Trivial Pursuit
“Auf die zwei Zuhörer, die für einen Moment gegeneinanderstehen und danach zu trachten haben, der eine schneller zu antworten als der andere, trifft nun die folgende Frage: ‘Worauf warten Wladimir und Estragon?’ Die Kandidaten zögern lange, der Moderator wiederholt die Frage, aber ganz offenbar lösen die Namen kein Wiedererkennen in denen aus, die gefragt worden sind. Zuletzt jedoch, unsicher, und selber halb fragend, sagt der eine: ‘Godot’. Richtig. Er hat es getroffen, den anderen ausgestochen und bekommt jetzt die nächste Frage vorgesprochen, die ihn diesmal nach einer Automarke suchen läßt. …
Gewitzt allein in der Technik jener Art Fragen, das weniger Bekannte in das Geläufige zu mischen, kürzt er die exotischen Namen, die ihm so hörbar wenig sagen, und behält als Rohform in Händen: ‘Worauf warten…’. Dies in der Normalform ‘warten auf’ verbindet sich ihm selbsttätig mit Godot, reflexhaft, und so weiß der Medienteilnehmer etwas, das er nicht kennt, und kennt etwas, wovon er nichts weiß. …
An dem Titel von Beckets Stück hat sich insofern aber etwas vollzogen, wovon es selber handelt. … Wladimir und Estragon führen eben das trivial pursuit vor, zu dem sich die Welt inzwischen offen bekannt hat und zu dem die beiden noch einmal geworden sind. … Das was den Stücken Beckets das Etikett absurd eingetragen hat, ist nur der genaueste Reflex einer Wirklichkeit, die an Unwahrscheinlichkeit und Phrasenhaftigkeit in ihrer gängigen Realität ein Stück wie den Godot unablässig übertrifft. …
Das Quiz setzt voraus die Verwandlung der Welt in Daten. In ihnen aber, so gut sie zum bloßen Sammeln sich eignen, sammelt sich keine Wirklichkeit. … Jedes Faktum ist als solches gleich wert dem andern. Jedes ist gleich abfragbar. Für die Daten bedarf es keines Gedächtnisses, sondern des Speichers. Kein Zusammenhang von Erfahrung, keiner von Bildung ist Voraussetzung des Quiz, selbst wenn es die Bildungsfragen stellt, sondern die Masse der bits, zu denen die Welt zerlegt ist. … nicht Erfahrung, sondern Informiertheit. Wer auf dem Markt sich behaupten will, bedarf notwendig ihrer und der richtigen Reflexe …
All diese Informationen aus einer Welt sind im Nebeneinander und in sich gleichgültig. … Deswegen [kann Becket die in sich gleichgültigen Bestandteile von Welt in seinen Stücken weglassen].”
aus: Eske Bockelmann: Quiz. In: Nationaltheater Mannheim, Programmheft zu: Samuel Becket: Warten auf Godot, Mannheim 1991..
12/91
November 19th, 2007 at 10:08
Aber das hier kritisierte Halbwissen (“Warten auf…”) ist doch die Voraussetzung von Bildung! Von all dem Neuen, daß auf uns einströmt, behalten wir doch nur, was wir an bisheriges Halbwissen andocken können. Bisheriges Halbwissen ist die Voraussetzung für zukünftiges Wissen. Und die Beweglichkeit, mit der wir Neues mit Altbekanntes verknüpfen können, heißt Bildung.