MALTE WOYDT

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Fernsehen

“… Überhaupt der Zuschauer! Er weiß genau, womit er es zu tun hat. Vor jeder Programm-Illusion ist er gefeit. Die Richtlinien des Gesetzgebers zerplatzen vor seiner Praxis wie Seifenblasen. Weit davon entfernt, sich manipulieren (erziehen, informieren, bilden, aufklären, mahnen) zu lassen, manipuliert er das Medium, um seine Wünsche durchzusetzen. Wer sich ihnen nicht fügt, wird per Tastendruck mit Liebesentzug bestraft, wer sie erfüllt, durch herrliche Quoten belohnt. …

Das Fernsehen wird primär als eine wohldefinierte Methode zur genußreichen Gehirnwäsche eingesetzt; es dient der individuellen Hygiene, der Selbstmeditation. Das Nullmedium ist die einzige universelle und massenhaft verbreitete Form der Psychotherapie.

Insofern wäre es absurd, seine gesellschaftliche Notwendigkeit in Frage zu stellen. Wer es abschaffen möchte, sollte die Alternativen ins Auge fassen, die zur Verfügung stehen. Hier ist in erster Linie an den Drogenkonsum zu denken, von der Schlaftablette bis zum Koks, vom Alkohol bis zum Betablocker, vom Tranquilizer bis zum Heroin.

Fernsehen statt Chemie ist sicherlich die elegantere Lösung. Wenn man an die sozialen Kosten und an die sogenannten Nebenwirkungen denkt, wird man einräumen müssen, daß der Nutzer des Nullmediums eine weise Wahl getroffen hat – ganz zu schweigen von anderen Lösungsmöglichkeiten wie die Flucht in den Autowahn, die Gewaltkriminalität, die Psychose, den Amoklauf und den Selbstmord.

…  der Wattebausch vor den Augen [kommt] der Transzendentalen Meditation recht nahe. So ließe sich auch die quasi-religiöse Verehrung, die das Nullmedium genießt, zwanglos erklären: Es stellt die technische Annäherung an das Nirwana dar. Der Fernseher ist die buddhistische Maschine.”

aus: Hans Magnus Enzensberger: Die vollkommene Leere. Das Nullmedium Oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind, DER SPIEGEL 20/1988, 15.05.1988, im Internet.

Abb.: Fernsehen mit dem Buddha, Buddhistisches Netzwerk Bonn, im Internet.

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26/11/2022 (3:27) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Medienkritik

“… Alle diese Theorien sind schwach auf der Brust. Beweise halten ihre Urheber für entbehrlich. Selbst das Minimalkriterium der Plausibilität macht ihnen keinerlei Kopfzerbrechen. So ist es, um nur ein Beispiel zu nennen, bisher niemandem gelungen, uns außerhalb der psychiatrischen Klinik auch nur einen ‘Fernsehteilnehmer‘ vorzuführen, der außerstande wäre, zwischen einem Ehekrach in der laufenden Serie und an seinem Frühstückstisch zu unterscheiden. Die Verfechter der Simulationsthese scheint das nicht zu stören.

Ebenso kurios, aber vielleicht noch folgenschwerer ist eine andere Gemeinsamkeit der genannten Theorien. Der Nutzer der Medien erscheint in ihnen grundsätzlich als wehrloses Opfer, der Veranstalter dagegen als durchtriebener Täter. Diese Opposition wird mit tiefem Ernst und beachtlicher Gründlichkeit durchgehalten: Manipulatoren und Manipulierte, Vorahmer und Nachahmer, Simulanten und Simulierte, Verblöder und Verblödete stehen einander in schöner Symmetrie gegenüber.

Offen muß dabei die Frage bleiben, auf welcher Seite der jeweilige Theoretiker zu suchen ist. Entweder er macht von den Medien keinerlei Gebrauch, dann weiß er nicht, wovon er spricht; oder aber er setzt sich ihnen aus, dann stellt sich die Frage, durch welches Wunder er ihrer Wirkung entgangen ist; denn im Gegensatz zu allen andern ist er moralisch völlig intakt geblieben, kann souverän zwischen Blendwerk und Realität unterscheiden und erfreut sich völliger Immunität gegenüber der Idiotie, die er bei jenen kummervoll konstatiert. Oder sollten – fataler Ausweg aus dem Dilemma – seine Theorien ihrerseits Symptome einer universellen Verblödung sein?”

aus: Hans Magnus Enzensberger: Die vollkommene Leere. Das Nullmedium Oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind, DER SPIEGEL 20/1988, 15.05.1988, im Internet.

