Armes Bild
“Das arme Bild ist ein Fetzen oder geklaut, ein AVI oder ein JPEG, ein Lumpenproletarier in der Klassengesellschaft der Erscheinungen. Sein Rang und Wert wird durch seine Auflösung bestimmt. Das arme Bild wird hochgeladen, heruntergeladen, geshared, neu formatiert und erneut bearbeitet. Es verwandelt Qualität in Zugänglichkeit, Ausstellungswert in Kultwert, Filme in Clips, konzentrierte Betrachtung in Zerstreuung. Das Bild wird aus den Kellerdepots der Kinos und Archive befreit und in die digitale Ungewissheit gestoßen, auf Kosten der eigenen Substanz. Das arme Bild neigt zur Abstraktion: Es ist eine Bildidee im Werden.
Das arme Bild ist die illegitime fünfte Generation eines Originalbildes. Seine Abstammung ist dubios. Seine Dateinamen sind bewusst falsch buchstabiert. Es widersetzt sich oft der Einordnung in ein Erbe, eine nationale Kultur oder dem Urheberrecht. Es wird verbreitet als Lockmittel, als Köder, als Index oder auch als Erinnerung an das Bild, das einmal war. Es macht sich über die Verheißungen der digitalen Technik lustig. Es wird nicht nur so stark vermindert, bis es praktisch nur noch ein flüchtiger Fleck ist, man zweifelt sogar, ob es sich überhaupt noch als Bild bezeichnen lässt. Ein derart abgenutztes Bild konnte überhaupt erst die digitale Technik hervorbringen.
Arme Bilder sind die Verdammten des Bildschirms von heute, der Schrott der audiovisuellen Produktion, der Abfall, der an den Stränden der digitalen Ökonomien angeschwemmt wird.”
aus: Hito Steyerl: In Verteidigung des armen Bildes (2009). hier in: dies.: Jenseits der Repräsentation, Berlin: n.b.k., 2016, S.17.
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