neureich
“Der geheime Wunsch des armen Mannes ist keineswegs, wie die Sozialisten meinten, daß jedem das zustehen solle, was seinen Bedürfnissen entspricht, sondern, daß jeder das besitzen und verzehren könne, was nur sein Herz begehrt. ‘Erst muß es möglich sein auch armen Leuten, / Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden’ (Brecht): das bleibt wahr, früher kann von Freiheit nicht die Rede sein; aber es ist ebenso wahr, daß von Freiheit nicht mehr die Rede ist, wenn die reichgewordenen ‘armen Leute’ entschlossen für nichts anderes leben als für die Befriedigung ihrer nun ins Gigantische gestiegenen Bedürfnisse, das heißt, wenn sie auch im Reichtum den Idealen der Armut verhaftet bleiben.”
aus: Hannah Arendt: Über die Revolution. München: Piper 1963: S.180.
03/10