“Heute ist es ein wesentliches Element des postmodernen Neo-Totalitarismus. Nichts ist verborgen. … Trump macht keinen Versuch, zu verbergen, dass für ihn alle Beziehungen transaktionaler Natur sind.
Er tut nicht einmal so, als würde er Prinzipien verfolgen oder dem Leben anderer einen Wert beimessen, und er unternimmt keinerlei Versuche, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Gewalt zu verbergen. Seine Kundgebung im Madison Square Garden vor zehn Tagen war ganz bewusst einer US-amerikanischen Nazikundgebung aus dem Jahr 1939 nachempfunden. Die Redner auf der Kundgebung bezeichneten Kamala Harris’ Berater als ‘Zuhälter’, Hillary Clinton als ‘kranken Hurensohn’ (sic!), Puerto Rico als ‘schwimmende Müllinsel’ und Kamala Harris als ‘Antichrist’.
‘Amerika ist für Amerikaner und nur für Amerikaner’, sagte Trumps politischer Berater Stephen Miller und griff damit nicht zufällig einen Redner auf der Kundgebung von 1939 auf, der versprach, ‘Amerika den wahren Amerikanern zurückzugeben’. Die Trumpisten sprechen die stummen Töne laut aus und versprechen weiße Vorherrschaft und Gewalt und Listen derer, die gesäubert werden sollten. Jetzt spricht Trump offen über den Einsatz des amerikanischen Militärs gegen den ‘Feind im Inneren’ – und seine Anhänger scheinen es zu lieben. Es wird zu Gewalt kommen. …
Diese Wahl unterscheidet sich von 2016 – auch in der Qualität des Wahlkampfs der Demokratischen Partei. Vor acht Jahren herrschte in der Demokratischen Partei zu viel Selbstzufriedenheit; es schien unvorstellbar, dass Trump jemals gewinnen könnte. Diesmal hat Joe Biden einen historischen Schritt getan und ungeachtet seiner Fehler entsprang sein Rücktritt eindeutig einem echten Verantwortungsgefühl für sein Land.
Nachdem er angekündigt hatte, dass er sich aus dem Rennen zurückziehen werde, kam es zu einer noch nie dagewesenen Einigkeit in der Demokratischen Partei. Von Doug Emhoff über Tim Walz und Pete Buttigieg bis hin zu Jamie Raskin – sie allesamt leisteten fantastische Arbeit bei der Darstellung einer fürsorglichen, weder bedrohlichen noch bedrohten Männlichkeit, die ein Gegenmittel zur toxischen Männlichkeit von Trump und Putin darstellt.
Michelle Obama hielt noch kurz vor der Wahl eine der größten feministischen Reden aller Zeiten. Ihr tiefes Eintauchen in den Preis, den Frauen für Einschränkungen der reproduktiven Gesundheit zahlen, war brillant und mutig und einzigartig auf dieser Art von politischer Bühne. Kamala Harris und Mike Walz führten ihren Wahlkampf mit außerordentlicher Energie und ließen sich von Trumps Infantilismus nicht provozieren.
Dass wir Amerikaner uns selbst und alle anderen freiwillig einem Faschisten ausgeliefert haben, ist keinesfalls einem schwachen Wahlkampf von Harris zuzuschreiben, denn es war kein schwacher Wahlkampf. Und sie war auch keine schwache Kandidatin. Nur wir sind eine schwache Spezies.
Die schreckliche Wahrheit ist, dass etwa 72 Millionen Amerikaner für Trump gestimmt haben, nicht trotz der Tatsache, dass er ein durchgeknallter Narzisst ist, sondern gerade deswegen. Seine Kampagne hatte nichts Subtiles.
Wir können nicht sagen, dass wir Amerikaner nicht verstanden haben, wer er ist: Er hat uns jeden Tag genau gesagt, wer er ist. Heute schäme ich mich dafür, Amerikanerin und Mensch zugleich zu sein.”
Marci Shore: Wahl in den USA: Sie wussten, was sie tun, taz online, 9.11.24, im Internet.
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