Antiquariatsbesucher
“Unsereiner fragt nicht in den Antiquariaten, was zu finden ist, unsereins findet – oder eben nicht. Gespräche mit den Menschen schon, aber nicht gleich und schon gar nicht über das, wonach man Ausschau hält. Hier sind wir Konkurrenten. Der eine möglichst einen guten Preis erzielen, der andere seine Trouvaille machen, und wenn überhaupt, dann verrät man seine Freude erst nach dem Kauf. Ansonsten gilt es, Ruhe zu bewahren, sich die Zeit zu geben. um ohne Hast die Regale so zu durchstöbern, zum wiederholtenmal die Raffinessen der Impressionsvermerke zu überprüfen und, in den überwiegenden Fällen, die zweite, dritte oder wievielte Ausgabe auch immer ins Regal zurückzustellen und den Glauben zu bewahren, daß die Originalausgabe sich schon noch finden läßt und dann zu einem Preis, der einem das Gefühl gibt, der Sieger dieses verschwiegenen Wettkampfes zu sein. Weil man sich in diesem bestimmten Segment der Literatur eben besser auskannte oder weil auch dem Antiquar einmal bei den Preisauszeichnungen die Zeilen des Impressums vor den Augen verschwammen. …
Es ist kein Diebstahl, gelegentlich mehr zu wissen als der Verkäufer, es ist immer ein Spiel. Der Antiquar kauft in “Losen” und bietet einen Preis fürs Ganze, er kauft bei jenem, der’s wieder loswerden will. Es ist seine Profession, die Ware zu kennen und einen angemessenen Preis festzusetzen. Es ist die Obsession des Sammlers, seiner Sucht die notwendige Würze zu geben. Bei alten Büchern gilt wie bei allem, was man sammeln kann: Dem einen ist das Objekt mehr wert als dem anderen. Parbleu! Hélas!
…. Mit einer vollen Plastiktüte verlasse ich den Laden. Jetzt steht mir der Schweiß auf der Stirn, ein Plätzchen im Schatten und die Gitane in den Mundwinkeln – durchatmen, mein Lieber! Zeit zum Freuen, ohne Häme und ganz für mich. Jeden der braunen Bände nacheinander in die Hände genommen, geblättert, gelesen. Und irgendwann wieder zurück in die Realität … und trotz des Fundes noch immer skeptisch auf dem Weg zum nächsten Antiquariat. …
Viele Besucher. Man steht sich im Weg beim Suchen und hört die Gespräche der anderen zwangsläufig mit, erkennt jedoch schnell genug, daß es keiner Spionage bedarf, denn sie suchen anderes. …”
aus: Veit Heinichen: Schätze im Olivenberg, Süddeutsche Zeitung, 16./17.9.1995, S.III
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