MALTE WOYDT

HOME:    PRIVATHOME:    LESE- UND NOTIZBUCH

ANGE
BOTE
BEL
GIEN
ÜBER
MICH
FRA
GEN
LESE
BUCH
GALE
RIE
PAM
PHLETE
SCHAER
BEEK
GENEA
LOGIE

Brexit 1

“The rejection of the Chequers plan at Salzburg was no surprise … The EU … knows it holds all the cards and recognises the danger of giving ground. Its priority is to accommodate Dublin, not London. It also concludes that a government so determined to leave must believe it can look after itself. Brussels has no reason or incentive to make any better offer.

The government has never understood the Brexit process and therefore has always botched it. It expects the EU to treat the UK both as an equally powerful third country, and as a member state still deserving the EU’s protection. It is neither.”

aus: Jonathan Lis: Don’t buy the Brexit hype: it’s a border in the Irish Sea or the customs union. The Guardian Online, 21.Sep.2018, im Internet

09/18

21/09/2018 (21:38) Schlagworte: EN,Lesebuch ::

Antimoralismus

“… ‘Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral‘”, dieser berühmte Satz aus Brechts Dreigroschenoper will nicht das unmoralische Verhalten der Armen und Unterdrückten entschuldigen, er ist vielmehr ein Vorwurf an die Mächtigen. Diese könnten sich ihre tugendhaften Predigten nur deshalb leisten, weil sie von einer zutiefst ungerechten Gesellschaftsordnung profitierten. …

… diese Kritik bleibt … relevant. Ein Statussymbol der gegenwärtigen Mittelschicht ist zum Beispiel der bewusste, ethische Konsum. …[Aber] diese kleinen, privaten Akte der Tugendhaftigkeit [sind] nur ein Tropfen auf den heißen Stein der globalen Wirtschaftsordnung. … Der unpolitische, privatistische Moralismus der Mittelschicht gibt sich engagiert und kritisch, dient dabei aber auch und vor allem dem psychologischen Nebeneffekt der Gewissenserleichterung. … Die “liberalen Eliten” … sind gegen Diskriminierung von Migranten, aber nicht gegen den Niedriglohnsektor, in dem viele Migranten arbeiten. …

Wie passen … [aber] die Texte der Aufstehen-Initiatoren in dieses Schema? … [Sie] kritisieren [gar] nicht, sondern affirmieren vielmehr die gängigsten rechtspopulistischen Argumentationsmuster. … Es ist ein gefährlicher Irrtum, die rechten Antimoralisten beim Wort zu nehmen: als ginge es diesen Leuten nur um eine emotionsfreie, rationale, offene Debatte und eine “realistischere” Staatspolitik. Der antimoralistische Affekt der Rechtspopulisten ist keine Reaktion auf den Hypermoralismus der Eliten, denn diesen gibt es überhaupt nicht. … die Forderung, dass in Zukunft wieder einmal Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa kommen sollen, ist und war immer eine völlig marginalisierte Außenseiterposition. …

Was es durchaus gibt in unserer Gesellschaft, ist ein Konsens über gewisse liberale Grundsätze. Zum Beispiel soll jeder Mensch vor Diskriminierung geschützt werden und möglichst gleiche Chancen erhalten, etwas aus seinem Leben zu machen. Auch allgemeine Menschenrechte und das grundsätzliche Recht, Asyl zu beantragen, gehören noch zu diesem gesellschaftlichen Übereinkommen. Diese Moral zu überwinden, ist die Absicht der Rechten. …

Der angebliche Moralismus der Eliten, ihr Getue um Menschen- und Minderheitenrechte, bedeutet aus … [der] Perspektive [der Rechtspopulisten], dass ihnen die Interessen des ‘wahren Volkes‘ eben nicht so wichtig seien, dass sie sich mehr um Ausländer, Schwule, Schwarze oder Roma kümmern als um die ‘normalen Menschen’.

Wer in diesem Kontext als Linker behauptet, dass die moralischen Exzesse des Establishments eine Bedrohung für die Armen und Abgehängten seien, sollte sehr genau überlegen, was er da macht. Einem linken Aufbruch dient das jedenfalls nicht.”

aus: Johannes Simon: Die eigenen Privilegien stressfreier genießen, Die Zeit, 8.9.18, im Internet.

