MALTE WOYDT

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Buch 2

“Es wurde erörtert, wie man … das gedruckte Buch vor dem Angriff der elektronischen Medien schützen kann. … Um einen Eröffnungsvortrag gebeten, nahm ich an, daß alle wahrscheinlich von mir eine feurige Anklage unserer Zivilisation erwarteten, in der das Bild, wie man meint, die Schrift zerstöre. Es war also meine Pflicht zu betonen, daß es sich bei dieser Meinung um eine verschrobene Idee gewisser Intellektueller handelt. … Statistisch betrachtet ist mit dem Aufkommen der sogenannten Zivilisation des Bildes die Menge an bedrucktem Papier gestiegen. … Heute lesen die Leute mehr als in den fünfziger Jahren. Und fragen wir nicht, was sie lesen, in Fragen der Massenalphabetisierung geht es zunächst einmal überhaupt ums Lesen. … Und schließlich, auch dies ist eine Gegebenheit: Die mit Computern aufwachsende Generation gewöhnt sich daran, auf dem Bildschirm Wörter zu lesen und nicht Bilder zu betrachten …

In forciertem Optimismus könnte man sagen, daß der Computer intellektuelle Bedürfnisse weckt, die er dann nicht von sich aus befriedigen kann. Es könnte sein, daß er eine Generation erzeugt, die sich zunächst elektronisch alphabetisiert und dann das Bedürfnis verspürt, ihr Verhältnis zum Lesen entspannter und ‘innengeleiteter’ fortzusetzen, nämlich indem sie ein Buch zur Hand nimmt. … Um zu lernen, wie man mit dem Computer umgeht, muß man [übrigens] die Handbücher lesen. …

Dies vorausgeschickt, habe ich dann eher pessimistische Überlegungen angestellt, und es schien mir richtig zu sagen, daß die wahren Bedrohungen, denen die Zivilisation des Buches ausgesetzt ist, aus dem Buch selber kommen. Zunächst und vor allem die Tragödie der Quantität: … Aus ökonomischen Gründen eliminiert der Buchhändler (und inzwischen auch der Verleger) die einen, um Platz für die anderen zu machen, und bei dieser Dezimierung überleben nicht notwendigerweise die besten.

Die zweite Gefahr ist, daß die verschiedenen Technologien der Schrift einander bekämpfen. Die Industrie der Fotokopierapparate ermöglicht es, Bücher für wenig Geld zu kopieren (und folglich zu lesen), aber das treibt die Verlage in die Krise, auf die sie im Grenzfall damit reagieren, daß sie prohibitive Preise für bestimmte wissenschaftliche Bücher verlangen, die dann zwar von allen kopiert, aber nur von den großen Bibliotheken gekauft werden … Zudem verführt die Leichtigkeit des Kopierens dazu, die Bibliotheken nicht mehr als Stätten des Lesens (und des Notizenmachens) zu gebrauchen, sondern als Reviere für Jagden, von denen man zufrieden über die reiche Beute heimkehrt. So zufrieden, daß man am Ende die erbeuteten Fotokopien gar nicht mehr liest. …

[Außerdem zerfallen] Bücher, die aus Holz gemacht werden (anstatt aus Lumpen), … in sechzig bis siebzig Jahren. Und alle Mittel, um dieser Mißlichkeit zu begegnen (chemische Konservierung, Mikrofilm, ständiger Nachdruck), implizieren eine Selektion, bei der nichts garantiert, daß sie die richtige ist.”

aus: Umberto Eco: Eine Zukunft für das Buch. In: ders.: Streichholzbriefe, Wien 1990.

Abb.: Pawel Kuczynski: Manual, pictorem, im Internet.

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07/10/2007 (22:35) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

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