MALTE WOYDT

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Fremdsprachen

(FR)

“Die meisten unserer Mitbürger wünschen nichts mehr solange sie noch auf der Schule sind, als diese so schnell wie möglich zu beenden. Es ist amüsant zu beobachten, daß ihnen – sind sie auch schon lange ‘runter von der Schule – die Strukturen der Schule ins Blut übergegangen sind. Ein großer Teil unserer Verhaltensformen sind durch die Schule vorgeprägt. Das gilt insbesondere für das Erlernen fremder Sprachen…”

aus: Jean-Pierre Galliez: Les langues … j’ose. Bruxelles: Labor 1998, meine Übersetzung…

08/10/2007 (22:14) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Apprentissage des langues

(DE)

“Alors que le souhait de beaucoup de nos concitoyens lorsqu’ils sont à l’école est d’en sortir au plus vite, il est amusant de constater que dès qu’ils en sont sortis, le schéma scolaire reste une référence secrète, profondément enfouie mais alimentant nombre de comportements de base. C’est particulièrement le cas pour tout ce qui concerne l’apprentissage des langues…”

aus: Jean-Pierre Galliez: Les langues … j’ose. Bruxelles: Labor 1998

08/10/2007 (22:07) Schlagworte: FR,Lesebuch ::

Sport

“Er zijn mensen die van sport houden en mensen die er niet zo van houden, en daar kon ik prima mee leven. Tot het me enkele jaren geleden echt begon te storen: ik kon er niet meer naast kijken. … Als ik ‘s zondags de radio opzet, hoor ik alleen maar cijfers: 0-1, 1-4, 2-0. En haal ik ‘s morgens mijn krant uit de bus, dan staat er op de eerste pagina iets over een speler die van ploeg verandert. Dan moet ik voor het echte nieuws naar pagina drie. Aan sport wordt de laatste tijd heel erg veel belang gehecht. Te veel. …

Toen ik op de universiteit zat, was het helemaal niet bon ton om over voetbal te praten. Wij pratten over theater Jordaan. Nu praat men over sport alsof het even belangrijk is als kunst. Alsof Feyenoord evenveel te betekenen heeft als Plato en Kant samen. …

Een mens kan best zonder sport leven, maar niet zonder kunst en cultuur. Kijk maar naar de eerste mensen: in hun grotten zijn sporen van kunst aangetroffen, maar van sport?

Het beste bewijs dat we zonder sport kunnen leven is dat we dat al zestien eeuwen lang gedaan hebben. … De laatste Olympische Spelen vonden in 369 na Christus plaats, pas in 1896 werd de Spelen nieuw leven ingeblazen. …

Neem gewoon de fiets naar het werk of om boodschappen te doen, neem trappen in plaats van liften, doe zelf het huishouden en maak schoon, nou, dan heb je genoeg beweging op een dag. En dan is het beweging die nog een zeker nut heeft ook. Ik vind het zo zinloos, mensen die op een machine staan te zweten in de sportschool. …

Wie sport, leeft twee jaar langer. Dat blijkt uit onderzoek. Maar wat heb je daaraan als je twee jaar van dat lange leven met sporten hebt gevuld? Dan kun je evengoed niet sporten. … Wat vaststaat is dat wie langer wil leven, het beste langer studeert. Dat is – naast ouders die lang leven, maar die kun je niet kiezen – nu eenmaal de beste garantie om je leven te verlengen. …

Er is [enkel] één goede reden [om te sporten]: omdat je het leuk vindt.”

aus: Een mens kan zonder sport, maar niet zonder kunst. Interview mit Midas Dekkers (door Katrijn Serneels), De Morgen, 31.8.2006.

11/06

08/10/2007 (22:06) Schlagworte: Lesebuch,NL ::

Spieler

“Spieler sind häufig Wirrköpfe, sie leben in einer etwas anderen Welt und kommen nicht immer damit klar, daß sie eigentlich erwachsen sein sollten. Glücklicherweise nimmt man sie nicht sonderlich ernst und hält sie für ungefährlich. …

Wir braven Spieler von Gesellschaftsspielen sind harmlos krank: Wir sind nur von der Freiheit infiziert, stundenlang beschäftigt sein zu können, ohne daß das Geringste dabei herauskommen muß. Nicht der Ruin droht uns, sondern schlimmstenfalls eine Niederlage. Dann fordern wir Revanche. Eins geht noch. …

