MALTE WOYDT

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Wahrheit 1

“Wer die Suche nach Wahrheit zu seiner Lebensaufgabe machen will, geht nicht in die Politik, sondern in die Wissenschaft. Je länger jemand in der Wissenschaft geforscht, nach Wahrheit gesucht hat, desto weniger ist er für die Politik brauchbar. … in der Politik [geht] es nicht um die Wahrheit …, sondern um die richtige Entscheidung. … Ob der Tunnel gebaut werden soll, ist eine Frage der Wertung. … Der Tunnel ist nicht wahr oder unwahr, sondern richtig oder falsch. …”

“Politik ist für Wahrheit nicht zuständig. Was wahr ist, läßt sich nicht beschließen, und schon gar nicht von Politikern … Beschließen läßt sich, was geschehen soll.”

“Das Kennzeichen politischen Redens ist nicht die Lüge, sondern das von Interessen und vom Willen gesteuerte Teilbild der Wirklichkeit. Man könnte es auch Teilwahrheit nennen. …

Wo Interessen im Spiel sind, ist das Gegeneinander unterschiedlicher, von Interessen geleiteter Bilder der Wirklichkeit üblich. … So arbeitet die Demokratie. Sie handelt mit Teilwahrheiten. Und sie darf dies tun, solange die Beteiligten es wissen.

Daß diese Form der Diskussion trotzdem auf Argwohn und den Vorwurf der Lüge stößt, hat mehr als einen Grund. Sicher spielt da die Sehnsucht nach Harmonie mit, nach dem einen, verläßlichen Bild der Wirklichkeit, der verordneten Wahrheit, wie sie Diktaturen anzubieten haben. … Aber es läßt sich nicht bestreiten, daß … jede Teilwahrheit immer in Gefahr ist, zur Lüge zu werden. Das beginnt schon da, wo sie mit einem Pathos der Wahrheit vorgetragen wird, das ihr nicht zukommt. …

Politiker haben das Recht und die Pflicht, ihre Entscheidungen und die Wertungen, die dazu geführt haben, mit ihrem Bild der Wirklichkeit zu begründen. Sie haben auch das Recht, den anderen Aspekt stillschweigend ihren Gegnern zu überlassen. … Aber wenn sie meinen, sie könnten mit entgegengesetzten Wertungen spielen, nach Bedarf immer wieder eine neue Version aus der Schublade ziehen, einmal das Pro, ein andermal das Kontra, dann ist der Vorwurf der Lüge unvermeidlich, auch wenn er im strengen Sinn des Wortes nicht zutrifft. …”

aus: Erhard Eppler: Privatisierung der politischen Moral? Frankfurt(Main): Suhrkamp 2000, S.33-42, etwas umsortiert.

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09/10/2007 (9:52) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

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