MALTE WOYDT

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Objektivität

Philosophen, besonders die rationalistischen Philosophen, gelangen auf ganz seltsamen Wegen zu ihren Pointen: … Sie benutzen abstrakte und von allen Emotionen gereinigte Begriffe. Und sie benutzen solche Begriffe nicht, um unsere Sicht zu schärfen oder unser Leben zu bereichern, sondern um uns in enge, dunkle Gänge zu stoßen. Gefühle, Sinneseindrücke, Wünsche stehen erst dann zur Debatte, wenn sie wie Schmetterlinge gefangen, getötet und auf irgendeine philosophische Folterbank gespannt worden sind. Überdies sind die Philosophen, vor allem die Rationalisten, an allgemeinen Prinzipien interessiert, nicht am Leben von Individuen. …

Sehen Sie sich doch nur mal an, wie Philosophiestudenten für ihren Beruf ausgebildet werden! Werden ihre persönlichen Eigenheiten einbezogen? Nein. Gestattet man ihnen, sich ‘authentisch’ auszudrücken? Selten. Bringt man ihnen bei, wie man mit anderen zusammenlebt, wie man deren Herz rührt? Ganz bestimmt nicht. Die alte Vorstellung von Objektivität, die eigentlich nichts anderes ist als die Kehrseite der Sterilität ihrer Erfinder, beherrscht die Szene nach wie vor, wenn auch in neuen, modischen Gewändern. …

Objektivismus und Relativismus … gehen [beide] … von der Voraussetzung aus, daß Dinge wie Wissenschaft, Magie oder auch das ‘Weltbild der Dogon’ genau definiert sind und immer in den durch die Definition gesetzten Grenzen bleiben. Dann verleihen die Objektivisten den Gesetzen, die innerhalb der Grenzen des bevorzugten Gegenstandes gelten, universelle Bedeutung, während die Relativisten darauf bestehen, daß die Gesetze innerhalb derselben Grenzen nur begrenzte Gültigkeit besitzen. Doch … gibt es keine Definition von Wissenschaft, die alle möglichen Entwicklungen abdeckt, und es gibt auch keine Form des Lebens, die nicht in der Lage wäre, radikal neue Situationen zu absorbieren. Begriffe … sind niemals vollkommen festgelegt; sie sind unzureichend definiert, mehrdeutig, sie fluktuieren … hin und her – und das muß auch so sein, sonst wäre ja (begrifflicher) Wandel unmöglich.”

Paul Feyerabend: Die Torheit der Philosophen. Dialoge über die Erkenntnis. Hamburg: Junius-Verlag 1995 (ital. 1991), S.93-95 und 131/132.

Abb.: Foundation Class Collective: Becoming, 2022, documenta15, Detail.

08/10/2007 (20:55) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

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