MALTE WOYDT

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Osteuropa

“Weil die osteuropäischen Populisten so leidenschaftlich Tradition als Gegenmittel gegen Nachahmung anführen, sind sie gezwungen, ihre Nationalgeschichten immer wieder umzuschreiben. Als sich die Mitteleuropäer in den Tagen des Kalten Krieges gegen Moskaus Forderung wandten, das sowjetische Vorbild zu kopieren, beschrieben sie ‘ihre Tradition’ als fundamental liberal und europäisch … Heute dagegen berufen sie sich auf ‘ihre Tradition’, um ihren Widerstand gegen eine Aufnahme in den liberalen Westen zu rechtfertigen. Diese verblüffende Kehrtwende verdeutlicht, dass es so etwas wie ‘ihre Tradition’ gar nicht gibt …”

aus: Ivan Krastev / Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Berlin: Ullstein 2021 (engl. Originalausg. 2019), S. 113.

08/23

19/08/2023 (0:40) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

EU-Osterweiterung

“Um die Bedingungen für eine EU-Mitgliedschaft zu erfüllen, wurden die mittel- und osteuropäischen Länder in Zuge des angeblichen Demokratisierungsprozesses dazu gedrängt, politische Strategien umzusetzen, die nicht gewählte Bürokraten aus Brüssel oder internationaler Kreditanstalten gestaltet hatten. … Die Wähler tauschten die Amtsinhaber zwar regelmäßig aus, doch die – von Brüssel vorgegebene – Politik änderte sich nicht substantiell. Es war schon schlimm genug, dass sie so tun mussten, als regierten sie sich selbst, während sie doch eigentlich von westlichen Strippenziehern regiert wurden. Das Fass zum Überlaufen brachten dann Besucher aus dem Westen, die ihnen vorwarfen, nur pro forma Demokratie zu spielen, wo doch die politischen Eliten der Region der Ansicht waren, dass man genau das von ihnen verlangt hatte. …

Nach 1989 gehörte … [der] Kontrast zwischen … einer sowjetischen und einer westlichen [Normalität] der Vergangenheit an. Doch sofort entbrannte ein neuer Konflikt …, mit dem wir uns noch heute herumschlagen. Es geht dabei vor allem um eine pathologische Trennung zwischen dem, was im Westen für normal gilt, und dem, was man in Mittel- und Osteuropa dafür hält. …

Offenbar hat die Revolution im Namen der Normalität … politische Traumata hervorgebracht … In den Augen konservativer Polen zur Zeit des Kalten Krieges waren westliche Gesellschaften zum Beispiel normal, weil sie anders als kommunistische Systeme Traditionen pflegten und an Gott glaubten. Heute jedoch haben die Polen erkannt, dass westliche ‘Normalität’ Säkularismus, Multikulturalismus und Homo-Ehe bedeutet. Kann es da überraschen, dass einige Mittel- und Osteuropäer sich ‘betrogen’ fühlen?”

aus: Ivan Krastev / Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Berlin: Ullstein 2021 (engl. Originalausg. 2019), S. 19/20, 76-80.

08/23

19/08/2023 (0:07) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Entnazifizierung 2

“Dass diese Parteien ihre Politik und Rhetorik gemäßigt haben, spiegelt die grundlegende Stärke der Demokratie in Westeuropa wider. Wenn diese grundlegende Annahme nicht beachtet wird, hat das diverse Konsequenzen.

[1] Erstens wird dadurch Angst und Polarisierung verstärkt. Eine Partei als faschistisch zu bezeichnen, obwohl sie es nicht ist, erzeugt Panik bei denen, die die Partei nicht unterstützen – und Verbitterung bei denen, die sie unterstützen. Wenn sich Angst und Polarisierung erst einmal festgesetzt haben, ist es nur allzu leicht, dass sich diese Trends verstärken. Dies kann zu einer allmählichen Schwächung der demokratischen Normen und Institutionen führen, die bisher einen Schutzwall gegen Extremismus bildeten.

