“Heidegger sagt, ganz stolz: ‘Die Leute sagen, der Heidegger ist ein Fuchs.’ Dies ist die wahre Geschichte von dem Fuchs Heidegger:
Es war einmal der Fuchs, dem gebrach es so an Schläue, daß er nicht nur in Fallen ständig geriet, sondern den Unterschied zwischen einer Falle und einer Nicht-Falle nicht wahrnehmen konnte. Dieser Fuchs hatte noch ein Gebrechen, mit seinem Fell war irgend etwas nicht in Ordnung, so daß er des natürlichen Schutzes gegen die Unbilden des Fuchsen-Lebens ganz und gar ermangelte. Nachdem dieser Fuchs sich seine ganze Jugend in den Fallen anderer Leute herumgetrieben hatte und von seinem Fell sozusagen nicht ein heiles Stück mehr übrig geblieben war, beschloß er, sich von der Fuchsenwelt ganz und gar zurückzuziehen, und ging an die Errichtung des Fuchsbaus. In seiner haarsträubenden Unkenntnis über Fallen und Nicht-Fallen und seiner unglaublichen Erfahrenheit mit Fallen kam er auf einen unter Füchsen ganz neuen und unerhörten Gedanken: Er baute sich eine Falle als Fuchsbau, setzte sich in sie, gab sie für einen normalen Bau aus (nicht aus Schläue, sondern weil er schon immer die Fallen der Anderen für deren Baue gehalten hatte), beschloß aber, auf seine Weise schlau zu werden und seine selbstverfertigte Falle, die nur für ihn paßte, zur Falle für Andere auszugestalten. Dies zeugte wieder von großer Unkenntnis des Fallenwesens: In seine Falle konnte niemand recht rein, weil er ja selbst drin saß. Dies ärgerte ihn; schließlich weiß man doch, daß alle Füchse gelegentlich trotz aller Schläue in Fallen gehen. Warum sollte es eine Fuchsenfalle, noch dazu vom in Fallen erfahrensten aller Füchse hergerichtet, nicht mit den Fallen der Menschen und Jäger aufnehmen können? Offenbar, weil die Falle sich als solche nicht klar genug zu erkennen gab. Also verfiel unser Fuchs auf den Einfall, seine Falle schönstens auszuschmücken und überall klare Zeichen zu befestigen, die ganz deutlich sagten: Kommt alle her, hier ist eine Falle, die schönste Falle der Welt. Von da an war es ganz klar, daß in diese Falle sich kein Fuchs je unabsichtlicherweise hätte verirren können. Dennoch kamen viele. Denn diese Falle diente ja unserem Fuchs als Bau. Wollte man ihn im Bau, wo er zu Hause war, besuchen, mußte man in seine Falle gehen. Aus der freilich konnte jeder herausspazieren außer ihm selbst. Sie war ihm wort-wörtlich auf den Leib geschnitten. Der Fallen-bewohnende Fuchs aber sagte stolz: So viele gehen in meine Falle, ich bin der beste aller Füchse geworden. Und auch daran war etwas Wahres: Niemand kennt das Fallenwesen besser, als wer zeitlebens in einer Falle sitzt.”
aus: Hannah Arendt: Denktagebuch, Juni 1953, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.165 [auch im Internet gefunden: Kult des Fragments]
04/17