09/18

09/09/2018 (8:20) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Abendland

“Die Begriffsgeschichte kennt drei ideologisch formende Stationen: das Auftauchen im 16. Jahrhundert als Opposition zu Luthers ‘Morgenland’; sein Aufgreifen durch die deutsche Romantik mit der Tendenz zur Vereinnahmung für das Deutschtum; seine Verlagerung zum national und sogar rassistisch belasteten Begriff nach dem I. Weltkrieg und erneut nach 1945 mit der Tendenz der politischen Abgrenzung gegen den Osten hinter dem Eisernen Vorhang. … dieser Ausdruck weist einen Mangel an Eindeutigkeit auf; weder als historische Kategorie noch als kulturpolitischer Begriff ist ‘Abendland’ wirklich brauchbar. …

Was im 16. Jahrhundert räumlich gedacht wurde, verschob die Romantik zur kulturellen Bedeutung unter deutschem Vorzeichen. Die rassistische Verschiebung begann mit der Übersetzung der pseudowissenschaftlichen Schrift Houston Stewart Chamberlains: wo im Englischen ‘european’ steht, wurde übersetzt ‘abendländisch’. So bekam das Kap. II/5 gleich die Konnotation einer beabsichtigten Bedrohung: ‘Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte’

Das bedrohte ‘Abendland’ erklingt ganz kräftig in Alfred Rosenbergs gesteigert pseudowissenschaftlicher Schrift ‘Der Mythus des 20. Jahrhunderts …: ‘Daß alle Staaten des Abendlandes und ihre schöpferischen Werte von den Germanen erzeugt wurden, war zwar schon lange allgemeine Redensart gewesen, ohne daß daraus die notwendigen Folgerungen gezogen worden wären. Denn diese begreifen in sich die Erkenntnis, daß beim vollständigen Verschwinden dieses germanischen Blutes aus Europa … die gesamte Kultur des Abendlandes mit untergehen müßte.’

In andere Sprachen ist der Ausdruck unübersetzbar … Andere Sprachen kennen nur l’occident, west, tsch. západ, poln. zachód – man braucht keine dem ‘Abendlande’ ähnelden Begriff zur Identität und Selbststilisierung. …

In seiner Vision des ‘Weltgeistes’, der für eine Epoche ein ‘Herrschendes Volk’ auswählt und somit eine ‘spezielle Geschichte eines welthistorischen Volks’ aufbricht, benutzte Hegel entgegen dem ‘morgenländischen’ Bild des sich erneuernden Leibes das Oppositum: ‘Abendländisch ist, daß der Geist nicht bloß verjüngt hervorträte, sondern erhöht, verklärt.’ … Das Modell hatte seine Anziehungskraft: der ‘Geist’ erwählte für seine Entäußerung Deutschland, und das übertrug sich auf die Sendung seiner Kultur und vor allem – der deutschen Musik. …”

aus: Vladimir Karbusicky: Wie deutsch ist das Abendland? Hamburg: Brokel 1995, S.47/48

Abb.: Richard Bell: Prelude to a Trial (Bell’s Theorem) (2011), im Internet.

07/18

07/07/2018 (11:23) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Rousseauists

“Rousseau founded the main political and cultural movements of the modern world. Many ‘isms’ of the right and the leftRomanticism, socialism, authoritarianism, nationalism, anarchism – can be traced to Rousseau’s writings. Whether in his denunciation of moral corruption, his claim that the metropolis was a den of vice and that virtue resided in ordinary people (whom the elites routinely conspired against and deceived), his praise of militant patriotism, his distrust of intellectual technocracy, his advocacy of a return to the collective, the ‘people’, or his concern for the ‘stranger’, Rousseau anticipated the modern underdog with his aggravated sense of victimhood and demand for redemption. …

Rousseau was … the prototype of the man who feels himself, despite his obvious success, to be at the bottom of the social pyramid. … He was convinced, like many converts to ideological causes and religious beliefs, that he was immune to corruption. A conviction of his incorruptibility was what gave his liberation from social pieties a heroic aura … In the movement from victimhood to moral supremacy, Rousseau enacted … [what] has become commonplace in our time. …

