MALTE WOYDT

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Habgier

Die Banken verschlechtern ihren Service von Tag zu Tag. Zuerst weigern sich die Schalterangestellten bestimmte Verrichtungen auszuführen, dann hängt man Schilder auf, daß Papierüberweisungen vortan 15 Tage brauchen. Dann werden die Öffnungszeiten meiner Filiale eingeschränkt. Dann “fusioniert” meine Filiale mit der bereits hoffnungslos überlasteten Nachbarfiliale. Usw. usf.

Dabei macht die Bank doch Riesengewinne! Warum also dieser Spar”zwang”? Gewinne machen reicht nicht mehr. Es muß schon ein bißchen mehr sein.

Da sitzen irgendwo Aktionäre (oder arme Amis, deren Rente von einem Pensionsfonds abhängt) und verlangen, daß die Renditen steigen und steigen und steigen. Die Globalisierung der Finanzmärkte führt dazu, daß von allen Wirtschaftssektoren aller Länder der Erde jetzt dieselben Renditen erwartet werden.

Einfach Gewinne machen reicht den Aktionären nicht mehr. Sie wollen immer mehr. Über den Aberwitz der Globalisierung, daß sie menschengemacht ist, und nichts weniger als ein Naturgesetz, wird zwar noch lange nicht genug aber doch immer öfter gesprochen und geschrieben. – Aber woher kommt diese plötzliche Habgier?

Na, daß sei doch die Natur des Kapitalismus, könnte darauf jemand antworten. Ja, stimmt, die alten Kapitalismustheorien haben endlich Recht. Hurra! Also anders gefragt: Warum hatten so viele simplizistische marxistische Theorien bisher nicht Recht? Die Furcht der Kapitalisten vor einem gewissen Gespenst ist natürlich nun nicht mehr da. Aber es hat sich auch unabhängig von den Veränderungen im Osten etwas getan.

Die Arbeiter wurden früher gebraucht, das gab ihnen Verhandlungsmacht. Und mit dieser Verhandlungsmacht haben sie Sozialsysteme erzwungen. Schließlich sahen die Kapitalisten, daß es gut ist, daß es auch für sie vorteilhafter ist, gewisse Zugeständnisse zu machen, wenn sie dafür keine Streiks mehr riskieren, die Mitarbeiter motivierter sind, und die sie umgebende Gesellschaft weniger feindlich wird. Man nannte das auch “Rheinischen Kapitalismus”.

Und heute? Heute haben die Erben derjenigen, die Linken immer ach so schnell vorwarfen, Klassenkampf zu betreiben, das Kriegsbeil ihrer Urgroßväter ausgebuddelt und selbst den Klassenkampf ausgerufen.
Ganz kurz vor der Kriegserklärung haben sie noch halbherzig versucht, ihre Truppen zu vergrößern, durch Mitarbeiteraktien, Volksaktien, Gewinnprämien und private Altersvorsorge. Sie haben mit dem Neoliberalismus eine aberwitzige Ideologie in die Welt gesetzt, die erklären soll, wie toll ihre Interessen mit dem Gemeinwohl zusammenpassen. Jetzt aber geht’s langsam ans Eingemachte.

Die “da oben” haben sich einseitig entsolidarisiert mit der sie umgebenden Gesellschaft. Bisher scheint ihnen das noch niemand persönlich übelzunehmen. Wenn aber (wie in den USA offenbar schon zu beobachten), die im 19. Jahrhundert von der Industrialisierung geschaffene Mittelklasse jetzt wieder abgeschafft wird, müßten wir uns doch auch von “denen” wieder desolidarisieren dürfen? Ich habe den Eindruck, daß wir schon bald dazu gezwungen sein könnten, uns zu entscheiden: Aktienbesitzende Arbeitnehmer oder zufällig nebenher noch arbeitende Aktionäre?
Es ist kein Zufall, daß Habgier von allen Religionen (mit Ausnahme vielleicht des Calvinismus?) als Sünde betrachtet wird. Habgier zerstört Gesellschaften. (Habgier – nicht “Besitzstandswahrung”…)

In welcher Gesellschaft wollen diese Gesellschaftszerstörer eigentlich selber leben? In wessen Gesellschaft? Sind Monaco und die Bahamas wirklich so aufregend, daß man es da auch ohne weitere Gesellschaft, ohne lebendiges Kulturleben etwa, auf Dauer aushalten kann? Sollten diese Herrschaften wirklich ein Atombunkerleben leben wollen?

Braucht uns das zu interessieren? Können wir uns nicht einfach ausklinken aus dem ganzen Aktiengedöns und unsere “echte” Wirtschaft von denen abkoppeln? Eine Wirtschaft, in der es normal ist, daß der Bäcker andere Gewinnmargen hat als der Autobauer? Die Habgierigen schießen wir solange auf den Mond.

Malte Woydt

09/04

09/10/2007 (10:00) Schlagworte: DE,Notizbuch ::

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