MALTE WOYDT

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Ursachen des Zweiten Weltkrieges

“Nichts zeigt die unwirkliche Qualität der deutschen ‘Realpolitik’ besser als die deutschen Kriegsziele. Obwohl sich die jeweiligen Führungsgruppen in den zwei deutschen Kriegen des 20. Jahrhunderts ihrer sozialen Herkunft nach beträchtlich voneinander unterschieden, waren die Kriegsziele im wesentlichen fast identisch … ein deutsches Kolonialreich in Europa. …

Nicht nur das ungünstige Zahlenverhältnis, sondern auch die relativ geringe Überlegenheit der Bildung oder Ausbildung hätte den Deutschen kaum eine Chance gelassen, daß aus ihren imperialen Bestrebungen eine einigermaßen dauerhafte politische Struktur hervorging. …

Die Führer eines Landes, das sich im Krieg befindet, sind häufig so damit beschäftigt, ihren Krieg zu gewinnen, daß sie die Probleme der Nachkriegszeit, des wahrscheinlichen Staatsgefüges nach ihrem Sieg, nur vergleichsweise unscharf sehen. …

Hitlers ganze Vorstellungswelt … trug noch immer ein vorindustrielles Gepräge. Er dachte zunächst und vor allem an die Eroberung von Siedlungsland für Bauern. …

Die Traditionen der deutschen Gesellschaft brachten oft ein eher schwaches individuelles Gewissen hervor. Auch bei Erwachsenen blieb die Funktionsfähigkeit des individuellen Gewissens … davon abhängig, daß jemand von außen aufpaßt. … Die Deutschen hörten nie auf zu gehorchen. …

Hitler war im Kern ein innovativer politischer Medizinmann. … Die elementare Einfachheit des Glaubens vieler Deutschen an den Führer … werden oft durch intellektuelle Argumente verdunkelt, die anzunehmen scheinen, daß die Masse des deutschen … Volkes über ein artikuliertes und hoch integriertes Glaubenssystem verfügte, wie man es in Büchern dargelegt findet, daß die Deutschen entweder überzeugte Nationalsozialisten waren oder, wenn nicht, überzeugte Demokraten und Gegner der Nationalsozialisten. … Ihre Grundlage waren letztlich die einfachen Bedürfnisse einfacher Menschen, die durch ihre Hilflosigkeit gegenüber den Großereignissen der Weltpolitik dahin gebracht wurden, sich einem Mann zuzuwenden, der in ihrer Vorstellung den Nimbus eines Erlösers hatte. …

Daß sich Deutschland, obwohl politisch zweigeteilt, zumindest in Teilen völlig erholt hat, ist einer der schlagensten Belege für die Sinn- und Nutzlosigkeit von Kriegen in unserer Zeit.”

aus: Norbert Elias: Der Zusammenbruch der Zivilisation. (1961) In: ders.: Studien über die Deutschen. Frankfurt(Main): Suhrkamp 1989, S.472-514

Abb.: Julius Klinger: Ö Treffer Anleihe, 1933, Wikimedia, im Internet.

05/10/2007 (0:21) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

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