Rousseau’s first great disciple, Robespierre, seems to have grasped, and embodied, better than anyone the incendiary appeal of victimhood in societies built around the pursuit of wealth and power. …

The Jacobins and the German Romantics may have been Rousseau’s most famous disciples, determined to create through retributive terror or economic and cultural nationalism the moral community neglected by Enlightment philosophes. …: Herder inaugurated the nativist quest – hectically pursued by almost every nation since – for whatever could be identified as embodying an authentic national spirit: literary forms, cuisine and architecture as much as language. … Fichte came to think that Germans were simply superior to everyone else … [and he] gave nationalism its characteristic secular feature: the transposition of religious into national loyalties. … Körner, [then, called the wars against Napoleon] ‘a crusade … a holy war’. This [was the first] ‘holy war’ in post-Christian Europe. …”

aus: Pankaj Mishra: Age of Anger, a History of the Present. o.O.: Allen Lane (Penguin Random House) 2017, S. 110-113, 174, 175, 191, 193.

05/18

29/05/2018 (12:12) Schlagworte: EN,Lesebuch ::

Development 2

“As Engels asserted … ‘Just as Darwin discovered the laws of development of organic nature, so Marx discovered the law of development of human history.’ Thus, development came to be infused with fresh earnestness and world-historical urgency, and then exalted with the prestige of science. Mere being came to be degraded, thanks to Germany’s special experience, by becoming. As Nietzsche wrote caustically, ‘The German himself is not, he is becoming, he is developing. Development is thus the truly German discovery.’ … All the hopes, transmitted from Marxists to modernization theorists and free-marketeers, of ‘development emerge from nineteenth-century German thinkers: the first people to give a deep meaning and value to a process defined by continuous movement with a fixed direction and no terminus. All our simple dualisms – progressive and reactionary, modern and anti-modern, rational and irrational – derive from the deeply internalized urge to move to the next stage of ‘development’, however nebulously defined.”

aus: Pankaj Mishra: Age of Anger, a History of the Present. O.O.: Allen Lane (Penguin Random House) 2017, S. 204-205.

Abb.: Michel Lafleur / Tom Bogaert: Famasi Mobil Kongolè, Teil von Atis Rezistanz Kollektiv: Documenta15-Installation, Detail, 2022.

05/18

29/05/2018 (11:36) Schlagworte: EN,Lesebuch ::

Islamism 1

“… Khomeini was actually a radically modern leader. For one, the cleric’s notion that the Iranian nation did not stem from any general or popular will but derived from God‘s mind, which as a charismatic leader he arrogated himself the right to interpret, was wholly novel: an extraordinary deviation, in fact, from a politically quietist Shiite tradition in which all government appeared illegitimate in the absence of the Twelfth Imam.

Khomeini belonged to a long line of revolutionary nationalists that began with Giuseppe Mazzini … Khomeini’s ideas were embedded in modern notions of representation and egalitarism. His notion of state power as a tool to produce a utopian Islamic society was borrowed from the Pakistani ideologue Abu Al-Ala Maududi, whose works he translated into Farsi in 1963. (Maududi’s vision of imposing Islamic order from above in turn was stimulated by Lenin’s theory of an elite as vanguard of the revolution.) …

With its many affronts to dignity and freedom, the Revolution was in this respect like the many self-defeating projects of human liberation since Rousseau started to outline them in the eighteenth century. … The Islamists … offered dignity – often a substitute for freedom in the postcolonial context …

Khomeini … grasped more clearly than modernizing-by-rote monarchs and despots the deeper and transformative potential of the idea brought into being by the Enlightement: that human beings can radically alter their social conditions. …

A religious or medieval society was one in which the social, political and economic order seemed unchangeable. …  The idea that suffering could be relieved, and happiness engineered, by men radically changing the social order belongs to the eighteenth century. …

The idea of a perfectible society … turned into a faith in top-down modernization; and transformed traditional ways of life and modes of belief – Buddhism as well as Islam – into modern activist ideologies. …