Es gibt im Leben des Spielers, grob gerechnet, drei Arten von Menschen. Erstens jene, die nicht spielen mögen, aber dennoch Freunde oder wenigstens gute Bekannte sein können – obwohl ich im Verlauf noch so angenehmer Abende bei noch so guten Gesprächen nie das gelegentliche Gefühl einer gewissen Verschwendung ganz unterdrücken kann, wenn ich an die Spiele denke, die wenigstens zwischendurch theoretisch gespielt werden könnten. Bei der zweiten Art verhält es sich umgekehrt – wunderbare Spieler sind das, allzeit und zu allem bereit, leidenschaftlich, ganz bei der Sache; doch wehe, wenn es zu einer Pause kommt, wenn es ein wenig dauert bis zum ersten Spiel oder nach dem letzten. Wir haben uns wenig zu sagen, unser einziges Kommunikationsmittel ist das Spiel. Die dritte Kategorie schließlich ist die seltenste: spielende Freunde. Solche Menschen könnte man sich ohne weiteres als Dauergäste in die Wohnung holen.”

aus: Michael Knopf: Spielen. München: dtv, 1999, S. 10 und 105.

Abb.: Werbung, im Internet.

08/03

08/10/2007 (22:06) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Sozialismus 2

“Zur Sache. Gewichtiges wird bleiben vom Ende des Sozialismus. Nur schlechte Erfahrungen sind gute Erfahrungen. Sie erteilen bleibende Lehren. Es bleibt:

  • Der historische Beweis, daß Laissez-faire nicht Freiheit ist.
  • Der historische Beweis, daß zentral-staatliche Planung und Lenkung in komplexer Gesellschaft soziale Vernunft nicht maximiert, sondern minimiert.
  • Der historische Beweis, daß Sozialismus ohne Demokratie als Gestalt ein Monster und als Methode ein Holzweg ist.
  • Die schlüssige Erfahrung, daß es ohne Individualismus keine Solidarität, ohne diese keinen Individualismus für die Schwachen gibt.
  • Der historische Beweis, daß es ohne Macht keine gesellschaftliche Kontrolle der Produktion gibt, aber ohne eine solche Kontrolle auch keinen akzeptablen Markt.
  • Der historische Beweis, daß es ohne Gerechtigkeit keinen sozialen Frieden gibt, ohne diesen aber weder wirtschaftlichen noch gesellschaftlichen Fortschritt.
  • Der historische Beweis, daß es ohne zivile Gesellschaft keine Freiheit gibt, ohne Demokratie aber keine zivile Gesellschaft.
  • Die schlüssige Vermutung, daß Emanzipation das Ende illegitimer Herrschaft ist, aber nicht der Beginn von Versöhnung.
  • Die Erfahrung, daß soziale Kontrolle der Produktionsmittel nötig, aber auch möglich ist ohne den Holzhammer der förmlichen Eigentumsänderung.”

aus: Thomas Meyer: Was bleibt vom Sozialismus? Reinbek 1991, S.133

03/92

08/10/2007 (22:05) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Sozialismus 1

“Lieber Eckard,

Sozialismus ist für mich kein Zustand, in den ich irgendwann eintreten könnte wie in ein Zimmer, sondern eine Tätigkeit, die ich alltäglich betreibe. In der kleinen bayerischen Fremdenverkehrsgemeinde, wo wir seit sechs Jahren wohnen, bin sozusagen ich der Sozialismus. … unser SPD-Ortsverein mit seinen gerade 18 Mitgliedern verkörpert in meinem Heimatdorf so gut oder schlecht es eben gehen mag, den Sozialismus. Ich bin der Vorsitzende.

Was wir tun (oder nicht tun, weil wir nicht wollen oder nicht können), ist das, was die 3.000 Seelen vom Sozialismus erfahren. Andere politische Gruppierungen, die sich als “links” verstehen könnten (wie Grüne oder DKP), spielen hier, auf kommunaler Ebene keine Rolle.

Was tun wir nun also, und was tun wir nicht?

Die B19 von Sonthofen nach Oberstdorf führt durch den Ort mittendurch. Wir haben uns stark gemacht für eine Begrenzung der Geschwindigkeit auf 80, fanden die Unterstützung des Bürgermeisters und des ganzen Gemeinderats und konnten doch nicht mehr erreichen, als ein Probejahr mit den 80-Schildern, das nun beendet werden sollte. Neuerliches Hin und Her. Schreiben an die Abgeordneten im Landtag, an die Presse – jetzt ist es soweit, 80 gilt ohne zeitliche Begrenzung.

