Weltstaat
“Ich möchte die noblen Intentionen der diversen Befürworter des demokratischen Kosmopolitismus nicht in Abrede stellen. Leider gibt es aber bezüglich der demokratisierenden Wirkung des kosmopolitischen Ansatzes großen Anlaß zur Skepsis. …
Man sollte sich … über die Folgen im klaren sein, den eine Ausdehnung des Rechtsbegriffs über den Nationalstaat hinaus nach sich zöge. … Kosmopolitische Rechte [sind] ohne einen Mechanismus, der sie für ihre Inhaber einklagbar machen könnte, fiktiv …
Wenn der Weltbürger nur durch die außerhalb des repräsentativen Rahmens der liberalen Demokratie agierende globale Zivilgesellschaft repräsentiert werden kann, dann liegen derlei Rechte außerhalb der Kontrolle ihres Inhabers und hängen notwendig von der Vertretung durch zivilgesellschaftliche Institutionen ab. Solche Rechte ohne Inhaber laufen Gefahr, zur Aushöhlung bestehender demokratischer Rechte autonomer Selbstverwaltung benutzt zu werden, etwa wenn zivilgesellschaftliche Institutionen die nationale Souveränität im Namen ‘globalen Interesses’ in Frage stellen. … Die neuen Rechte der Anhänger des Kosmopolitismus sind … eine Chimäre: Es sind moralische Forderungen – keine demokratischen Rechte, die durchgesetzt werden könnten.
Der kosmopolitische Ansatz bringt aber ein noch ernsteres Problem mit sich: die Gefahr, die alten Rechte der Souveränität im Tausch gegen jene fiktiven neuen Rechte zu opfern. Indem er internationalen Institutionen das Recht gibt, Souveränität zu untergraben, um kosmopolitischen Rechten Geltung zu verschaffen, spricht er den Bürgern vieler Länder das demokratische Recht ab, sich selbst zu regieren. …
Robert Dahl … kritisiert das Loblied auf internationale Organisationen, in denen ihre kosmopolitischen Fürsprecher einen weiteren Schritt auf dem langen Marsch der demokratischen Idee von der Polis bis zum Kosmos sehen.
Für Dahl läßt diese Ansicht von Demokratie die Tatsache außen vor, daß alle Entscheidungen, selbst jene von demokratischen Regierungen, grundsätzlich für einige Menschen unvorteilhaft sind, schlicht weil jede gewinnbringende Sache auch Kosten nach sich zieht. … Kosten und Nutzen sind … ungleich verteilt, und die zentrale Frage lautet immer: Wer soll entscheiden und nach welchen Kriterien? Aus diesem Grund ist es so wichtig, daß über die Entscheidungen gestritten werden kann. Wenn das schon auf nationaler Ebene schwierig ist, so ist es nahezu undurchführbar, wenn man sich den Fall eines hypothetischen internationalen Demos vorstellt, bei dem in puncto Größe der Bevölkerung und Macht der einzelnen Staaten große Unterschiede bestehen. … Internationale Entscheidungsfindung [kann] nicht demokratisch sein … Dahl sagt …, daß ‘es keinen Grund gibt, internationale Organisationen ins Mäntelchen der Demokratie zu kleiden, nur um sie mit größerer Legitimität auszustatten.’ Er schlägt vor, sie statt dessen als ‘bürokratische Aushandlungssysteme’ anzusehen, die zwar notwendig sein mögen, die aber auf Kosten der Demokratie agieren …”
aus: Chantal Mouffe: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Frankfurt (Main): Suhrkamp 2007 (Engl.Orig.-Ausg. 2005), S.131-138. Sie zitiert ausführlich Danilo Zolo: Cosmopolitic Prospects for World Government, Cambridge 1997, David Chandler: New Right für Old? In: Political Studies 51, 2003, S.332-349 und Robert Dahl: Can International Organizations be Democratic? A Sceptical View. In: I. Shapiro / C. Hakker-Cordòn (HG.): Democracy’s Edges, Cambridge 1999, S.25.
01/08