Meanwhile, the religious impulse had not simply disappeared in Europe … Europeans simply had erected new absolutes – progress, humanity, the republic – to replace those of traditional religion and the monarchy. … The metaphysical and theological core of Christianity … was often found at the heart of modern projects of redemption and transcendence … Revolution or radical social transformation effected by individuals was increasingly seen as a kind of Second Coming; violence initiated the new beginning; and in the final approximation of Christian themes, history was expected to provide the final judgement … Nearly every major thinker in Europe … also transposed Christian providentialism into would-be rationalistic categories. …

Christian eschatology even suffuses the political ideals of today‘s insistently Islamic radicals and Hindu nationalists – an inescapable irony of history … The cross-currents of ideas and inspirations, … the varied ideological inspirations of Iran’s Islamic Revolution (Zionism, Existentialism, Bolshevism and revolutionary Shiism) – reveal the picture of a planet defined by civilizations closed off from one another and defined by religion (or lack thereof) is a puerile cartoon. …

Radical Islamists or Hindu nationalists insist on their cultural distinctiveness and moral superiority precisely because they have lost their religious traditions, and started to resemble their supposed enemies in their pursuit of the latter’s ideologies of individual and collective success …”

aus: Pankaj Mishra: Age of Anger, a History of the Present. O.O.: Allen Lane (Penguin Random House) 2017, S. 153-159.

Abb.: Ausschnit eines Werkes von Mous Lamrabat, Foto Biennale Oostende 2023, auch im Internet.

05/18

28/05/2018 (23:40) Schlagworte: EN,Lesebuch ::

Political Correctness 3

Political Correctness … ist ein rechtskonservativer Kampfbegriff zur Denunziation von Gruppen, die Rechte für sich einfordern, die man ihnen nicht zugestehen möchte. …

Menschen, die ganz konkret nicht länger sexuell missbraucht oder belästigt, auf der Straße beleidigt oder verprügelt und auch nicht mehr auf Twitter mit Mord und Vergewaltigung bedroht werden möchten. Sie alle fordern Anstand und Respekt.

Bei den Gegnern der Political Correctness scheint das autoritäre Reflexe wachzurufen: Wenn so etwas einreißt, könnte ja jeder kommen und Respekt verlangen! Ein bisschen so, als wäre Respekt eine Unterwerfungsgeste – je mehr ich anderen davon erweise, desto weniger bekomme ich selbst ab. Als hätte man morgens, wenn man aus dem Haus geht, nur eine begrenzte Menge Respekt in der Tasche und müsste sich sorgfältig aussuchen, wie man ihn verteilt. Da darf einem dann kein syrischer Transmensch dazwischenkommen, der Respekt verlangt, dann hätte man ja abends auf dem Heimweg für die liebe deutsche Nachbarin keinen mehr übrig!”

aus: Robin Detje: Political Correctness: Heilige Angstlandschaften, Zeit-Online, 25. Mai 2018, im Internet

05/18

25/05/2018 (16:55) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Ostseele

“Man ist im ehemaligen Ostblock in der tiefen Überzeugung vereint, sich für die westdeutsche Selbstzerknirschung, die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, den moralischen Überschuss nicht zuständig zu fühlen. Der Osten sieht sich heute als das Opfer, das nach der Schändung durch den NS-Staat und den Kommunismus auch noch einer frechen Gesinnungsprüfung ausgesetzt wird – eine dreifache Demütigung. Man lässt sich Derartiges nicht gefallen und wählt mit dem Stolz des Beleidigten die AfD oder PiS.”

“Dem Westdeutschen … ist der demokratische Staat ein heiliger Ort der Freiheit. … [Der Ostmensch] hingegen … steht in kritischer Distanz zu prinzipiell jeder Form von Staatlichkeit, weil sie sich ihm zuverlässig als vorübergehende und fragile Erscheinung offenbart hat.”