[2] Zweitens hat es sich in Bezug auf Wählerstimmen als ineffektiv erwiesen, eine Partei faschistisch zu nennen, wenn sie es nicht ist. … Viele der Wählerinnen und Wähler … wollen nicht die Demokratie an sich stürzen, wie es zum Beispiel die Faschisten der Zwischenkriegszeit wollten. Die Wähler und die Parteien, die sie unterstützen, als faschistisch zu bezeichnen, verstärkt daher oft nur die Ressentiments gegenüber ‘Establishment-Parteien’ und untermauert die Selbstdarstellung, missverstandene … ‘Außenseiter’ zu sein, die doch nur das Beste für das Land wollen.

[3] Drittens: Parteien als faschistisch zu bezeichnen, wenn sie es nicht sind, trägt zu Missverständnissen über den Zustand der heutigen Demokratie bei. Keine Frage, in den Ländern, die im späten 20. Jahrhundert zur Demokratie übergegangen sind, hat es sicherlich teils erhebliche Rückschritte gegeben. Das ist historisch gesehen aber nicht ungewöhnlich oder überraschend: Bei allen früheren demokratischen ‘Wellen’ – beispielsweise 1848 und nach dem Ersten sowie Zweiten Weltkrieg – gab es im Nachgang beträchtliche Rückschritte. Nichtsdestotrotz haben viel mehr Demokratien die Welle des späten 20. Jahrhunderts überlebt als die vorherigen. Hinzu kommt: Von den länger etablierten, reichen Demokratien hat nur eine – die der USA – in letzter Zeit einen signifikanten Demokratieverfall erlebt.

Es ist bemerkenswert, dass demokratische Normen und Institutionen sogar in Ländern wie Italien Bestand haben, wo die Wirtschaft seit Jahrzehnten stagniert und das traditionelle Parteiensystem schon vor längerer Zeit implodiert ist. Gleiches gilt für Griechenland, das in den 2000er und 2010er Jahren eine tiefere Weltwirtschaftskrise erlebte als die, die viele Demokratien in den 1930er Jahren zu Fall brachte. Ähnlich beeindruckend ist die Entwicklung der Demokratien in Spanien und Portugal. …

[4] Viertens: Wenn wir mit dem Begriff ‘faschistisch’ um uns werfen und Ängste vor einem demokratischen Niedergang schüren, verpassen wir die Chance, positive Entwicklungen zu fördern. Das Verhaltensmuster in Richtung Mäßigung unter westeuropäischen Rechtsparteien anzuerkennen, bedeutet nicht, das Potenzial für zukünftige Probleme zu ignorieren oder herunterzuspielen. So hat sich zum Beispiel die Republikanische Partei in den USA in die entgegengesetzte Richtung entwickelt als die meisten ihrer westeuropäischen Pendants: Sie hat sich von einer Mitte-rechts- oder konservativen Partei zu einer rechtsradikalen Kraft entwickelt. …

Es ist durchaus möglich, dass die Mäßigung von Parteien wie Rassemblement National, Fratelli d’Italia und Schwedendemokraten rein taktischer Natur ist. Tief in ihrem Herzen mögen die Anführer dieser Parteien weiterhin antidemokratische Bestrebungen hegen. Aber jeder, der an einer Stärkung der Demokratie interessiert ist, sollte dafür plädieren, rechte Parteien weiterhin auf einen gemäßigten Kurs zu drängen – beziehungsweise endlich einen solchen Druck auf Parteien wie die AfD aufzubauen, die tatsächlich ein sehr zweifelhaftes Bekenntnis zur Demokratie ablegen.

