“[In Afrika] … haben sich zwei Strategien für den Umgang mit der eigenen Geschichte entwickelt. … Sie scheinen einander gleichzeitig zu ergänzen und zu widersprechen. … Wie um alles in der Welt soll man Wiedergutmachung oder Entschädigung unter einen Hut bringen mit Aussöhnung oder Vergebung für angetanes Unrecht? …
Der eine Vorschlag entspringt einer Geschichte Afrikas, die bereits ein gutes Stück zurück liegt, mit der Zeit an Virulenz verloren hat und durch die globalen Beziehungsgeflechte nur noch verschwommen wahrzunehmen ist: [der der Wiedergutmachung und Entschädigung]. Der andere Vorschlag hingegen – der der Vergebung und Versöhnung – verdankt seine Entstehung einer Heimsuchung, die derart gegenwärtig ist, dass sowohl Opfer als auch Gewalttäter noch am Leben und im Zwang zum Zusammenleben gefangen sind. … Die Opfer sind am Leben und brauchen eine Entschädigung, während ihre Folterer … weiterhin eine privilegierte Existenz fortführen. …
Die Geschichte der Sklaverei [muss] weiterhin das Gedächtnis der Welt beschäftigen … Der Sklavenhandel verursachte in weiten Teilen des Kontinents … einen Bruch der organischen wirtschaftlichen Systeme, [was] … später durch die Auferlegung kolonialer Prioritäten bei der Zulieferung von Rohmaterialien für Europas industrielle Bedürfnisse sowie die Ankunft multinationaler Konglomerate verschlimmert wurde. Diese Verwerfung muss – mindestens zu Teilen – zweifellos für die geradezu unüberwindlichen wirtschaftlichen Probleme dieses Kontinents heutzutage verantwortlich gemacht werden. …
Die politische Instabilität innerhalb der sogenannten Nationen [Afrikas] … [hat darüber hinaus] mit der Künstlichkeit, der schreienden Unlogik ihrer Grenzen zu tun … Deshalb ist es nur angemessen, wenn wir die Aufteilung des Kontinents jenen Untaten hinzufügen, die dem Ruf nach Entschädigung für Afrika zugrunde liegen. … Mein Problem hierbei ist allein die Tatsache, dass die afrikanischen Nationen seit ihrer Unabhängigkeit … ja durchaus die Möglichkeit gehabt hätten, diese besondere Untat … zu sühnen …
Kulturelle und spirituelle Vergewaltigung … haben unauslöschliche Spuren in der kollektiven Psyche und dem Identitätsempfinden der Völker hinterlassen, ein Prozess, der durch die aufeinander folgenden Wellen kolonisierender Horden praktiziert wurde, die die zusammenhängenden Traditionen brutal unterdrückten. … Die kulturelle und spirituelle Verrohung des Kontinents … wurde nicht allein durch die christlich-europäische Achse vorgenommen. Die arabisch-islamische Dimension ging ihr voraus, und die war in all ihren Ausformungen gleichermaßen verheerend. …
Was … ist … dieses Afrika, in dessen Namen Wiedergutmachung gefordert worden ist? … [Vielleicht] können wir uns einer akzeptablen Definition … derart nähern, dass die Opferrasse sich auszeichnet durch die Einzigartigkeit einer besonderen Erfahrung, die sonst niemand teilt. … Haben wir … auf dieser ‘Afrika’ genannten Landmasse auch solche, von denen wir ebenfalls Reparationen verlangen sollten? …
Abiolas Kampagne für die Reparationen wurde … bei einem Treffen der ‘Organisation Afrikanischer Einheit’ in Abuja 1992 aufgegriffen. … Dies wirft nun … einige ethische Fragen auf. Es muss nämlich eine moralische Grundlage für alle Bemühungen um Gerechtigkeit geben …
Das Thema der arabischen Teilnahme am Sklavenhandel wurde schließlich doch noch angesprochen. Als Mitglied des ‘Internationalen Komitees für Wiedergutmachung’ saß dort ein tunesischer Diplomat. … Er antwortete … mit dem Vorschlag, dass, ‘da wir doch alle Opfer kolonialer Unterdrückung sind’, in Solidarität gegen den gemeinsamen Unterdrücker zusammenarbeiten und … jenen Teil der uns aufspaltenden Geschichte einfach tilgen sollten. … – ‘Wir sind alle Afrikaner’ … ist ganz einfach ein Plädoyer für Ausnahmeregelungen …
Pflegt ein Marokkaner oder Algerier, ob nun in der ersten oder der zehnten Generation in den Vereinigten Staaten lebend auf die Frage ‘Wer bist du?’ zu antworten African-American? … Was ist afrikanisch an irgendeinem der Teile diese Kontinents, der auf arrogante Weise jeden Religionswechsel als einen Abfall vom ‘wahren Glauben’ ansieht, der gar mit der Todesstrafe zu sühnen ist? Was ist afrikanisch an religiöser Intoleranz und todbringendem Fanatismus? …
