MALTE WOYDT

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Schwarzweiss

“In jeder politischen Debatte zwischen Opposition und Regierung wird so getan, als wäre der politische Gegner moralisch schlechter durch das, was er als Vergangenheit zu bewältigen hat. Immer stellt sich jemand mit dem Duktus der Gewissheit hin: Ich bin mir völlig gewiss, dass wir die richtige Position haben. Das ist die reinste Verlängerung des K-Gruppen-Dogmas in der Politik. Angela Merkel stellt sich hin und bekennt: Wenn die Wahrheit eine Variable ist, dann sollten wir sie einsetzen. Diese Verabschiedung von der Wahrhaftigkeit der politischen Rede ist heute sehr viel größer als damals.”

aus: Klaus Hülbrock im taz-Interview “Ich bleibe ein Indianer” mit Annette Rogalla, siehe im Internet

08/10/2007 (22:01) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Schuld 1

“Lange trug ich die Schuld, daß ich nicht zu denen gehörte, die die Nummer der Entwertung ins Fleisch eingebrannt bekommen hatten, daß ich entwichen und zum Zuschauer verurteilt worden war. Ich war aufgewachsen, um vernichtet zu werden, doch ich war der Vernichtung entgangen. Ich war geflohen und hatte mich verkrochen. Ich hätte umkommen müssen, ich hätte mich opfern müssen, und wenn ich nicht gefangen und ermordet, oder auf einem Schlachtfeld erschossen worden war, so mußte ich zumindest meine Schuld tragen, das war das letzte, was von mir verlangt wurde.”

aus: Peter Weiss: Fluchtpunkt. In: Werke in sechs Bänden, Bd.2, S.247.

08/10/2007 (21:57) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Scham, Schuld und Schande

“Das Gefühl der ‘Schuld’ entsteht, wenn Menschen sich den Vorstoß gegen von ihnen selbst gesetzte oder akzeptierte moralische Normen zurechnen oder zurechnen müssen. Damit … [erhält] das Gefühl der Schuld … seinen Sinn nur durch die Unterstellung [eigenverantwortlichen Handelns]. …

Ob Menschen Schuld empfinden oder nicht, hängt demnach von ihnen selbst und ihrem moralischen Wissen ab und tritt unabhängig davon ein, ob die Zuwiderhandlung gegen eine akzeptierte Norm überhaupt bekannt und öffentlich geworden ist.

Anders die Schande. Sie ist die subjektiv empfundene, öffentlich wahrgenommene, eine Verurteilung beinhaltende Reaktion auf das zurechenbare Verletzen einer akzeptierten Norm. Dabei kann sich die Schande, die jemand verursacht oder anders über eine Gruppe von Menschen gebracht hat, so daß diese Schande empfinden, sowohl auf Schuld als auch auf Scham beziehen.

Scham als das Empfinden eines grundsätzlichen Zerbrechens für wichtig gehaltener Normen ist keineswegs an die Erfahrung selbst zu verantwortender Schuld gebunden. Der Scham ist vielmehr eigentümlich, daß sie einerseits auch dann empfunden werden kann, wenn gar keine intersubjektiv akzeptierten, wesentlichen moralischen Normen verletzt worden sind, sie andererseits aber auch dann auftritt, wenn derartige Normen zwar verletzt worden sind, aber nicht von uns selbst. … Scham vermögen und müssen wir … [auch] dann empfinden, wenn … andere, dritte und vierte Personen, denen wir uns in irgendeiner Weise zugehörig fühlen, als basal angesehene Normen verletzt haben.”

aus: Micha Brumlik: Bildung zum Glück. Versuch einer Theorie der Tugenden. Berlin/Wien: Philpo 2002, S.75/76.

Abb.: Alfred Leslie: I have the other idea about guilt, 1967, im Internet.

02/06

08/10/2007 (21:56) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Schaffen

“Das objektive Gedankengut, das sich in einem Buch befindet, ist das, was ein Buch wertvoll macht. Es ist nicht, wie oft geglaubt wird, der Ausdruck der subjektiven Gedanken, der Vorgänge im Kopf des Autors. Viel besser könnte man es als das objektive Ergebnis der subjektiven Gedankenarbeit bezeichnen, einer Gedankenarbeit, die oft darin besteht, daß das Niedergeschriebene immer wieder verworfen und verbessert wird. In diesem Fall kann man eine Art von Rückkoppelung feststellen zwischen den subjektiven Denkvorgängen, der Denkarbeit auf der einen Seite und den objektiven, den niedergeschriebenen Gedanken auf der anderen Seite. Der Autor schafft das Werk, aber er lernt von seinem Werk, vom objektiven Resultat seiner Arbeit und insbesondere von seinen fehlgeschlagenen Versuchen.

Natürlich gibt es Autoren, die ganz anders arbeiten, aber man kann bei vielen Autoren sehen, daß die Kopfarbeit am besten kritisiert und verbessert werden kann, wenn man versucht, seine Gedanken zum Zwecke der Veröffentlichung niederzuschreiben.

