MALTE WOYDT

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Banalität des Bösen

“Eichmann war nicht Jago und nicht Macbeth, und nichts hätte ihm ferner gelegen, als ein Richard III. zu beschließen, ‘ein Bösewicht zu werden’. Außer einer ganz ungewöhnlichen Beflissenheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte, hatte er überhaupt keine Motive; und auch diese Beflissenheit war an sich keineswegs kriminell, er hätte bestimmt niemals seinen Vorgesetzten umgebracht, um an dessen Stelle zu rücken. … Es war gewissermaßen schiere Gedankenlosigkeit … die ihn dafür prädisponierte, zu einem der größten Verbrecher jener Zeit zu werden. …

Die Anklage unterstellte nicht nur, daß es sich um ‘vorsätzliche’ Verbrechen handelte – dies bestritt er nicht -, sondern auch, daß er aus niedrigen Motiven und in voller Kenntnis der verbrecherischen Natur seiner Taten gehandelt habe. Beides leugnete er auf das entschiedenste. Was die niedrigen Motive betraf, so war er sich ganz sicher, daß er nicht ‘seinem inneren Schweinehund’ gefolgt war; und er besann sich ganz genau darauf, daß ihm nur eins ein schlechtes Gewissen bereitet hätte: wenn er den Befehlen nicht nachgekommen wäre und Millionen von Männern, Frauen und Kindern nicht mit unermüdlichem Eifer und peinlichster Sorgfalt in den Tod transportiert hätte. …

Ja, es war noch nicht einmal ein Fall von wahnwitzigem Judenhaß, von fanatischem Antisemitismus oder von besonderer ideologischer Verhetzung. ‘Persönlich’ hatte Eichmann nie das geringste gegen die Juden gehabt. … Tatsache war …, daß er ‘normal‘ und keine Ausnahme war und daß unter den Umständen des Dritten Reiches nur ‘Ausnahmen’ sich noch so etwas wie ein ‘normales Empfinden’ bewahrt hatten. …

… die traurige und beunruhigende Wahrheit war vermutlich, daß nicht sein Fanatismus Eichmann zu seinem kompromißlosen Verhalten im letzten Kriegsjahr getrieben hat, sondern sein Gewissen …

Im Dritten Reich hatte das Böse die Eigenschaft verloren, an der die meisten Menschen es erkennen – es trat nicht mehr als Versuchung an den Menschen heran. Viele Deutsche und viele Nazis, wahrscheinlich die meisten, haben wohl die Versuchung gekannt, nicht zu morden, nicht zu rauben, ihre Nachbarn nicht in den Untergang ziehen zu lassen … und nicht, indem sie Vorteile davon hatten, zu Komplizen all dieser Verbrechen zu werden. Aber sie hatten, weiß Gott, gelernt, mit ihren Neigungen fertigzuwerden und der Versuchung zu widerstehen.”

aus: Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem, München: Piper 1964 (US-Amerikan. Orig.-Ausg. 1963), S.14/15, 53/54, 185, 189.

Abb.: Philip Guston: Riding Around, 1969.

05/17

14/05/2017 (23:56) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Kollektivschuld

“Im Rahmen des Politischen gehören zu diesen zu nichts verpflichtenden, leeren Allgemeinheiten die Vorstellungen von einer Kollektivschuld bzw. Kollektivunschuld der Völker, die automatisch des Urteilens und der damit verbundenen Risiken entheben. … Es hat sich inzwischen herumgesprochen, daß es eine Kollektivschuld nicht gibt und auch keine Kollektivunschuld und daß, wenn es dergleichen gäbe, niemand je schuldig oder unschuldig sein könnte. Was es aber wohl gibt, ist eine Kollektivhaftung im politischen Bereich … Politisch haftet jede Regierung eines Landes für all das, was durch die Regierungen vor ihr zu Recht und zu Unrecht geschehen ist. Das Recht soll sie fortsetzen und das Unrecht nach Möglichkeit wiedergutmachen. In diesem Sinne zahlen wir allerdings immer für die Sünden der Väter.”

aus: Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem, München: Piper 1964 (US-Amerikan. Orig.-Ausg. 1963), S.24/25.