“Den Vorwurf, rechts zu sein, kennt er allzu gut aus der DDR: Unangepasst zu sein bedeutete sogleich, als Faschist gebrandmarkt zu werden. Warum er auch in der Demokratie als rechts gilt, bleibt ihm so rätselhaft wie den Westdeutschen, warum er bloß so rechts ist. Der Ostmensch glaubt, durch seine vehemente Kritik für die Stabilität des Staates in der globalisierten Flüchtlingskrise einzustehen …”

“Die Spaltung zwischen Ost und West entzündet sich insgeheim an den unterschiedlichen Gründungsmythen …” “Der Mensch des einstigen Ostblocks begreift sich als [per Definition] durch und durch unschuldig. Er zehrt von einer jahrzehntelangen Staatsdoktrin. Sie besagte, dass der Westen kapitalistisch und faschistisch sei, man selbst aber sozialistisch und daher von vornherein antifaschistisch.”

“Jedes Schulkind des Ostblocks lernte, dass die extremste Form des Kapitalismus der Faschismus sei. … der eine oder andere dürfte sich, ausreichend in sozialistischer Dialektik geschult, die zynische Frage stellen, ob es nicht seltsam sei, sich ausgerechnet von jenen, die für die Fluchtursachen durch jahrzehntelange Ausbeutung der Welt verantwortlich sind, sagen zu lassen, wie philanthropisch man zu sein habe. Wird man nicht einmal mehr gezwungen, etwas auszubaden, wofür man gar nicht verantwortlich ist?”

aus: Adam Soboczynski: Der neue Ostblock, ZEIT-Online, 21.3.2018, (im Internet), hier umgestellt.

Abb.: Pawel Kuczynski: Unrest. im Internet.

03/18

23/03/2018 (1:12) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Responsibilisation

“… states took over the monopoly of legitimate violence, political power and therefore also responsibility. Delegating responsibility to civil society whilst maintaining power in the state and even in the economy therefore seems to be a process of taking away responsibility from those in power and giving responsibility to those without power, who would thus become responsible for their own underdevelopment …

If the goal is more or less imposed, and the different parties’ responsibilities take the form of being co-opted into a system that cannot be questioned, the transfer of responsibilities can be seen quite simply as a good excuse to … lessen the responsibilities of those who dominate the system. …

Bonnie Campbell makes clear ‘… that the notions of ’empowerment’ used by the World Bank in the 1980s and ‘participation’ in the 1990s do not arise from a concern for real participation but are connected rather with a concept of ‘populist manageralism’.'”

aus: Christoph Eberhard: Responsibility in France. A juridical approach in the face of the complexity of the world. In: Sizoo, Eidth (ed.): Responsibility and cultures of the world. Bruxelles u.a.: P.I.E. Peter Lang, S.126/127.

02/18

25/02/2018 (20:22) Schlagworte: EN,Lesebuch ::

Normalität 1

“Man kann den Begriff ‘normal‘ oder ‘gesund’ auf zweierlei Weise definieren. Erstens kann vom Standpunkt einer funktionierenden Gesellschaft aus den als normal oder gesund bezeichnen, der imstande ist, die ihm zufallende Rolle in der betreffenden Gesellschaft zu erfüllen. … Zweitens verstehen wir vom Standpunkt des Individuums aus unter Gesundheit und Normalität ein Optimum an Wachstum und Glück.

Wenn eine bestimmte Gesellschaft so strukturiert wäre, daß sie dem einzelnen eine optimale Möglichkeit zu seinem Glück böte, so würden beide Standpunkte sich decken. In den meisten uns bekannten Gesellschaften … ist das jedoch nicht der Fall. … Wir müssen daher scharf zwischen beiden Auffassungen von ‘Gesundheit’ unterscheiden. … Leider wird diese Unterscheidung oft nicht gemacht. Für die meisten Psychiater ist die Struktur ihrer Gesellschaft etwas … Selbstverständliches … .

[Als] Neurotiker … [kann man] einen Menschen charakterisieren, der nicht bereit ist, im Kampf um sein Selbst völlig die Waffen zu strecken … Vom Standpunkt der menschlichen Werte aus [ist er] weniger verkrüppelt als der Normale, der seine Individualität völlig eingebüßt hat. …”

aus: Erich Fromm: Die Furcht vor der Freiheit. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt 1980 (US-amerik. Originalausgabe 1947), S. 113/114.

Abb.: Maria Indriasari: Trapped in A Form 1, 2012, indoartnow, im Internet.

02/18

07/02/2018 (1:00) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
« Previous PageNext Page »