Aber von der oberflächlichen und irreführenden Theorie, daß ein gesprochener oder geschriebener Satz der Ausdruck eines subjektiven Gedanken ist, ist ein unheilvoller Einfluß ausgegangen. Ausdruck heißt auf lateinisch ‘expressio’, und diese unheilvolle Theorie hat zum Expressionismus geführt. Das ist die noch heute fast allgemein als selbstverständlich angenommene Theorie, daß ein Kunstwerk der Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers ist. Fast jeder Künstler glaubt daran, und das hat die Kunst vernichtet.

In Wahrheit ist der große Künstler ein Lerner, der seinen Geist offenhält, um nicht nur von anderen Werken zu lernen, sondern auch von seinem eigenen Werk, und insbesondere von den Fehlern, die er, wie jedermann, gemacht hat, und auch von dem Werk, an dem er gerade arbeitet. Das gilt vor allem auch für den Autor eines Buches, oder eines Musikwerkes. So wächst er über sich selbst hinaus. Es ist zu wenig bekannt, daß Haydn, als er in der Aula der alten Wiener Universität die Erstaufführung seiner Schöpfung hörte, in Tränen ausbrach und sagte: ‘Das habe ich nicht geschrieben.'”

aus: Raymund R. Popper: Bücher und Gedanken: Das erste Buch Europas. In: ders.: Auf der Suche nach einer besseren Welt. 5.Aufl., München: Piper 1990, S.122.

08/10/2007 (21:56) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Revolution 1

“Sie frißt ihre Kinder
sie trinkt das Blut ihrer Toten
sie predigt den Tauben
sie kennt keine höheren Werte

Sie vergißt ihren Weg
sie wankt von Verrat zu Verrat
von Fehler zu Fehler
sie schläft in den Niederlagen

Daß sie unnötig ist
lernt jedes Kind in der Schule
daß das Volk sie nicht will
hat das Volk sich endlich gemerkt

Daß sie nicht siegen kann
ist zehnmal genau bewiesen
Die es bewiesen haben
schlafen nicht gut

Die an sie glauben
sind manchmal müde von Zweifeln
Einige die sie hassen
wissen sie kommt”

aus: Erich Fried: Sie. In: ders.: Die Beine der größeren Lügen / Unter Nebenfeinden / Gegengift. Drei gedichtsammlungen. Berlin: Wagenbach 1976 (1970), S.60.

Abb.: George Cruikshank: The Radicals Arms, wikimedia.

08/10/2007 (21:55) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Repräsentative Demokratie

(NL)

“Es ist nicht mehr korrekt, bei uns von ‘repräsentativer’ Demokratie zu sprechen. In unserem politischen System liegt viel Macht bei den Medien. Das von den Medien geschaffene Bild von Menschen, Gruppen und Organisationen legitimiert Politik. …

Heute kann das Volk, mit seinen Gefühlen, Interessen, Meinungen und Willen durch die Medien repräsentiert werden. So verliert das Parlament seine Legitimität als Volksvertretung. …

Bezeichnend für das veränderte Verhältnis zwischen Journalisten und Politikern ist, daß letztere ihre Informationen heute genausoviel oder sogar mehr bei ersteren holen als umgekehrt. In Konfrontation mit dem repräsentierten Volk erscheint der Volksvertreter als Usurpator.”

aus: Marc Elchardus: De dramademocratie. Tielt: Lannoo 2002, S.70-71, meine Übersetzung.

08/03

08/10/2007 (21:55) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Vertegenwoordigende Democratie

(DE)

“Het is in feite niet langer juist om ons regime te omschrijven als een ‘vertegenwoordigende democratie‘. Het is een politiek systeem waarin grote macht uitgaat van een door de media gedragen voorstelling en waar legitimiteit wordt ontleend aan de wijze waarop personen, groepen en organisaties in die mediavoorstelling verschijnen. …

Tegenwoordig kan het volk, met zijn emoties, belangen, opvattingen en wil, worden voorgesteld door de media. Op die manier verliest het parlement zijn legitimiteit als vertegenwoordiger. …

Tekend voor de gewijzigde relatie tussen journalisten en politici is dat de laatsten hun informatie nu evenzeer of meer bij de eersten halen in plaats van omgekeerd. Geconfronteerd met het voorgestelde volk, verschijnt de vertegenwoordiger in feite als een usurpator.”

uit: Marc Elchardus: De dramademocratie. Tielt: Lannoo 2002, S.70-71

08/03

08/10/2007 (21:54) Schlagworte: Lesebuch,NL ::

