Nation
“Für die Künder einer multikulturellen Zukunft ist die Nation historischer Plunder, den sie gerne loswürden. Um ihren Argumenten und Forderungen moralisches Gewicht zu verleihen, greifen sie aber unbekümmert auf die Nation zurück. … Die Gewalttätigkeiten gegen Ausländer werden nicht als zu bekämpfende Erscheinungen des multikulturellen Alltags verstanden, sondern als Wiedererwachen deutschen Ungeistes, gegen den man sich aus dem Arsenal antifaschistischer Rituale wappnet.
Wer mit deutscher Schuld und Verantwortung argumentiert, setzt die Nation als eine historische Schicksalsgemeinschaft und einen gegen andere abgegrenzten Erfahrungsraum voraus, daß Bürgerschaft mehr ist als das bloße Bekenntnis zur Verfassung. Wer verlangt, daß ein Volk aus der Geschichte lerne, muß annehmen, daß da ein Volk existiert, das sich in einer Geschichte wiedererkennt. Es ist die schlechte Pointe des ‘Verfassungspatriotismus’, daß er sich als eine speziell auf die Deutschen gemünzte Therapie verstand.
Was aber sollte in der multikulturellen Republik der Zukunft ein aus Polen stammender Bundespräsident an einem ersten September sagen, dem Tag, als Hitlers Wehrmacht 1939 in Polen einfiel? Sollte er sagen “wir Deutsche” – denn er wäre ja Bürger der Republik Deutschland – hätten eine “besondere Verpflichtung” zur Friedenspolitik? Sollte er bekräftigen, daß die – multikulturell bunt gemischte – Bundeswehr nicht außerhalb des Bündnisses eingesetzt werde? …
Es ist wahr: Die Vorstellung, Einwanderer sollten sich nicht nur zur Verfassung, sondern auch zur deutschen Geschichte bekennen, ist lächerlich. Das wäre das, was gerade nicht sein soll: Die Aufgabe der eigenen Identität. Dann sollten multikulturelle Moralisten aber auch zugeben, daß der multikulturelle Wandel das wirksamste Mittel zur ‘Entsorgung’ der deutschen Vergangenheit ist, wirksamer jedenfalls als der Vergleich der Verbrechen Hitlers mit denen Stalins. …”
aus: Eckhard Fuhr: Keine Vielvökerrepublik, FAZ vom ?
Abb.: Tintin Wulia: Lure, 2009, im Internet.
03/92