Seite an Seite mit der CSU, in diesem Fall – eine solche Äußerung wird nach meiner Erfahrung außerhalb Bayerns immer mißverstanden, auch von denen, die sich als gewitzt verstehen. Die meisten Intellektuellen und Linken, die ich treffe, glauben ganz genau zu wissen, wie es in Bayern zugeht. Sie erzählen es mir, meist lachend. Auf die Idee, mich zu fragen, welche Erfahrung ich hier mit der CSU mache, ist noch niemand gekommen. Alle wissen es schon – sie glauben es zu wissen. Die Wirklichkeit, wie ich sie erlebe, ist anders.

… Der Mittelstand ist es, der hier regiert; das ist wörtlich zu verstehen. … Wer alteingesessener Gewerbetreibender ist, der ist katholisch und CSUler und in etlichen Vereinen aktiv. Die besten Leute aus dieser Schicht sitzen zu zwölft im Gemeinderat und bilden die CSU-Fraktion, die vom Bürgermeister, der zugleich CSU-Vorsitzender ist, geleitet wird.

Ihnen gegenüber sitzen wir zwei SPD-Mitglieder, der andere ist Hauptschullehrer und auch, wie ich, zugezogen. Wer nicht alteingesessen ist, und keinen Betrieb geerbt hat, wer also zugezogener Arbeitnehmer, Selbstständiger oder kleiner Beamter ist, der organisiert sich in der Regel als Sozi, ist evangelisch und denkt ‘liberal‘ im fortschrittlichen Sinne.

Wir zwei werden nun von der übermächtigen CSU-Fraktion (nach anfänglichen Scharmützeln mit schwerem Säbel) gut behandelt. In allen Ausschüssen sind wir vertreten. Anträge, die uns wichtig waren, fanden die nötige Unterstützung; allein könnten wir nichts ausrichten.

Am wichtigsten war mir persönlich das Grabdenkmal für drei 1944 an Lungenentzündung verstorbene Fremdarbeiter. Wir hatten hier ein Außenlager des KZ Dachau, es war klein. … neben ‘verschleppten’ [wurden] auch ‘freie‘ Fremdarbeiter beschäftigt. Drei, ein Belgier, ein Pole, ein Ukrainer, lagen unter vernachlässigten Holzkreuzen auf dem ansonsten durchaus wohlhäbig gestalteten Friedhof. Wir setzten durch, daß ihnen ein Grabmal aus drei schönen, auffälligen Granitkreuzen gesetzt wurde. …

Das Verhältnis zu den Gemeinderatskollegen ist gut. Neulich waren wir mal auf Besichtigungsfahrt in München und wurden von der Zentrale einer riesigen Bank bewirtet. Der Gastgeber flocht in einer Laudatio auf uns Ehrenamtliche ganz beiläufig ein, wie sehr doch die politische Bewegung von 1968 gescheitert sei. Nichts sei davon übriggeblieben. Da meldete ich mich und sagte: Doch, ich sei übriggeblieben und auf meinem Weg durch die Institutionen jetzt hier angekommen, in dieser Bank, um ihm zu widersprechen. …

Es hätte peinlich sein können, war’s aber nicht, denn unser Bürgermeister sagte in freundlich-kommunikativem Ton zu dem Mann: Jawohl, die Molsners seien in der Tat so Altachtundsechziger, doch doch, solche gebe es schon noch.

Zu einem großen lärmenden Zusammenstoß zwischen den Fraktionen ist es bisher nicht gekommen. Sollte ein Anlaß solchen Zusammenstoß fordern, werde ich ihm nicht ausweichen. Vor allem will ich aber zeigen und sozusagen vor-leben …, daß man nicht hassen und große Anlässe suchen muß, um Interessen zu vertreten und auch zu realisieren. …

aus: Michael Molsner: Das, was ich alltäglich tue. In: Eckard Spoo (Hg.): Wie weiter? Hamburg 1988.

01/92

08/10/2007 (22:05) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Sonntagmorgen

“Manfred stellte den kleinen Tisch beiseite.”

Lars Griebel, in: Anthologie ohne Titel. Treffen Junger Autoren 1987, S.65.

Abb.: Lala Bohang: How to Wake Up and Get Out of Bed #1-#3, 2017, indoartnow, im Internet.