Diesen Druck aufzubauen, ist aber nicht möglich, wenn die Idee einer Mäßigung belächelt oder als unmöglich abgetan wird, anstatt sie zu fördern und zu honorieren. Wenn die heutigen Rassemblement National, Schwedendemokraten und Fratelli d’Italia mit den Faschisten und Nationalsozialisten der Zwischenkriegszeit gleichgesetzt werden – also mit Parteien, die nie einen Hehl aus ihrem Wunsch gemacht haben, die Demokratie zu stürzen, und deren gewalttätiges Verhalten niemals durch ihre Teilnahme an Wahlen gemildert wurde –, dann verpassen die Demokraten die Chance, diejenigen Menschen in diesen Parteien zu stärken, die glauben, dass Mäßigung die beste Vorgehensweise für sie ist.

Abschließend: Bei der Beurteilung der Frage, wie man auf rechtspopulistische Parteien reagieren soll, ist es wichtig, zu unterscheiden zwischen Politik, die man nicht mag, und Politik, die die Demokratie bedroht. Politische Haltungen und Programme, die man ablehnt, kann und sollte man mithilfe von Wahlen, der Zivilgesellschaft, der Presse und all den anderen Mitteln bekämpfen, die die Demokratie bietet. Solange Rechtspopulisten die Gesetze, Verfassungen und die demokratischen Spielregeln respektieren, ist es der beste Ansatz, die Wählerinnen und Wähler mit besseren Ideen von diesen Parteien wegzulocken. Je erfolgreicher es den demokratischen Parteien gelingt, die Wählerschaft davon zu überzeugen, dass sie die besten Lösungen für die Probleme unserer Zeit haben, desto mehr werden die Rechtspopulisten sich gezwungen sehen, sich zu mäßigen – und desto stärker wird die Demokratie.”

aus: Sheri Berman: Mäßigung als Erfolg, IPG-Journal, 15.8.23, im Internet.

08/23

15/08/2023 (17:55) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Nachahmer

“Der Unterschied zwischen dem postkommunistischen China, dem postkommunistischen Mitteleuropa und Russland entspricht sehr genau dem Unterschied dreier Entwicklungsstile oder -strategien: der Nachahmung der Mittel (das ‘Entleihen’), der Nachahmung der Ziele (die ‘Bekehrung’) und der Nachahmung des äußeren Scheins (das ‘Simulieren’):

[1] Die mitteleuropäischen Eliten … waren ehrgeizige Bekehrte, die Normalisierung mit Verwestlichung gleichsetzten und damit einer reaktionären Gegenelite schließlich die Möglichkeit eröffneten, … Symbole der nationalen Identität zu kapern.

[2] Die postsowjetischen Eliten taten zunächst so, als würden sie westliche Normen sowie westliche Institutionen übernehmen … Damit wollten sie ihre Macht bewahren [und] sich mit den Reichtümern ihres Landes die Taschen füllen … Sie waren strategische Blender. …

[3] Die Chinesen waren geniale Aneigner. … [Sie] entleihen maßlos, weigern sich aber, sich zu bekehren. Ebenso wenig haben sie wie Moskau das Bedürfnis verspürt, die westliche Demokratie vorzutäuschen oder die amerikanische Heuchelei bloßzustellen, indem sie die dreisten internationalen Regelbrüche der USA spiegeln. Das Entleihen oder Stehlen von Technologie steigert auf jeden Fall den Wohlstand, während das Imitieren moralischer Werte die eigene Identität bedroht und das Vortäuschen von Demokratie oder das Bloßstellen von Heuchelei sinnlos erscheint.”

aus: Ivan Krastev / Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Berlin: Ullstein 2021 (engl. Originalausg. 2019), S. 285-288.