Reichtum

“Jeder reiche Mann betrachtet Reichtum als eine Charaktereigenschaft. jeder arme Mann gleichfalls. Alle Welt ist stillschweigend davon überzeugt. Nur die Logik macht einige Schwierigkeiten, indem sie behauptet, daß Geldbesitz vielleicht gewisse Eigenschaften verleihen, aber niemals selbst eine menschliche Eigenschaft sein könne. Der Augenschein straft das Lügen. Jede menschliche Nase riecht unweigerlich sofort den zarten Hauch von Unabhängigkeit, Gewohnheit zu befehlen, Gewohnheit, überall das Beste für sich zu wählen, leichter Weltverachtung und beständig bewußter Machtverantwortung, der von einem großen und sicheren Einkommen aufsteigt. Man sieht es der Erscheinung eines solchen Menschen an … Das Geld zirkuliert in seiner Oberfläche wie der Saft in einer Blüte. …

viele reiche Leute denken wie Sozialisten. Sie haben nichts dagegen, daß es ein Naturgesetz der Gesellschaft sei, dem sie ihr Kapital verdanken, und sind fest überzeugt, daß es der Mensch ist, der dem Besitz seine Bedeutung leiht, und nicht der Besitz dem Menschen. Sie diskutieren ruhig darüber, daß in der Zukunft der Besitz aufhöre, wenn sie nicht mehr da sind, und werden in ihrer Meinung, daß sie einen sozialen Charakter besäßen, noch dadurch bestärkt, daß nicht selten charaktervolle Sozialisten, in überzeugter Erwartung des ohnehin unausbleiblichen Umsturzes, bis dahin lieber bei reichen Leuten verkehren als bei armen.”

aus: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Ausg. Reinbek: Rowohlt 1978, Bd.I, S.419-421.

Abb.: Michael Hauffen: Fairplay oder das Spiel um den Reichtum, 2014, im Internet.

08/10/2007 (21:54) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

governed

(FR DE)

“To be governed is to be watched over, inspected, spied on, directed, legislated, regimented, closed in, indoctrinated, preached at, controlled, assessed, evaluated, censored, commanded; all by creatures that have neither the right, nor wisdom, nor virtue… To be governed means that every move, operation, or transaction one is noted, registered, entered in a census, taxed, stamped, priced, assessed, patented, licensed, authorized, recommended, admonished, prevented, reformed, set right, corrected. Government means to be subjected to tribute, trained, ransomed, exploited, monopolized, extorted, pressured, mystified, robbed; all in the name of public utility and general good. Then, at the first sign of resistance or word of complaint, one is repressed, fined, despised, vexed, pursued, hustled, beaten up, garroted, imprisoned, shot, machine-gunned, judged, sentenced, deported, sacrificed, sold, betrayed, and to cap it all, ridiculed, mocked, outraged, and dishonored. That is government, and that is its justice and morality.”

Pierre-Joseph Proudhon, quoted in the internet.

Abb.: Wilchar: L’État, o.J., in: Wilchar Superstar, Austellungskatalog Gent 2001, S.42

08/10/2007 (21:53) Schlagworte: EN,Lesebuch ::

regiert sein

(FR EN)

“regiert sein, das heißt unter polizeilicher überwachung stehen, inspiziert, spioniert, dirigiert, mit gesetzen überschüttet, reglementiert, eingepfercht, belehrt, bepredigt, kontrolliert, eingeschätzt, abgeschätzt, zensiert, kommandiert zu werden durch leute, die weder das recht, noch das wissen, noch die kraft dazu haben… regiert sein heißt, bei jeder handlung, bei jedem geschäft, bei jeder bewegung notiert, registriert, erfaßt, taxiert, gestempelt, vermessen, bewertet, versteuert, patentiert, lizensiert, autorisiert, befürwortet, ermahnt, behindert, reformiert, ausgerichtet, bestraft zu werden. es heißt, unter dem vorwand der öffentlichen nützlichkeit und im namen des allgemeininteresses ausgenutzt, verwaltet, geprellt, ausgebeutet, monopolisiert, hintergangen, ausgepreßt, getäuscht, bestohlen zu werden; schließlich, bei dem geringsten widerstand, beim ersten wort der klage unterdrückt, bestraft, heruntergemacht, beleidigt, verfolgt, mißhandelt, zu boden geschlagen, entwaffnet, geknebelt, eingesperrt, füsiliert, beschossen, verurteilt, verdammt, deportiert, geopfert, verkauft, verraten und obendrein verhöhnt, gehänselt, beschimpft und entehrt zu werden. das ist die regierung, das ist ihre gerechtigkeit, das ist ihre moral.”

aus: Proudhon. Zit. nach: Was ist eigentlich Anarchie? Einführung in Theorie und Geschichte des Anarchismus bis 1945. Frankfurt: Freie Gesellschaft 1978, S.16. Denselben (?) Text gibt’s inzwischen – von verschiedenen Autoren beansprucht :-) auch im Internet, ein zweiter.

Abb.: Wilchar: L’État, o.J., in: Wilchar Superstar, Austellungskatalog Gent 2001, S.42

08/10/2007 (21:53) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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