Flaneur
“Den Typus des Flaneurs schuf Paris. Daß es nicht Rom war, ist das sonderbare. Und der Grund? … Paris haben nicht die Fremden sondern sie selber, die Pariser zum gelobten Land des Flaneurs, zu der ‘Landschaft aus lauter Leben gebaut’, wie Hofmannsthal sie einmal nannte, gemacht. … [Die Stadt] eröffnet sich … [dem Flaneur] als Landschaft, sie umschließt ihn als Stube. …
[Die] Kategorie des illustrativen Sehens [ist] grundlegend für den Flaneur. Er schreibt … seine Träumerei als Text zu den Bildern. … 1839 war es elegant, beim Promenieren eine Schildkröte mit sich zu führen. Das gibt einen Begriff vom Tempo des Flanierens in den Passagen. …
‘Ging … [E.T.A. Hofmann] im Sommer spazieren, was bei schönem Wetter täglich gegen Abend geschah, so … fand sich nicht leicht ein Weinhaus, ein Conditorladen, wo er nicht eingesprochen, um zu sehen, ob und welche Menschen da seyen.’ …
Der flânerie liegt neben anderem die Vorstellung zu Grunde, daß der Ertrag des Müßigganges wertvoller … sei als der der Arbeit. Der flâneur macht bekanntlich ‘Studien‘. Der Larousse du XIX siècle läßt sich darüber folgendermaßen aus: ‘Son oeil ouvert, son oreille tendue, cherchent tout autre chose que ce que la foule vient voir. …’ …
Bahnhöfe, Ausstellungshallen, Warenhäuser … Von diesen … fühlt sich der Flaneur angezogen. In ihnen ist das Auftreten großer Massen auf dem Schauplatz der Geschichte schon vorgesehen. Sie bilden den exzentrischen Rahmen, in dem die letzten Privatiers sich so gern zur Schau stellen.”
aus: Walter Benjamin: Das Passagenwerk, Herausgeben von Rolf Tiedemann, 1.Bd., Frankfurt(Main): Suhrkamp 1983, S.525-569
Bild: Tina Saum von der Flanerie folgt Esmeralda, der Schildkröte, Stuttgarter Nachrichten, 10.6.14, im Internet
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