08/23

11/08/2023 (1:09) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Aufrichtigkeit 2

“Begeisterten Trump-Anhängern sind Enthüllungen über die Ungenauigkeit seiner Aussagen völlig egal, weil sie glauben, dass diese Äußerungen aufrichtig und damit in einem tieferen Sinne ‘wahr‘ sind. Trump verbreitet ständig ganz offenkundige Lügen. In einem Punkt aber ist er immer ganz offen gewesen: Alles, was er tut, und dazu gehört auch das Lügen, soll ihm helfen, zu ‘gewinnen’. Das sagt er ganz klar. Wenn seine Unterstützer ihn also lügen hören, wissen sie, dass er das um eines strategischen Vorteils willen tut, denn genau das hat er angekündigt. Da seine Lügen ihrer Vermutung nach diesem ehrlich ausgedrückten Zweck dienen, sind sie also in einem indirekten Sinn im Grunde wahrhaftig.”

aus: Ivan Krastev / Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Berlin: Ullstein 2021 (engl. Originalausg. 2019), S. 262.

Abb.: Pawel Kuczynski: President, im Internet.

08/23

10/08/2023 (14:50) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Demografische Panik

“Die demografische Panik in Mittel- und Osteuropa speist sich vermutlich aus einer Kombination aus alternder Bevölkerung, niedrigen Geburtenraten und einem endlosen Abwanderungsstrom. …

Die Hysterie rund um nicht existierende Immigranten, die drauf und dran sind, das Land zu überrennen, ist die Substitution einer echten Gefahr (Entvölkerung und demografischer Kollaps), über die man nicht zu sprechen wagt, durch eine scheinbare (Immigration). …

Es ist verräterisch, wenn Orbán sagt: ‘Migration ist für uns so etwas wie eine Kapitulation (…) wir wollen ungarische Kinder.’ Seine Nachwuchspolitik ist ein besserer Indikator für die tatsächlichen Ängste seiner Regierung als das ganze Anti-Immigranten-Gerede ohne Immigranten. …

Gerade einmal 1,6 Prozent der Bürger Polens sind gegenwärtig außerhalb des Landes geboren worden, muslimisch-polnische Bürger machen weniger als 0,1 Prozent der Bevölkerung aus. Und dennoch gelten in den politischen Fieberfantasien der Region ethnische und kulturelle Vielfalt als existentielle Bedrohung. Und während die Polen in ihrem Heimatland nie mit Muslimen in Kontakt kommen, passiert das ihren Landsleuten in Großbritannien durchaus. Dort lebende Polen … [bewohnen] oft dieselben Stadtviertel … wie muslimische Immigranten, mit denen sie um dieselben Jobs konkurrieren. … [Das trägt] – in den sozialen Medien zu Hause nachlesbar – spürbar zu überreizten anti-muslimischen Haltungen in der Region bei …

Hier fällt ins Auge, wie radikal die Werte umgedeutet werden: Jetzt sind die Westeuropäer nicht mehr weit vorn und Mittel- und Osteuropäer weit zurück. In der Rhetorik der fremdenfeindlichen Populisten werden die Westeuropäer nun vielmehr als diejenigen beschrieben, die ihre kulturelle Identität verloren haben. …

Doch wie will man junge Ungarn davon überzeugen, dass es kein besseres ‘Heimatland’ im Westen gebe? Zumal ja gerade Orbàns Politik fast alle Chancen, zu Hause ein kreatives und einträgliches Leben zu führen, zerstört? …

Einwanderungsfeindliche Rhetorik … erscheint als der verzweifelte Versuch, eine Art Loyalitäts-Mauer zu bauen, die das demografische Ausbluten stoppen und die Mittel- und Osteuropäer in ihren Heimatländern halten soll. …

Anders als viele Theoretiker heute meinen, richtet sich der populistische Zorn weniger gegen den Multikulturalismus als vielmehr gegen den postnationalen Individualismus und Kosmopolitismus.”

aus: Ivan Krastev / Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Berlin: Ullstein 2021 (engl. Originalausg. 2019), S. 59-65.

Abb.: Gyula Szabó: The pool of memories, 2018, im Internet.