05/17

14/05/2017 (23:33) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Verwaltungsmassenmord

“Zwar ist sich alle Welt nachgerade darüber einig, daß das, was in Auschwitz geschah, beispiellos ist; aber die Kategorien, mit denen dies Beispiellose nun politisch und juristisch erfaßbar ist, sind immer noch gänzlich ungeklärt. Denn der hierfür neuerdings eingeführte Begriff des Völkermords (Genocide) ist zwar in gewissem Sinne zutreffend, aber nicht ausreichend, schon weil Völkermorde nicht beispiellos sind – sie waren in der Antike an der Tagesordnung, und die Jahrhunderte der Kolonisation und des Imperialismus kennen mehr oder minder geglückte Versuche in dieser Richtung zur Genüge. Der aus dem englischen Imperialismus stammende Ausdruck ‘Verwaltungsmassenmord’ (administrative massacre), den die Engländer bewußt ablehnten als ein Mittel, die Herrschaft über Indien aufrechtzuerhalten, dürfte der Sache erheblich angemessener sein …

Wir hörten die Beteuerungen der Verteidigung, Eichmann sei doch nur ein ‘winziges Rädchen’ im Getriebe der Endlösung gewesen …

… die ganze Rad-Theorie [ist] juristisch belanglos, und … daher [ist es] ganz gleichgültig …, in welcher Größenordnung man das ‘Rädchen’ Eichmann unterbringen wollte. Das Gericht gab in seiner Urteilsfindung natürlich zu, daß ein solches Verbrechen nur von einer Riesenbürokratie mit staatlichen Mitteln ausgeführt werden kann; sofern es aber ein Verbrechen bleibt – und dies ist ja die Voraussetzung für die Gerichtsverhandlung -, werden alle Räder und Rädchen im Getriebe vor Gericht automatisch wieder in Täter, also in Menschen zurückverwandelt.”

aus: Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem, München: Piper 1964 (US-Amerikan. Orig.-Ausg. 1963), S.16/17.

Abb.: Joane Cardinal Schubert: One little, two little, three little, 1987, Canadian Museum of Civilization. In: Zeitgenössische Kunst der Indianer und Eskimos in Kanada, Stuttgart: Cantz 1988.

05/17

14/05/2017 (23:22) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Schuldgefühle 1

“Martin Buber nannte die Hinrichtung [Adolf Eichmanns] einen ‘Fehler geschichtlichen Ausmaßes’, da sie dazu führen [könne], daß viele junge Menschen in Deutschland, die sich schuldig fühlen, ihre Schuld nun als gesühnt betrachteten … Es ist seltsam, daß Buber … nicht sieht, daß diese zur Schau getragenen und reichlich publizierten Schuldgefühle gar nicht echt sein können. Sich schuldig zu fühlen, wenn man absolut nichts getan hat, und es in die Welt zu proklamieren, ist weiter kein Kunststück, erzeugt allenthalben ‘erhebende Gefühle’ und wird gern gesehen. … Die normale Reaktion einer Jugend, der es mit der Schuld der Vergangenheit ernst ist, wäre Empörung. Und Empörung wäre zweifellos mit gewissen Risiken verbunden – nicht gerade einer Gefahr für Leib und Leben, doch entschieden ein Handicap für die Karriere. … wenn diese Jugend von Zeit zu Zeit – bei Gelegenheit des Anne-Frank-Rummels oder anläßlich des Eichmann-Prozesses – in eine Hysterie von Schuldgefühlen ausbricht, so nicht, weil sie unter der Last der Vergangenheit, der Schuld der Väter, zusammenbricht, sondern weil sie sich dem Druck sehr gegenwärtiger und wirklicher Probleme durch Flucht in Gefühle, also durch Sentimentalität entzieht.”

aus: Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem, München: Piper 1964 (US-Amerikan. Orig.-Ausg. 1963), S.298/299.

