Machtsucht
“Wie jede Sucht, so beschränkt auch die Sucht nach Macht die menschliche Freiheit. Der Machtsüchtige mag, weil dies in der Demokratie üblich ist und sich auszahlt, die Freiheit besingen, er selbst ist unfrei. Sein Verhalten, seine Wahrnehmung, seine Aufmerksamkeit, seine Beziehungen sind determiniert. Begegnet er anderen Menschen, so ist er nicht offen für Begegnung, er taxiert sie sofort danach, ob sie seine Macht, seine Karriere behindern oder fördern können. Die Entscheidung darüber, ob er eine Veranstaltung besucht, sei es ein Rockkonzert, ein Gottesdienst oder ein Fußballspiel, hängt nicht davon ab, was ihm Freude macht, sondern davon, ob es Wählerstimmen bringt oder verscheucht. Ist der Machtsüchtige scharf auf Geld, so nicht, weil er damit sich oder anderen etwas Gutes tun will, sondern weil sich Geld auf vielerlei Weise in Macht verwandeln läßt.
Überzeugungen sind beim Machtsüchtigen nur eine Funktion seines Machtwillens, sie sind nötig und zweckmäßig zum Erwerb und zur Verteidigung von Macht. Daher können sie sich auch von heute auf morgen ändern. …
Niemand gesteht sich und anderen gerne ein, daß er Mittel und Zweck vertauscht, daß die Menschen, die Zweck und Ziel seines Tuns sein sollten, zum Mittel werden, daß die Macht, die ihm erlauben sollte, ihnen zu helfen, sich zum alleinigen Zweck verkehrt. Also braucht er eine Rechtfertigung für andere, auch für sich selbst. Am einfachsten läßt sich die Verkehrung von Mittel und Zweck rechtfertigen, wenn man sich selbst zum Repräsentanten des Gemeinwohls ernennt … Da dies in der politischen Rhetorik längst üblich ist, reicht es völlig aus, daß man seiner eigenen Propaganda schließlich glaubt.”
Erhard Eppler: Privatisierung der politischen Moral? Frankfurt(Main): Suhrkamp 2000, S.13/14.
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