08/23

10/08/2023 (2:57) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

EU

“You are more than your myths. But to be the hope that the rest of us outside of Europe need, you must come to terms with history. The idea that Europe is a group of nation states that chose integration is a fatal myth. It is killing the future.

The European Union is the creation of failed or failing European empires. At the beginning is Germany. The Germans were defeated in 1945 after the most decisive and most catastrophic war of colonialism of all time. We remember it as the Second World War. Italy in 1945 also lost a colonial war in Africa and in the Balkans. Not long after, in 1949, the Netherlands lost a colonial war in the East Indies. Belgium lost the Congo in 1960. France, having been defeated both in Indochina and Algeria, makes a decisive turn to Europe in the early 1960s. … These are the powers that initiated the European project. None of them were nation states at the time. None of them had ever been nation states.

The same is true for the countries who first joined the European Union. …

When the European Union admitted east and central European states … it provided a home for the states that were created after the First World War …: Austria, Czechoslovakia, Poland, the Baltic States … All six of them ceased to exist soon after. The history of nation states in Europe tends to be nasty, brutish and short.

The European Union today is an assembly of two kind of states: those that used to be at the centre of empires, and those that were on the periphery. In both cases, the question of what to do after empire has been answered – and then forgotten. …

Your myth that you as nation states came together turns your head away not just from the responsibility for imperialism, but also from the scale of your own achievement in recovering from empire. The story of the end of empire is not usually one of the affirmation of sovereignty and the rapid recovery of prosperity.

The European story is nice. It’s a nice story about innocent, small European nation states who, in their nice little way, realized that economic interests united them. It’s a nice story but it’s not history. The history of the twentieth century is that European powers, which had dominated the world for the previous half millenium, found themselves forced to pull back to Europe, where they created something new. …

It is not visible from inside but is very clear from the outside that the European Union strengthens the European state. The debate about sovereignty inside the European Union makes no sense. There have never been so many European states lined up next to each other, ever. The reason why they are so strong internally and externally is precisely the European Union.

It strengthens its members by making the maintenance of welfare states easier here than elsewhere. As an American, this is something I would like to report. One does notice the difference.

The European Union also protects the state externally: it is the most powerful buffer against the forces of globalisation that exists in the world. If you want to feel the difference, leave the European Union.

That was a rhetorical statement. Do not leave the European Union!

… Isn’t it interesting that you have enemies? And isn’t it interesting that they are always the defenders of a completely untenable status quo? Behind your enemies are the imperialists of an exhausted earth.

You have enemies because you have a future. Your enemies try to take your future away. Have you noticed how the future has almost disappeared from the horizon of politics? This is not an accident.

All your enemies – the Russian ones, the American ones, the Chinese ones, the ones whose sponsorship we don’t yet know – always attack you at your weakest point: your myth. They always attack your idea of nation states. They affirm your weakness and irresponsibility by affirming your comfortable myth. They see your vulnerability even if you don’t see it yourself.

This is where I’m going to conclude. You, Europeans are responsible of where memory goes. Memory of war, Holocaust, and European integration can tend towards reasserting a myth about small, innocent nation states that bear little responsibility for the past or for the future. Or memory can flow into history in which you ran the world for half a millennium, created something new in the second half of the twentieth century and now bare particular responsibility for how things turn out in the twenty-first.

In the three critical questions – of ecological panic, state destruction, and dehumanization – the European Union has more power than any other entity at this particular moment in time. You can follow the myth into a past that wasn’t, or you can follow the history into a future, which is uncertain, but is at least real. The myth will lead you into comfort, then fragmentation and humiliation. The history will lead to pain, but it will also lead to responsibility and power.

Schuman spoke of a living Europe: ‘Une Europe organisée et vivante.’ He spoke of a Europe that would create: ‘Une Europe créateur.’ Schuman spoke of Europe that could serve the peace of the rest of the world. And as a non-European, asked to address Europeans, this was for me especially significant.