05/17

14/05/2017 (23:02) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Menschlichkeit

“Das den Nürnberger Prozessen zugrunde liegende Londoner Statut hat … die ‘Verbrechen gegen die Menschheit’ als ‘unmenschliche Handlungen’ definiert, woraus dann in der deutschen Übersetzung die bekannten ‘Verbrechen gegen die Menschlichkeit’ geworden ist – als hätten es die Nazis lediglich an ‘Menschlichkeit’ fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten, wahrhaftig das Understatement des Jahrhunderts.”

aus: Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem, München: Piper 1962, S.324.

05/17

14/05/2017 (22:37) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Gehorsam

“… Denn wenn Sie sich auf Gehorsam berufen, so möchten wir Ihnen vorhalten, daß die Politik ja nicht in der Kinderstube vor sich geht und daß im politischen Bereich der Erwachsenen das Wort Gehorsam nur eine anderes Wort ist für Zustimmung und Unterstützung.”

aus der Rede von der Hannah Arendt gerne gehabt hätte, daß die Richter im Eichmann-Prozeß sie an Eichmann richteten… – Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem, München: Piper 1964 (US-Amerikan. Orig.-Ausg. 1963), S.329.

05/17

14/05/2017 (22:32) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Gnade

“Gnade [gilt] der Person … im Unterschied zur Tat: Der Gnadenakt verzeiht nicht den Mord, sondern begnadigt den Mörder, weil er mehr ist als seine Tat.”

aus: Hannah Arendt: Brief an Gershom Scholem, 20.7.1963, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.284

04/17

21/04/2017 (23:22) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Zionismus

“Denn heute und im jetzigen Moment ist die zionistische Bewegung tot. Sie ist teils an dem Siege (Staatsgründung, die ja das Ziel war) und teils an der völlig veränderten Judenfrage nach Hitler eingegangen. Es gibt kein europäisches Judentum mehr und wird es vielleicht nie wieder geben. Aber die Lüge in Israel ist, dass man diese Vergangenheit, der man seine eigene Entstehung verdankt, verleugnet und sich stattdessen eine großartige Herkunft andichtet – biblisch-alttestamentarisch. Gerade damit träumt man sich aus der wirklichen Geschichte heraus und versteht die eigene Realität nicht mehr. Genau so benehmen sich andere Levante-Völker, wie etwa die Griechen, die natürlich mit Homer so viel zu tun haben wie Du und ich und sich als homerische Helden aufspielen und dabei in dem wüstesten balkanischen Chauvinismus und der dazu gehörigen Schlamperei und Korruptheit und Unbildung und Levantivismus sich behaglich einrichten.

Es scheint mir, dass es keine Möglichkeit für eine Renaissance des Zionismus gibt im gegenwärtigen Augenblick. Dazu ist vor allem die Lage in Israel zu prekär; die Fragen der nackten Existenz stehen zu sehr im Vordergrund. Die Frage des Antisemitismus andererseits ist vorläufig außer in den Satelliten-Staaten (und vielleicht in Russland) nicht akut. Und Assimilation in Amerika ist ein so grundsätzlich anders geartetes Phänomen, dass das Begriffs-Arsenal des Zionismus ihm nicht gewachsen ist.”

aus: Hannah Arendt: Brief an Kurt Blumenfeld, 9.1.1957, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.211

04/17

20/04/2017 (23:02) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Heidegger

“Heidegger sagt, ganz stolz: ‘Die Leute sagen, der Heidegger ist ein Fuchs.’ Dies ist die wahre Geschichte von dem Fuchs Heidegger:

