Aufstieg
“… Wir haben Millionen von Lebensläufen ausgewertet, indem wir Zensusdaten der US-Bevölkerung analysiert und sie mit anonymen Informationen der Steuerbehörde abgeglichen haben. Dadurch wussten wir über die Hautfarbe der Menschen Bescheid, wo sie aufgewachsen sind und was die Eltern verdient haben – und wie diese Leute in ihren Dreißigern selbst finanziell dastehen. …
Sowohl die Hautfarbe als auch der Ort, an dem ein ärmeres Kind aufwächst, sind für seine Aufstiegschancen absolut entscheidend. Schwarze Kinder haben auch heute noch viel schlechtere Chancen als weiße. Wobei es hier einen erstaunlichen Kniff gibt: Das stimmt nur für Männer. Schwarze Frauen haben die gleichen Chancen wie weiße Frauen mit dem gleichen Hintergrund. Man könnte jetzt über Ungerechtigkeiten im Justizsystem oder andere Formen der Diskriminierung nachdenken, die besonders schwarze Männer treffen. Und davon unabhängig haben wir festgestellt, dass auch der Wohnort extrem wichtig ist, die Gemeinschaft, die Umgebung, in der jemand aufwächst. Wenn man ein bestimmtes Kind von einem Ort an einen besseren umziehen lässt, dann hat dieses Kind als Erwachsener ein ganz anderes Leben. …
Die Orte mit den besten Aufstiegschancen liegen im ländlichen Mittleren Westen. In Staaten wie Iowa oder North Dakota, wo es viel Ackerland gibt. Dort kann man wirklich gut aufwachsen: Es gibt gute Schulen, die Umgebung ist eher integrativ, das heißt, man hat als ärmeres Kind auch Kontakt zu Menschen aus höheren Einkommensschichten. Das verändert die eigenen Erwartungen ans Leben. Und diese Kontakte können auch wichtige Informationen weitergeben …
Erstens haben Kinder aus gemischten Nachbarschaften eine bessere Perspektive als solche aus Gegenden, wo die Armut sehr konzentriert ist. Zweitens schafft offenbar eine Heimat mehr Möglichkeiten, in der die Familienstrukturen stabiler sind. Gute Schulen sind wichtig – und dann, ganz entscheidend: Unsere Forschung hat ergeben, dass Gegenden mit höherem Sozialkapital bessere Aufstiegschancen bieten. …
Bisher konnte niemand wirklich im großen Stil nachweisen, welche Rolle Kontakte spielen. Ich hatte die Idee, für unsere Forschung Daten aus sozialen Netzwerken zu nutzen. Also haben wir mit Facebook kooperiert. 85 Prozent der amerikanischen Bevölkerung zwischen 25 und 44 nutzt Facebook, das sind 72 Millionen Menschen, die untereinander 21 Milliarden Freundschaften unterhalten. Wir haben sie alle ausgewertet. Und wir haben herausgefunden, dass ‘ökonomische Vernetzung’ der entscheidende Faktor für wirtschaftlichen Aufstieg ist. Das heißt: Ein Kind aus ärmeren Verhältnissen hat viel bessere Chancen an Orten, wo es viele Kontakte zu einkommensstärkeren Schichten gibt. Kontakte zu Reicheren sind der entscheidende Faktor für den Aufstieg. …”
aus: »Kontakte zu Reicheren sind der entscheidende Faktor für den Aufstieg« Raj Chetty interviewt durch Nicola Abé, Spiegel Online, 16.04.2023, im Internet.
04/23
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