You are more than your myths. For those of us on the outside, you are also a source of hope about the future.”

aus: Timothy Snyder, Judenplatz 1010, A Speech to Europe, 13.5.2019, im Internet.

Abb.: Scopatore: European_Empire_Coat_of_Arms, althistory, im Internet.

08/23

09/08/2023 (21:23) Schlagworte: EN,Lesebuch ::

Corona 2

“Die Coronapandemie hat bei allen Altersgruppen zu schweren Einschnitten des normalen Lebensrhythmus geführt. Viele Menschen haben das Gefühl, aus dem Tritt geraten zu sein, die Kontrolle verloren zu haben, sie sind erschöpft. Man kann eine Analogie zum Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung ziehen. …

Da weiß man, dass das wahre Ausmaß einer Belastung sich erst zeigt, wenn man die akute Krise eigentlich schon hinter sich hat. Einen solchen Effekt beobachten wir in allen Altersgruppen, bei jungen Leuten besonders stark. Wir haben es mit einer psychisch sehr belasteten, sehr erschöpften Bevölkerung zu tun. Die bräuchte jetzt eigentlich Ruhe. Aber stattdessen stehen wir vor den nächsten Krisen: Klima, Krieg, Inflation, vielleicht auch noch eine Fluchtbewegung. Auch diese Krisen können von einem Individuum nicht mit eigenen Ressourcen bewältigt werden. Es ist die nächste Überforderung. …

Die Belastungssymptome gehen in drei Richtungen. …

[1] nach innen … Angst- und Essstörungen und Depressionen. …

[2] nach draußen, … Aggressivität, … politisch extreme Haltungen. …

[3] Sucht als Ausweichstrategie, um sich Entlastung zu verschaffen … [auch] Verschwörungstheorie zum Beispiel, … Die gibt mir Sicherheit, weil ich weiß, woran es liegt. Ich habe die Ursache gefunden … ich kenne den Schuldigen … ich kann also nichts tun. …

Nach dem Konzept der Salutogenese des Soziologen Aaron Antonovsky braucht der Mensch … drei Dinge …:

[1] das Gefühl … ich kann die Welt verstehen,

[2] dass … die Herausforderungen, die vor mir liegen, machbar sind,

[3] dass … es sich … lohnt, in die Zukunft zu investieren. …

Wenn dieses Gefühl Schaden nimmt, dann werde ich pessimistisch, glaube weder an mich noch an die Gesellschaft und suche nach rettenden Strohhalmen. …

Notwendig ist eine ermutigende und ermächtigende Politik, das, was im Englischen so schön Empowerment heißt. …

Alle Erfahrungen aus der Psychiatrie sagen, dass eine posttraumatische Belastungsstörung heilbar ist. Das braucht Zeit, der wichtigste Schritt ist, wieder die Kontrolle über das eigene Leben zu gewinnen. Dazu muss ich das Trauma, was mich umgeworfen hat, verstehen. Ich muss anerkennen, dass es jetzt Bestandteil meines Lebens ist und ich damit leben muss. Wichtig ist dabei, dass ich nicht ständig an das Ohnmachtsgefühl erinnert werde. Deswegen ist es bei den großen politischen Herausforderungen jetzt so wichtig, dass die Regierung mit der Bevölkerung einen Minimalkonsens herstellt. … Alle … müssten zeigen, dass sie in der Lage sind, eine große Herausforderung gemeinsam zu lösen. Auf keinen Fall getroffene Vereinbarungen wieder infrage stellen, das unterhöhlt jede Glaubwürdigkeit und jede Verlässlichkeit. Ich glaube, das ist das Schlimmste, was der Ampel passiert ist.”

aus: Klaus Hurrelmann: Die Bevölkerung ist erschöpft, interviewt durch Sabine am Orde, taz online, 3.8.23, im Internet.

Abb.: RF Art: Corona, 2021, im Internet.

07/23

06/08/2023 (2:53) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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