Es war einmal der Fuchs, dem gebrach es so an Schläue, daß er nicht nur in Fallen ständig geriet, sondern den Unterschied zwischen einer Falle und einer Nicht-Falle nicht wahrnehmen konnte. Dieser Fuchs hatte noch ein Gebrechen, mit seinem Fell war irgend etwas nicht in Ordnung, so daß er des natürlichen Schutzes gegen die Unbilden des Fuchsen-Lebens ganz und gar ermangelte. Nachdem dieser Fuchs sich seine ganze Jugend in den Fallen anderer Leute herumgetrieben hatte und von seinem Fell sozusagen nicht ein heiles Stück mehr übrig geblieben war, beschloß er, sich von der Fuchsenwelt ganz und gar zurückzuziehen, und ging an die Errichtung des Fuchsbaus. In seiner haarsträubenden Unkenntnis über Fallen und Nicht-Fallen und seiner unglaublichen Erfahrenheit mit Fallen kam er auf einen unter Füchsen ganz neuen und unerhörten Gedanken: Er baute sich eine Falle als Fuchsbau, setzte sich in sie, gab sie für einen normalen Bau aus (nicht aus Schläue, sondern weil er schon immer die Fallen der Anderen für deren Baue gehalten hatte), beschloß aber, auf seine Weise schlau zu werden und seine selbstverfertigte Falle, die nur für ihn paßte, zur Falle für Andere auszugestalten. Dies zeugte wieder von großer Unkenntnis des Fallenwesens: In seine Falle konnte niemand recht rein, weil er ja selbst drin saß. Dies ärgerte ihn; schließlich weiß man doch, daß alle Füchse gelegentlich trotz aller Schläue in Fallen gehen. Warum sollte es eine Fuchsenfalle, noch dazu vom in Fallen erfahrensten aller Füchse hergerichtet, nicht mit den Fallen der Menschen und Jäger aufnehmen können? Offenbar, weil die Falle sich als solche nicht klar genug zu erkennen gab. Also verfiel unser Fuchs auf den Einfall, seine Falle schönstens auszuschmücken und überall klare Zeichen zu befestigen, die ganz deutlich sagten: Kommt alle her, hier ist eine Falle, die schönste Falle der Welt. Von da an war es ganz klar, daß in diese Falle sich kein Fuchs je unabsichtlicherweise hätte verirren können. Dennoch kamen viele. Denn diese Falle diente ja unserem Fuchs als Bau. Wollte man ihn im Bau, wo er zu Hause war, besuchen, mußte man in seine Falle gehen. Aus der freilich konnte jeder herausspazieren außer ihm selbst. Sie war ihm wort-wörtlich auf den Leib geschnitten. Der Fallen-bewohnende Fuchs aber sagte stolz: So viele gehen in meine Falle, ich bin der beste aller Füchse geworden. Und auch daran war etwas Wahres: Niemand kennt das Fallenwesen besser, als wer zeitlebens in einer Falle sitzt.”

aus: Hannah Arendt: Denktagebuch, Juni 1953, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.165 [auch im Internet gefunden: Kult des Fragments]

04/17

20/04/2017 (22:47) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Judentum

“Judentum gibt es nicht außerhalb der Orthodoxie auf der einen, dem jiddisch sprechenden, Folklore produzierenden jüdischen Volk auf der anderen Seite. Was es außerdem gibt, sind Menschen jüdischer Abstammung, für die es jüdische Inhalte im Sinne irgendeiner Tradition nicht gibt und die aus bestimmten sozialen Gründen und weil sie sich als eine Clique innerhalb der Gesellschaft befanden, so etwas produzierten wie einen ‘jüdischen Typus’. Dieser hat mit dem, was wir historisch und voll echter Gehalte unter Judentum verstehen, nichts zu tun.”

aus: Hannah Arendt: Brief an Karl Jaspers, 7.9.1952, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.139

04/17

20/04/2017 (22:42) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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