’ – ruft Rahel aus – ‘die alten sind verbraucht!’ Ich fürchte nur, wir stehen an der Grenze unseres Witzes und sind alle für den Himmel reif, was NB. der schlechteste Zustand auf Erden ist. Unser Leben ist so innerlich geworden; es kann ohne ein Wunder nicht wieder äußerlich werden. Dies stete Bespiegeln und Auskundschaften unsrer selbst: wohin führt es? Nicht einmal zum Irrtum, höchstens zu einer verzweiflungsvollen Ahnung unserer eigenen schauerlichen Unendlichkeit, zu einem Punkt, wo uns das eigne Ich als das furchtbarste Gespenst gegenübertritt. Freilich ist hier Hunger und Sättigung eins, denn wir können keine neue Frage tun, ohne zuvor eine neue Anschauung gewonnen zu haben; aber es heißt doch, die Wahrheit durch die Tortur auspressen und mit dem Saft des Lebens den Baum der Erkenntnis düngen. Es ist etwas ganz, ganz anderes, ob die Welt, der Zufall, das Schicksal dem Menschen die Fragen vorlegt, oder ob er sich selbst fragt. Man kann sich selbst fremd werden, das ist der umgekehrte Wahnsinn und der letzte, d.h. tiefste Abgrund, in den man stürzen kann.”

aus: Friedrich Hebbel: Tagebücher, 1838. In: ders. Werk in zwei Bänden. 2. Bd., München: Hanser 1952, S.396/97.

Abb.: Johan Heartfield: O Tannenbaum, Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, 1934, im Internet.

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12/11/2015 (22:52) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Ondernemingszin

“Begrippen als creatief, initiatief, assertief, proactief, het heft in eigen handen nemen, zelfstandig zijn, zelfredzaam zijn, onafhankelijk worden… zijn tegenwoordig ontzettend populair. … Meer dan ooit tevoren dromen mensen ervan om ondernemer te worden; ze willen allemaal ‘voor zichzelf beginnen’. Maar dat gaat niet vanzelf. Als een van mijn cliënten die wens uitspreekt, vraag ik hem om eerst iets heel banaals te proberen. ‘Sluit in de supermarkt aan de kassa aan de langste rij aan en knoop met de persoon voor je een gesprek aan. Hou dat vol tot hij of zij afgerekend heeft.’ Zo goed als niemand ziet dat zitten. ‘Ik wou even testen tot wat je bereid bent, maar als dit al een brug te ver is, zit zelfstandig ondernemen er niet meteen in.'”

aus: Jeffrey Robert Wijnberg: De sleur van het leven is geweldig. Interviewt durch Jan Stevens, De Morgen 2.11.15

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06/11/2015 (11:40) Schlagworte: Lesebuch,NL ::