08/10/2007 (22:04) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Sightseeing

“Que vous est-il advenu? demandait-on au voyageur ancien; qu’avez-vous vu? est la question posée au ‘retouriste‘ : un rapport visuel remplace le contact romanesque avec le monde. Le règne du pittoresque entraîne nécessairement le déclin de la narration. …

On a célébré comme un progrès le passage du country seeing au life seeing, le remplacement du regard purement esthétique par une curiosité ethnique pour les êtres, leur mode de vie et leurs coutumes. C’était rester à l’intérieur de l’empire visuel …

Et d’ailleurs, le vacancier photographe voit-il vraiment quelque chose? Il retrouve, grandeur nature, l’image qui l’a fait partir … et, en même temps, il se projette dans le moment du retour, et prend des clichés pour pouvoir ensuite témoigner de son voyage. Coincée entre revoir et prévoir, une visite touristique n’a jamais lieu au présent. …

Pourquoi tant d’expéditions à vélo, tant de randonnées pédestres, à cheval ou en dromadaire? Parce que, dans le voyageur, la part du spectateur, autrefois royale, ne cesse de diminuer. Il n’y a pas d’aventure visuelle. C’est notre seule sagesse. Celle des enfants que même le paysage le plus majestueux n’a pas le pouvoir de tenir en repos.”

aus: Bruckner, Pascal / Finkielkraut, Alain: Au coin de la rue, l’aventure. Paris: Seuil 1979, S.50-54.

Abb.: Ali Martaza: Dollar Darvishes Dancing in Desperation, im Internet.

10/04

08/10/2007 (22:03) Schlagworte: FR,Lesebuch ::

Selbstüberforderung

“Gespräch mit dem Staatsanwalt, meinem Freund, über Stiller: – ‘Die weitaus meisten Menschenleben werden durch Selbstüberforderung vernichtet’, sagt er und erklärt es sich etwa folgendermaßen: ‘Unser Bewußtsein hat sich im Laufe einiger Jahrhunderte sehr verändert, unser Gefühlsleben sehr viel weniger. … Die meisten von uns haben so ein Paket mit fleischfarbenem Stoff, nämlich Gefühle, die sie von ihrem intellektuellen Niveau aus nicht wahrhaben wollen.

Es gibt zwei Auswege, die zu nichts führen; wir töten unsere primitiven und also unwürdigen Gefühle ab, soweit möglich, auf die Gefahr hin, daß dadurch das Gefühlsleben überhaupt abgetötet wird, oder wir geben unseren unwürdigen Gefühlen einfach einen anderen Namen. Wir lügen sie um, wir etikettieren sie nach dem Wunsch unseres Bewußtseins. Je wendiger unser Bewußtsein, je belesener, um so zahlreicher und um so nobler unsere Hintertürchen, um so geistvoller die Selbstbelügung!

Man kann sich ein Leben lang damit unterhalten, und zwar vortrefflich, nur kommt man damit nicht zum Leben, sondern unweigerlich in die Selbstentfremdung. Beispielsweise können wir uns den Mangel an Mut, einmal in die Knie zu gehen, unschwer als gute Haltung auslegen, die Angst vor Selbstverwirklichung unschwer als Selbstlosigkeit und so fort. Die meisten von uns wissen nur allzu gut, was sie in dieser oder jener Situation empfinden dürften, oder haben selbst bei gutem Willen bereits die allergrößte Mühe, herauszufinden, welcher Art ihre tatsächlich vorhandenen Gefühle sind. Das ist ein übler Zustand. Sarkasmus allem Gefühl gegenüber ist das klassische Symptom dafür …

Zur Selbstüberforderung gehört unweigerlich eine falsche Art von schlechtem Gewissen. Einer nimmt es sich übel, kein Genie zu sein, ein anderer nimmt es sich übel, trotz guter Erziehung kein Heiliger zu sein, und Stiller nahm es sich übel, kein Spanienkämpfer zu sein. …

Es ist merkwürdig, was sich uns, sobald wir in der Selbstüberforderung uns damit in der Selbstentfremdung sind, nicht alles als Gewissen anbietet. Die innere Stimme eines Pseudo-Ich, das nicht duldet, daß ich es endlich aufgebe, daß ich mich selbst erkenne, und es mit allen Listen der Eitelkeit, nötigenfalls meine tödliche Selbstüberforderung zu fesseln. Wir sehen wohl unsere Niederlagen, aber begreifen sie nicht als Signale, als Konsequenzen eines verkehrten Strebens, eines Strebens weg von unserem Selbst. Merkwürdigerweise ist ja die Richtung unsere Eitelkeit nicht, wie es zu sein scheint, eine Richtung auf unser Selbst hin, sondern weg von unserem Selbst.’ …

