Wessis
“War es in den 50er- und 60er-Jahren die entwurzelte nationale Rechte, die sich verzweifelt dagegen wehrte, nach dem politischen und militärischen Zusammenbruch auch die moralische Niederlage zu akzeptieren, wozu dann auch der Kampf gegen die ‘6-Millionen-Lüge’ gehörte, so ist es heute die obdachlose Linke, der im wahrsten Sinne des Wortes das Haus über dem Kopf zusammengekracht ist, und die nun in den Trümmern nach irgendwelchen vorzeigbaren und wiederverwendbaren Bruchstücken ihrer verlorenen Identität sucht. …
Warum tun sich Teile der linken Intelligenz in der Bundesrepublik so schwer mit dem Abschied von der DDR? …
Für Westler war die DDR eine Art Abenteuerspielplatz. … Man konnte den thrill genießen, weil man ihm nicht wirklich ausgesetzt war. …
Die deutschen Intellektuellen haben schon immer unter einem Mangel an Anerkennung gelitten. … Ganz anders dagegen die Lage der Intellektuellen, vor allem der Schriftsteller, in der alten DDR. Egal ob sie verfolgt oder gefördert, verboten oder veröffentlicht wurden, sie wurden in jedem Fall ernst genommen. … Kein Wunder, daß die West-Poeten neidisch zu den Kollegen im Osten rüberschauten und auf Abhilfe sannen, um den Standortnachteil auszugleichen. Ganz in die DDR zu ziehen, wäre nicht kommod gewesen, statt dessen wurden … joint venture Projekte mit dem Schriftstellerverband der DDR organisiert. … So wurde die deutsch-deutsche Annäherung zum bevorzugten hang out vieler Wichtigtuer, die sich nun optimal selbst verwirklichen konnten. …”
aus: Henryk M. Broder: Mit dem Hintern hier, mit dem Herzen dort oder Was war an der DDR so sexy?, SWF 2, 28.3.92, 20:30 Uhr.
Henryk M. Broder hat eine eigene Homepage mit vielen beißenden Artikeln: www.henryk-broder.de
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