Arbeitslosigkeit
Ich frage mich, ob die Politiker, die den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit auf ihre Fahnen schreiben, sich nicht im Ziel vergreifen. Schröder plakatierte “Arbeit. Arbeit. Arbeit.” und meinte damit Clintons (oder war es Blair?) Kampagne “Jobs. Jobs. Jobs.” ins Deutsche zu übertragen. Dabei meinen beide Slogans nicht dasselbe. Wer will schon Arbeit?
Arbeit ist Mittel zum Zweck, den Job zu behalten, der Job Mittel zum Zweck, ein Einkommen zu beziehen, ein Einkommen Mittel zum Zweck, ein angenehmes Leben führen zu können. Menschen, die es schaffen, sich ein angenehmes Leben ohne Einkommen oder Job zu organisieren, sind auch ohne Einkommen und Job zufrieden. Wobei sich die Geschichte natürlich nicht nur auf Geld beschränkt. Schließlich gibt die Arbeit einem auch das (gute) Gefühl, gebraucht zu werden, zu etwas nütze zu sein. Arbeit verschafft einem auch menschliche Kontakte, sowohl direkt am Arbeitsplatz als auch durch Einkommen und Ansehen, die sie einem verschafft.
Der Europäische Sozialfonds behauptet zwei Ziele gleichzeitig zu verfolgen: (1) Die Arbeitslosenstatistik möglichst klein zu bekommen, (2) Durch verlängerte Lebensarbeitszeit die Rentenkassen zu entlasten. Das ist Technokratengrütze, hat mit den Wünschen der Bürger nichts zu tun. Warum soll man bitte den fröhlichen Frührentner dazu zwingen, länger zu arbeiten, solange andere Menschen händeringend Arbeit suchen? Und warum sollte man einen Arbeitslosen, dem wohl in seiner Haut ist, dazu zwingen, einen Job anzunehmen?
Man könnte ja auch vom Einzelnen ausgehen. Das französische Schlagwort von der “Sozialen Ausgrenzung” kommt der Sache viel näher. Menschen sind einsam, Menschen sind arm, Menschen sind hoffnungslos. Das kann verschiedene Gründe haben, Arbeitslosigkeit kann einer davon sein.
Viele Menschen stecken in Problemen, aus denen sie aus eigener Kraft nicht herauskommen. Deswegen muß man ihnen helfen. Das ganze Problem läßt sich auf zwei Elemente reduzieren, ein individuelles und ein kollektives: Selbstvertrauen und gesamtwirtschaftliche Entwicklung.
Es ist Blödsinn, Arbeitslose in die Selbstständigkeit zu drängen. Wer Unternehmergeist hat, findet auch einen Arbeitsplatz – oder lebt in einer Gegend, deren gesamtwirtschaftliche Lage weder Platz für Arbeitssuchende noch für Jungunternehmer hat (und ihn vielleicht aufgrund natürlicher Standortnachteile in den kommenden Jahrzehnten auch nicht kreieren wird).
Wir haben unsere Arbeitsplätze für Menschen mit niedrigem Ausbildungsstand nach Südostasien exportiert und wundern uns jetzt, daß sie bei uns keine Jobs mehr finden. Bildungsoffensiven und Fortbildungsangebote sind wichtig, und können den Menschen helfen, ihr persönliches Potential besser auszuschöpfen. Aber das hilft nicht jedem. Es ist kein Zufall, daß Behindertenwerkstätten boomen – Sie nehmen die Leute auf, die früher als Schauerleute im Hafen Säcke geschleppt haben.
Malte Woydt
Abb.: Boris Drucker, The New Yorker, 12.2.1972.
08/02