MALTE WOYDT

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Völkerrecht

“… Regimewechsel aus Nachbarländern heraus sind inzwischen afrikanische Normalität. Aus Tansania heraus operierte schon in den 70er-Jahren die Befreiungsbewegung Mosambiks, aus Mosambik heraus die Simbabwes. Der heutige Herrscher des Tschad startete seine gewaltsame Machtergreifung im Sudan, der neue Putschist in der Zentralafrikanischen Republik im Tschad. Aus Ruanda und Uganda heraus wurde Zaires Diktator Mobutu gestürzt, in der heutigen Demokratischen Republik Kongo tummeln sich fremde Armeen. In Liberia, Sierra Leone, Guinea, Elfenbeinküste und Burkina Faso bestimmt eine Wechselwirkung von grenzüberschreitenden Rebellionen und Militärinterventionen die Politik.

All das geschieht jenseits des Völkerrechts oder überhaupt irgendeiner Form von Legalität. Und es ist den Völkerrechtswächtern der Welt größtenteils egal. Die UNO gibt manchmal Mandate, wenn ein Eingreifer sich Friedenstruppe nennt, meistens aber nicht. Genozid an hunderttausenden in Ruanda oder ein blutiger Staatszerfall im Kongo stören die internationale Diplomatie weniger als die Möglichkeit, dass die US-Armee Saddam Hussein entmachtet.

… Aus afrikanischer Sicht ist der Streit, wie viele UN-Resolutionen für einen Krieg gegen den Irak nötig sind, ähnlich absurd wie der mittelalterliche Theologendisput, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen. In Afrikas Konfliktgebieten sind sämtliche Grundsätze des Völkerrechts, des regulären Umgangs zwischen souveränen Staaten, schon lange über den Haufen geschmissen worden. Aber erst eine US-Militäraktion gegen den Irak bereitet den Diplomaten in New York schlaflose Nächte und treibt die Schüler Deutschlands auf die Straße.

Institutionen und Rechtssysteme, die für sich selbst Universalität beanspruchen, können nicht glaubwürdig bleiben, wenn sie Vorgänge in einem Teil der Welt komplett aus ihrer Selbstreflexion ausblenden. Die Universalisten, die vom Weltrechtsprinzip träumen, sollten zumindest die Welt in ihrer Gesamtheit ernst nehmen. Oder sie müssen die Konsequenz ziehen und anerkennen, dass die angeblich universalen Grundsätze des Völkerrechts nie universal gewesen sind. Dann aber ist die Frage, was an einem per Krieg herbeigeführten Regimewechsel im Irak falsch ist, nicht mehr unter Hinweis auf abstrakte Rechtsgrundsätze zu beantworten. Es muss stattdessen eine Güterabwägung erfolgen: Wem nützen der Krieg und der Regimewechsel, und wem nützt seine Verhinderung?

Hier kann die Welt von Afrika lernen. Es sind die Diktatoren Afrikas, die bis heute verzweifelt am Prinzip der Nichteinmischung, der Unverletzlichkeit der Grenzen festhalten, während Demokraten von jeher das Recht auf Einmischung fordern. Ohne dieses wären die Entkolonisierung und die Idee einer panafrikanischen Bewegung zur Befreiung des Kontinents undenkbar gewesen. Die UNO griff in Afrika nie ein, um Kolonialregime zu stürzen oder Kolonialkriege wie in Algerien zu beenden, sondern erst gegen Afrikas einflussreichsten Entkolonisierer Patrice Lumumba im Kongo.

Die heute oft zu hörende Aussage, es gebe keinen gerechten Krieg, ist eine Verhöhnung der Opfer des 20. Jahrhunderts, die auf Kriege angewiesen waren, um Unrecht ein Ende zu setzen – in Nazideutschland und den von ihm besetzten Ländern, in allen Kolonialgebieten der Welt, in den Reichen Idi Amins, Pol Pots und eben Saddam Husseins.”

aus: Dominic Johnson: Das Völkerrecht gilt nicht. In: Taz. 25.3.2003, im Internet.

Abb.: Elisabetta Benassi: Ships and still more ships, 2017, im Internet. Thematisiert die Gründung von Liberia.

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09/10/2007 (9:52) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

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