Beide Religionen fielen auf dem afrikanischen Kontinent ein und vernichteten … Religionen, die älter und in vielerlei Hinsicht humaner als die tatsächlichen Leitsätze der einfallenden Religionen waren. … George Hardy … resümiert …: ‘Der Islam begann das Werk der Zerstörung. Doch Europa leistete bessere Arbeit.’ … Nichts, was die islamischen Invasoren vorfanden, war ihnen heilig. …
Das Afrika, für das hier Wiedergutmachung gefordert wird, ist jenes Afrika, das unter der göttlichen Autorität der Götter des Islam und des Christentums, ihrer irdischen Vertreter und ihrer kommerziellen Sturmtruppen versklavt wurde. …
[Einige] afro-amerikanische Wissenschaftler …. [wollen] uns glauben machen …, dass die Lebensumstände der Sklaven unter den arabischen Sklavenbesitzern wesentlich humaner gewesen wären als unter den europäisch-amerikanischen. … Vermutlich würde … [das] aber nur diejenigen einbeziehen, die die Trans-Sahara-Route überlebt haben … Mir will es als anmaßend erscheinen, dem Praktiker eines entmenschlichenden Handels durch das Abwägen unterschiedlicher Grade der Misshandlung irgendeine Form der Absolution zu erteilen. …
[Wir sollten weiterhin] unsere Aufmerksamkeit auf den Häufungseffekt des gegenwärtigen sozialen Missmanagements auf dem Kontinent … lenken: wahrhaft ein Katalog der Desaster, die ihren Ursprung der verbrecherischen Art von Menschen verdanken und so jener Position Überzeugungskraft verleihen, nach der die Bewegung zur Wiedergutmachung unhaltbar ist – weil sie auf dem Kontinent Afrika selbst – unverdient geworden ist! … Wir können es uns … nicht leisten, die tagtägliche Wirklichkeit der brutalen Konflikte auf unserem Kontinent zu ignorieren – von denen einige … rassistisch bestimmt sind, wie der zwischen Senegal und Mauretanien zu Beginn der neunziger Jahre und noch mehr so der dauernde Konflikt im Sudan. … Die überlieferte Kultur des Sudan ist heute so gefährdet wie nie zuvor! … Im Sudan wird … noch immer andauernd eine Kultur vergewaltigt, so als ob Afrika sich zu den Schlachtfeldern des 13. und 14. Jahrhunderts zurückentwickelt hätte. Die Erinnerung an die Beziehungen der Sklaverei und das Erbe dieser Beziehungen bilden den Kern einer Anzahl heutiger Konflikte, und bis zur endgültigen Durchsetzung der Wahrheit … bleibt die Aussicht auf Versöhnung eine Schimäre. …
Von Wiedergutmachung zu reden … heißt sich der Frage stellen: ‘In wessen Namen?. … noch nie hat Straflosigkeit derart frei geherrscht wie in den Jahren der Raserei von Sanni Abachas Diktatur, jenes … Herren über jene Nation, die die Kampagne zur Wiedergutmachung für die Zeit der Sklaverei vorschlug, und die eine so rühmliche Rolle bei der Beendigung der südafrikanischen Sklaverei der Apartheid spielte! …
Ich habe einmal vorgeschlagen, die versklavenden Nationen sollten einfach die Schulden Afrikas erlassen, uns wir würden im Gegenzug die nicht in Zahlen zu bemessende Ungerechtigkeit erlassen, die dieser Welt durch dir heutigen Nutznießer des Sklavenhandels angetan wurde. … Die offensichtliche Antwort hierauf ist die: Es waren ja nicht die Regierungen, die versklavt wurden, sondern vielmehr die Völker, und gegen die Völker wird (und dies sowohl von ihren früheren wie auch ihren heutigen Herrschern) viel mehr gesündigt als dass die Völker selbst sündigten. … [Der Erlaß nationaler Schulden] bietet [aber] die Chance eines Neubeginns, setzt zugleich jenen immer wieder von den Regierungen angeführten Entschuldigungen ein Ende, wonach die Schulden für die Vernachlässigung der Wirtschaft oder den Kollaps der Entwicklung verantwortlich sind. …
In diesen bitteren Zeiten sollte Wiedergutmachung ebenso wie Mildtätigkeit zu Hause beginnen, und der Reichtum der Mobutus, der Babangidas, der Abachas, aber auch der de Beers, der Shell-Surrogat-Incs etc. des Kontinents sollte als Anzahlung verwendet werden, als Beweis einer internen moralischen Reinigung, die alle Forderungen nach weltweiter Entschädigung über jeden Zweifel erhaben machen würde. …
Bei einem entschlossenen Eintreten zum Schutz ihrer eigenen Leute wäre der Sklavenhandel schon an seinem Ursprung aufgehalten worden … Komplizentum … trübt, was eigentlich eine klare Unterscheidung zwischen Opfer und Täter sein sollte. …
Gerechtigkeit muss für alle gelten – oder überhaupt nicht.”
aus: Wole Soyinka: Wiedergutmachung, Wahrheit und Versöhnung. In: ders.: Die Last des Erinnerns. o.O.: Patmos 2001 (engl.Orig,. 1999), S.39-97.
Abb.: damali ayo: Communion, 2003, damaliayo.com.
07/19