Politisches Theater
“Ich persönlich mache keinen Hehl daraus, daß ich nicht an ein in Permanenz politisches Theater glaube. Ich glaube wohl, daß von einem Theater politische Wirkung ausgehen kann. Sie kann ausgehen von einem Stück, von einem Regisseur, ja, von einem einzigen Schauspieler. Aber ein Theater, das Abend für Abend ohne eigene Phantasiezugabe paukt, was in Zeitungen und Meetings auch gepaukt wird, das ist ein Theater ohne Fluidum, ohne Schwingung und Strahlung, ein Theater nicht zum Mitgerissenwerden, sondern zum Abgewöhnen. Mir scheint, die einzige Möglichkeit politisches Theater zu machen, haben Sie versäumt, [Herr Piscator]. … Haben Sie einem einzigen jungen Dichter ans Licht verholfen? Sie haben ein Stück von Toller gespielt, vor dem kein bürgerlicher Direktor zurückgezuckt wäre, dann, das Ärgste, den ‘Rasputin’ eines schlechten russischen Konjunkturisten; schließlich den dramatisierten ‘Schwejk’, von dem Sie die großartige Blasphemie der Schlußszene einfach strichen. Waren es Bedenken vor der Zensur, waren es Erwägerungen, ob die Steigerung ins Unwirkliche etwa der Doktrin zuwiderliefe? Ich weiß es nicht. Die ‘Weber’, das klassische Proletarierstück, ließen Sie Jeßner, den aufreizeneden ‘Toboggan’ des jungen Menzel wird ein bürgerlicher Direktor wagen, Brechts englische Soldatenkomödie blieb der verspotteten Volksbühne. Ich glaube, Sie leiden nicht unter zuviel Anfeindung, sondern unter zu viel Lob. Befreien Sie sich von Ihren Korybanten. Die haben ein ganz entzückendes Rezept gefunden: bezweifelt man den politischen Sinn einer Aufführung, so wird tiefsinnig die ästhetische Bedeutsamkeit ausgespielt. Rührt man aber an diese, so heißt es nicht minder tiefsinning: aber die Politik ist doch gut! Mit Verlaub, das ist gar nicht proletarisch-revolutionär, sondern sehr glitschig-liberal.”
Carl von Ossietzky, Die Weltbühne, 6.März 1928, hier zitiert nach: Carl von Ossietzky Lesebuch, Reinbek: Rowohlt, 1994, S.183/184.