MALTE WOYDT

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Internet

“Ich habe meine Meinung darüber geändert, welche Wirkung das Internet und die neuen digitalen Medien ausüben würden. Mit dem Internet hatte ich große Erwartungen verknüpft: Ich dachte, dass die Technik einen starken basisdemokratischen Effekt haben würde; dass sich im scheinbar unkontrolliertem Raum des Netzes Meinungen diversifizieren und dadurch neue demokratische Basisbewegungen entstehen könnten; dass sich Menschen und Gruppen über das Internet organisieren und emanzipieren würden und die Technik eine echte Meinungspluralität begünstigen würde.

Heute muss ich sagen: Es ist zumeist das Gegenteil eingetreten. Pluralismus, Meinungsvielfalt und Diversität werden durch das Internet mehr bedroht als gefördert. Die neuen Medien verstärken, ja vervielfachen die Beachtung, welche die populärsten Personen und Informationen erhalten. Je mehr etwas die Aufmerksamket einer Mehrheit anzieht, desto mehr wird es durch die vielfache Vernetzung noch befördert – das ist ein selbstverstärkender Prozess. Je mehr bestimmte Informationen ganz oben in den Trefferlisten von Google landen, desto stärker sinkt die Chance, dass andere, weniger geteilte Informationen überhaupt beachtet werden. Das Gleiche passiert in den sogenannten sozialen Netzwerken – wenn populäre Meinungen und Vorlieben häufig geteilt werden, vervielfacht das die Reichweite der mehrheitlichen Einflüsse. Wir wettern alle gerne gegen Konformität und schließen uns dann doch stets der Mehrheit an.

In der Wissenschaft beobachte ich das Gleiche: Über sogenannte Citation Indices wird quantifiziert, wie oft Forscher und ihre Arbeiten von anderen Forschern zitiert werden. Je häufiger eine Arbeit zitiert wird, desto stärker wird sie von anderen wahrgenommen. Wir verwechseln das dann mit einem Siegel für wissenschaftliche Qualität. Dabei sorgt das nur dafür, dass sich eine Mehrheitsmeinung bildet, die sich dann automatisch selbst verstärkt,

Aus Mehrheitsmeinungen wird eine Pseudomoral abgeleitet, auf deren Grundlage dann manchmal regelrechte Hexenjagden veranstaltet werden. Zum Beispiel die Aufregung darüber, dass Xavier Naidoo für Deutschland beim Eurovision Song Contest singen sollte. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, er habe sich rassistisch geäußert. Ob das nun stimmt, mag ich nicht zu beurteilen – aber die einhellige, öffentliche Empörung, die ohne eine faire Prüfung der Vorwürfe über ihn hereingebrochen ist, war aus moralischer Sicht heftiger als das, was ihm vorgeworfen wurde. Das Internet und die Reichweite der elektronischen Medien verstärken solch massenhaftes Mobbing gegenüber Einzelnen. Diese Erscheinungen sollten zu denken geben.”

aus: Klaus Fiedler: Wolfsgrube Internet, in SZ 2./3.1.16

Abb.: A quote from Donald Trump about Twitter, embroidered by Charley Burlock, from Diana Weymar’s Tiny Pricks Project, im Internet.

01/16

19/01/2016 (13:51) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

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