Abb.: Pawel Kuczynski: Disable, 2019, im Internet.

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26/11/2022 (3:21) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Wohlstand 2022

“Richtig kritisch dürfte es nur für Unternehmen werden, die sehr viel Energie brauchen, zugleich stark unter [außereuropäischem] Konkurrenzdruck stehen – und keine hohen Gewinne haben … Und siehe da: So unglücklich sieht es … nur in wenigen Zweigen der Industrie aus.

Die Hersteller von Getränken etwa verbrauchen zwar viel Energie, haben aber hohe Margen – und stehen kaum in Wettbewerb mit Konkurrenten aus Übersee. … Umgekehrt konkurrieren etwa Hersteller von elektrischen Ausrüstungen zwar stark mit außereuropäischen Anbietern – brauchen dafür aber wenig Energie und Gas. Dazwischen liegen Branchen wie die Bekleidungsindustrie, bei denen zwar der Anteil von Gas hoch ist, aber die Energiekosten insgesamt nicht so ins Gewicht fallen. Zudem sind die Margen derzeit stattlich …

Nimmt man all diese Fälle aus … bleiben nur wenige sehr energieintensive Branchen übrig, die tatsächlich akut in Gefahr sind …: vor allem Firmen, die Glas, Keramik und Textilien, sowie mit Abstrichen jene, die Metalle herstellen.

Nun eine Kernschmelze der kompletten Industrie zu beschwören, ist nur absurd. Zumal es im Rest der Wirtschaft seit Jahren schon den Trend gibt, mit immer weniger Energie auszukommen … In Studien sei bislang kein systematischer Zusammenhang zwischen Energiepreisen und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft festgestellt worden. Historische Beispiele von großen Energiekostenschocks wie etwa in Japan nach Fukushima ließen nicht befürchten, dass dadurch eine Deindustrialisierung ausgelöst wird.

Wenn energieintensive Industrien in einem Land schwinden, dessen erklärtes Ziel es ist, nicht mehr energieintensiv zu sein, um das Klima zu retten, dann ist es [übrigens] ziemlich widersinnig, darüber zu klagen …

Umso absurder wirkt das Gejammer, dass wir gerade jäh unseren Wohlstand verlieren. … Der Export liegt auf Rekordniveau. Die Deutschen bekommen … [schon] gerade spürbar weniger für ihr Geld … Entscheidend [aber] ist, ob das so bleibt. Inzwischen schwinden die Lieferengpässe, was manche Preise schon wieder sinken lässt. Ähnliches gilt für Energie. …

Selbst eine so schnelle Korrektur der zuletzt exzessiv gestiegenen Energiepreise wird nicht reichen, um die Verteuerung der Lebenshaltungskosten aus dem vergangenen Jahr völlig wettzumachen. … [Aber] es wäre [andererseits auch] nicht das erste Mal, dass nach einer spekulationsgetriebenen Preisexplosion die Rohstoffkurse kollabieren. …”

aus: Thomas Fricke: Wohlstand am Ende? Deutschlands irre Lust am eigenen Untergang. Spiuegel Online, 18.11.2022, im Internet.

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19/11/2022 (19:25) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Ökologischer Fußabdruck 2

“… Im Jahr 2004 fliegt Wackernagel nach New York. Er weiß noch, wie er die Treppen zur Metro hinabsteigt und ihn plötzlich von allen Wänden ein Satz anschaut: What on Earth is a carbon footprint? …

Der Mineralölkonzern BP hat in diesen Tagen seine große Kampagne veröffentlicht …: Wie groß ist Ihr Fußabdruck? … Reduzieren Sie Ihren Fußabdruck. Aber finden Sie erst heraus, was das ist. Wenig später veröffentlicht BP auf seiner Website den ersten Rechner, mit dem jeder Mensch seinen eigenen Fußabdruck kalkulieren kann.

… Ein Text wird eingeblendet, dass BP nun saubereres Benzin verkaufe. Dann kommt das Logo von BP mit der Sonnenblume. ‘It’s a start.’ …

20 Jahre nach Beginn der Kampagne ist das Unternehmen immer noch ein fossiler Konzern. Laut einer Studie ist BP allein für 1,5 Prozent der weltweiten Emissionen zwischen 1988 und 2015 verantwortlich. …

Nicht die Konzerne, nicht die Politik müssten sich ändern, sondern nur der Konsum des Einzelnen. … Wis­sen­schaft­le­r:in­nen am MIT haben einmal ausgerechnet, dass selbst ein obdachloser US-Amerikaner ohne Auto einen Fußabdruck von über 8 Tonnen Kohlendioxid im Jahr hätte. In einer fossilen Gesellschaft kann niemand seinen Fußabdruck auf einen Wert senken, der die Welt nachhaltig machen würde.”

aus: Kersten Augustin: Wir haben uns verrechnet. Ökologischer Fußabdruck und Klimakrise, taz online, 15.11.22, im Internet.