‘Ich sehe Stiller nicht als Sonderfall’, sagt mein Staatsanwalt, ‘… Viele erkennen sich selbst, nur wenige kommen dazu, sich auch selbst anzunehmen. Wieviel Selbsterkenntnis erschöpft sich darin, den anderen mit einer noch etwas präziseren und genaueren Beschreibung unserer Schwächen zuvorzukommen, also in Koketterie! Aber auch die echte Selbsterkenntnis, die eher stumm bleibt und sich wesentlich nur im Verhalten unerläßlicher und mühsamer, aber keinesfalls nur im Verhalten ausdrückt, genügt noch nicht, sie ist ein erster, zwar unerläßlicher und mühsamer, aber keinesfalls hinreichender Schritt. Selbsterkenntnis als lebenslängliche Melancholie, als geistreicher Umgang mit unseren früheren Resignationen ist sehr häufig, und Menschen dieser Art sind für uns zuweilen die nettesten Tischgenossen; aber was ist es für sie? Sie sind aus einer falschen Rolle ausgetreten, und das ist schon etwas, gewiß, aber es führt sie noch nicht ins Leben zurück …

Daß die Selbstannahme mit dem Alter von selber komme ist nicht wahr. Dem Älteren erscheinen die früheren Ziele zwar fragwürdiger, das Lächeln über unseren jugendlichen Ehrgeiz wird leichter, billiger, schmerzloser; doch ist damit noch keinerlei Selbstannahme geleistet. In gewisser Hinsicht wird es mit dem Alter sogar schwieriger. Immer mehr Leute, zu denen wir mit Bewunderung emporschauen, sind jünger als wir, unsere Frist wird kürzer und kürzer, eine Resignation immer leichter in Anbetracht einer doch ehrenvollen Karriere, noch leichter für jene, die überhaupt keine Karriere machten und sich mit der Arglist ihrer Umwelt trösten, sich abfinden können als verkannte Genies … Es braucht die höchste Lebenskraft, um sich selbst anzunehmen …

In der Forderung, man solle seinen Nächsten lieben wie sich selbst, ist es als Selbstverständlichkeit enthalten, daß einer sich selbst liebe, sich selbst annimmt, so wie er erschaffen worden ist. Allein auch mit der Selbstannahme ist es noch nicht getan! Solange ich die Umwelt überzeugen will, daß ich niemand anders als ich selbst bin, habe ich notwendigerweise Angst vor Mißdeutung, bleibe ihr Gefangener kraft dieser Angst … Ohne die Gewißheit von einer absoluten Instanz außerhalb menschlicher Deutung, ohne die Gewißheit, daß es eine absolute Realität gibt, kann ich mir freilich nicht denken’, sagt mein Staatsanwalt, ‘daß wir je dahin gelangen können, frei zu sein.”

aus: Max Frisch: Stiller, Taschenbuchausgabe, Frankfurt 1972: 321-323.

Abb.: Maria Indriasari: Terpuruk (Down), 2012, indoartnow, im Internet.

12/91

08/10/2007 (22:02) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

SED

“Die ostdeutschen Linken halten an der Illusion fest, ihre ehemaligen Nazis seien alle gen Westdeutschland abgewandert. Dabei reinigte die SED nach dem 17. Juni 1953 ihre Leitungsgremien von Fraktionisten und Sozialdemokraten, frischte sie mit NSdAP-Leuten auf. Im Februar 1954 hatten 13 Prozent der SED-Leitungskader eine braune Vergangenheit, 32,9 Prozent der SED-Mitglieder entstammten der nazistischen Partei oder einer ihrer Gliederungen. Diese Leute waren machtwillig, gehorsam und erpreßbar. Besonders Junge zog es zur SED: 38,9 Prozent der Kandidaten dienten zuvor in HJ oder BDM. Diese Kaderreserve hat sich um die Stabilisierung des DDR-Machtapparates sehr verdient gemacht.”

aus: Irene Böhme: Aus der Traum. Fünf Jahre deutsche Einheit. In: Kursbuch 121, September 1995, S.170.

05/05

08/10/2007 (22:02) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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