“‘… Das weiße Amerika … – Wann immer sie sich eine Form der Schwarzen Kultur wieder einverleibt hatten, versuchten sie die Präsenz schwarzer Menschen in ihr zu tilgen. In den Zwanzigern wurde Paul Whiteman zum ‘King of Swing’ gekrönt, in den Dreißigern Benny Goodman zum ‘King of Jazz’, in den Fünfzigern erschien Elvis Presley als ‘King of Rock ‘n’ Roll’, in den Sechzigern wurde Eric Clapton zum König der Blues-Gitarre gekrönt.’ [Greg Tate: Everything But the Burden 2003]. Und als das Buch von Greg Tate erschien, da hatte gerade ‘der nächste White Negro’ die Bühne betreten: Der Rapper Eminem wurde zum erfolgreichsten Hip-Hop-Künstler der USA…
Die Angehörigen einer herrschenden, ökonomisch bessergestellten Mehrheitskultur beuten kulturelle Errungenschaften einer rassistisch diskriminierten, ökonomisch schlechtergestellten Minderheitenkultur aus. Sie nehmen damit den ursprünglichen Urhebern die Möglichkeit, selber angemessen von ihrer Kunst in ökonomischer Hinsicht zu profitieren; so verwandelt sich die Aneignung in eine Enteignung …
[Man erzählt] die Musikgeschichte als eine Kette von Innovationen weißer Superstars …, obwohl alle wesentlichen Innovationen in der US-amerikanischen Musikgeschichte von schwarzen Menschen stammen; …
[Public Enemy begegnet] der Appropriation schwarzer Musik durch weiße Menschen … mit einer ‘counter appropriation’; sie eignen sich eine von der weißen Hegemonie unsichtbar gemachte Tradition wieder an, indem sie ihre Musik mit Zitaten aus dieser Tradition durchsetzen. …
In den Techniken des Samplings … zeigt [sich] … das Ergebnis einer Gewaltgeschichte, einer Geschichte des Zerreißens von kulturellen Traditionen durch die Entwurzelung ihrer Träger und deren Verstreuung über die Welt. Zugleich aber scheint darin die Erkenntnis auf, dass es kein Zurück hinter diesen Zustand der Entwurzelung gibt … [und] die Vorstellung, dass es so etwas wie kulturelle Reinheit geben könnte, ganz auf die Seite der Kolonialisten gehört. …
‘Counter appropriation’ … verwandelt die historische Erfahrung … der Entwurzelung in die Erkenntnis, dass jede Kultur schon immer heterogen ist – während der Glaube an kulturelle Homogenität und Reinheit sich nur in solchen Kulturen entwickelt, die aufgrund ihrer politischen und ökonomischen Macht .. sich selbst für den Ursprung und das Maß aller Dinge halten. Dass es möglich oder wünschenswert sein könnte, nicht zu appropriieren: Das ist eine Signatur kolonialistischer Selbstverkennung. …
Afrika Bambaataa & Soulsonic Force … durchqueren kulturelle Traditionsfelder, um Gemeinsamkeiten zwischen marginalisierten Gruppen … in deren Bewusstsein zu bringen – zugunsten eines gemeinsamen, solidarischen Kampfes gegen die rassistische Diskriminierung. … Hip-Hop [ist] der Prototyp einer postmodernen Kunst. Er bedient sich bei allem, was ihm zur Verfügung steht. …
Der postkoloniale Theoretiker Edouard Glissart …: ‘Keine Kultur ist heute isoliert von den anderen. Es gibt keine reinen Kulturen, das wäre lächerlich”. …
Wenn Kultur nichts ist, das sich von jemandem besitzen lässt, dann kann sie auch niemandem geraubt werden: ohne Eigentum keine Enteignung. …
Eine Praxis der Appropriation die diese Hybridität und die ambivalente Verfasstheit jeglicher kultureller Identität sichtbar macht, ist eine im ethischen Sinn gute Appropriation. Eine schlechte Appropriation ist hingegen jede, die scheinbar vorgegebene Identitäten hinnimmt und verfestigt, die bestehende Machtverhältnisse ästhetisch ausnutzt und damit politisch zementiert. …
Wer sich dergestalt [mit Verbotsforderungen] zum Fürsprecher marginalisierter Gruppen erhebt, … drängt diese indes … nicht nur unweigerlich in die Position schwacher Opfer ohne eigene Handlungsfähigkeiten. … In ihrer unreflektierten (Verbots-)Variante ist die Kritik der Appropriation dem hegemonialen Diskurs der neoliberalen Fragmentierung und Entsolidarisierung näher, als sie es sich eingestehen will. …”
aus: Jens Balzer: Ethik der Appropriation. Berlin: Matthes & Seitz 2022, S. 29-31, 34, 37, 39-41, 47, 51, 53, 56, 82
Abb.: Michael Cook: Broken Down (Fake #10), 2023, Harper’s Bazaar 2023, im Internet.
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