Abb.: BP campaigm 2004, The Guardian, im Internet.

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16/11/2022 (0:38) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Linksliberalismus

“War schon die Verbindung von links und liberal eine spannende Angelegenheit, so ist der Linksneoliberalismus, in dem sich offenkundig ganze Szenen und Schichten eingerichtet haben, nur in einer Blase zu ertragen, in der sich politische Ohnmacht, ökonomische Korruption und kulturelle Privilegien mit einer beständigen Performance der eigenen moralischen Überlegenheit verbinden lässt.

In dieser Blase scheint man vordringlich damit beschäftigt, die Werte des neuen und alten Liberalismus in Sprach- und Zeichennormen zu verwandeln. …

Das ‘links’ hatte einst die Gefahr einer Leninisierung mit sich gebracht, … und nun zeigt das ‘liberal’ in linksliberal die Gefahr einer Calvinisierung: Die Gemeinde wird zu einem Instrument der wechselseitigen Überwachung und Maßregelung. …

Das ist keineswegs auf … Gendern, Canceln und dergleichen beschränkt … Die Calvinisierung der postlinksliberalen Milieus geht tiefer. Sie bringt das gegenseitige Misstrauen, die Furcht vor intellektueller ‘Ausgelassenheit’ und ein unangenehmes Eiferertum hervor.

Wo man sich zuvor über die gemeinsamen Werte freute, fühlt man sich nun von den Normen unterdrückt. … Mit einer Norm kann man keinen Wert erzeugen. Nur die Entscheidung zwischen Unterwerfung und Trotz. … Das linksliberale Milieu, unser Milieu, braucht dringend frische Luft.”

aus: Georg Seeslen: Korrumpierte Linksliberale: Frische linke Luft braucht’s, taz online, 10.11.22, im Internet.

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10/11/2022 (2:40) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

USA 2022

“If a second civil war breaks out in the US, it will be a guerrilla war fought by multiple small militias spread around the country. Their targets will be civilians – mainly minority groups, opposition leaders and federal employees. Judges will be assassinated, Democrats and moderate Republicans will be jailed on bogus charges, black churches and synagogues bombed, pedestrians picked off by snipers in city streets, and federal agents threatened with death should they enforce federal law. The goal will be to reduce the strength of the federal government and those who support it, while also intimidating minority groups and political opponents into submission.

We know this because far-right groups such as the Proud Boys have told us how they plan to execute a civil war. …

Civil war experts know that two factors put countries at high risk of civil war. The US has one of these risk factors and remains dangerously close to the second. … The first is ethnic factionalism. This happens when citizens in a country organise themselves into political parties based on ethnic, religious, or racial identity rather than ideology. The second is anocracy. This is when a government is neither fully democratic nor fully autocratic; it’s something in between. Civil wars almost never happen in full, healthy, strong democracies. They also seldom happen in full autocracies. Violence almost always breaks out in countries in the middle – those with weak and unstable pseudo-democracies. Anocracy plus factionalism is a dangerous mix.

We also know who tends to start civil wars … The groups that tend to resort to violence are not the poorest groups, or the most downtrodden. It’s the group that had once been politically dominant but is losing power. … Today, the Republican party and its base of white, Christian voters are losing their dominant position in American politics and society as a result of demographic changes …”

aus: Barbara F Walters Beitrag zu: ‘These are conditions ripe for political violence’: how close is the US to civil war?, The Guardian online, 6.11.22, im Internet.

Abb.: Sara Rahbar: Flag #12, Land of Opportunity, 2008-2013, im Internet.

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06/11/2022 (17:48) Schlagworte: EN,Lesebuch ::

Autos

“Sie sind bunt, im Schnitt 4,60 mal 1,90 Meter groß und stehen 23 Stunden täglich am selben Platz.”

aus: Diese Berliner Kieze bestehen am meisten aus Parkplätzen , Tagesspiegel Online, 31.10.22, im Internet Externer link-symbol

Abb.: César: Compression Voiture Venise 1995, im Internet Externer link-symbol

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01/11/2022 (11:22) Schlagworte: DE,Lesebuch ::