MALTE WOYDT

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être gouverné

(DE EN)

“Être gouverné, c’est être gardé à vue, inspecté, espionné, dirigé, légiféré, réglementé, parqué, endoctriné, prêché, contrôlé, estimé, apprécié, censuré, commandé, par des êtres qui n’ont ni titre, ni la science, ni la vertu … Être gouverné, c’est être, à chaque opération, à chaque transaction, à chaque mouvement, noté, enregistré, recensé, tarifé, timbré, toisé, coté, cotisé, patenté, licencié, autorisé, apostillé, admonesté, empêché, réformé, redressé, corrigé. C’est, sous prétexte d’utilité publique, et au nom de l’intérêt général, être mis à contribution, exercé, rançonné, exploité, monopolisé, concusionné, pressuré, mystifié, volé ; puis, à la moindre révolte, au premier mot de plainte, réprimé, amendé, vilipendé, vexé, traqué, houspillé, assommé, désarmé, garroté, emprisonné, fusillé, mitraillé, jugé, condamné, déporté, sacrifié, vendu, trahi, et pour comble, joué, berné, outragé, déshonoré. Voilà le gouvernement, voilà sa justice, voilà sa morale !”

Pierre-Joseph Proudhon, Extrait de “Idée générale de la révolution du XIXème siècle”, cité par l’internet, autre source.

Abb.: Wilchar: L’État, o.J., in: Wilchar Superstar, Austellungskatalog Gent 2001, S.42

08/10/2007 (21:52) Schlagworte: FR,Lesebuch ::

Reformstau

“Die öffentliche Meinung ist in den Händen von Meinungsführern, die das System verändern wollen. … Um ihre Forderung nach Strukturreformen als schlüssig erscheinen zu lassen, müssen sie das Vorhandene als schlecht und überholt darstellen. Andernfalls sind die geforderten Reformen an Haupt und Gliedern nicht einleuchtend.

Das treibt inzwischen obskure Blüten – von rechts bis links: Der Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung verlangt ‘Langfristreformen in Permanenz’. Da wird die andauernde Änderung der Rahmenbedingungen zur Tugend erklärt. Eine groteske, bürokratiefördernde Vorstellung. Aber mit Applaus versehen. Und der ehemalige BDI-Präsident Rogowski antwortet auf die Flops von Hartz I-IV: ‘Wenn Sie fragen: Wo sind die Jobs, und wie kriegen wir die Jobs, dann würde ich empfehlen: Hartz V bis VIII.’

Das ist schon nicht mehr lustig. Die Reformer sind wie Drogenabhängige. Statt nachzudenken legen sie nach. …

Tatsächlich leiden wir nicht unter Reformstau, sondern unter wirtschaftspolitischer Inkompetenz unserer Eliten. Das beste Beispiel ist die neue Steuersenkungsdebatte. Wir leiden eindeutig unter einer großen Schwäche der Binnennachfrage und wollen die Steuern jener senken, die viel sparen. Und möglicherweise jene Steuer erhöhen, die den Konsum beeinträchtigt – die Mehrwertsteuer. …”

aus: Albrecht Müller: Der Reform-Irrtum. Warum der Standort Deutschland besser ist als sein Image – und die Reformen in die falsche Richtung gehen. Rede, gehalten auf dem Deutschen Automobilindustriegipfel 2005 – Stuttgart 15.3.2005. Hier auf www.0815-info.de

05/06

08/10/2007 (21:52) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Rechtsstaat

“[Das] Prinzip der Volkssouveränität … bildet das Scharnier zwischen dem System des Rechts und dem Aufbau des demokratischen Rechtsstaates. Aus der diskurstheoretischen Deutung des Prinzips der Volkssouveränität … ergeben sich

  • das Prinzip des umfassenden individuellen Rechtsschutzes, der durch eine unabhängige Justiz gewährleistet wird …,
  • die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der gerichtlichen sowie parlamentarischen Verwaltungskontrolle …
  • sowie das Prinzip der Trennung von Staat und Gesellschaft, das verhindern soll, daß soziale Macht ungefiltert, also ohne durch die Schleusen der kommunikativen Machtbildung hindurchzugehen, in administrative Macht umgesetzt wird …

aus: Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung, Frankfurt(Main): Suhrkamp 1992, S.209. Untergliederung von mir

08/06

08/10/2007 (21:51) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Rechtgehabthaben

“… den Ausschlag gab … ein Satz, den Erler mir schrieb. ‘Sie müssen sich eben entscheiden, ob Sie einen Grabstein haben wollen, auf dem steht: ‘Er hat immer recht gehabt’ – oder ob Sie politisch wirken wollen.’ Das saß. Erler hatte den Nerv getroffen. Daß das Rechthaben eine brotlose Kunst sei – auch das Rechtgehabthaben -, wußte ich damals zwar noch nicht so genau wie heute, aber ich ahnte es…”

Erhard Eppler: Komplettes Stückwerk. Erfahrungen aus fünfzig Jahren Politik. Überarbeitete und aktualisierte Taschenbuchausgabe, Frankfurt(Main): Suhrkamp 2001, S.83.

01/03

08/10/2007 (21:50) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Rassismus 1

“… So wird schnell jede Ungleichbehandlung als ‘rassistisch’ bezeichnet. Rassistische Diskriminierung aber ist eine Diskriminierung, die uns deshalb moralisch besonders empört, weil sie Menschen für das bestraft, wofür sie per definitionem keine Verantwortung tragen, für wirkliche oder als real erachtete unveränderliche biologische Eigenschaften.

Der neue antirassistische Diskurs versucht jedoch über diese enge Definition hinauszugehen: Er möchte das Gewicht der Empörung, das die biologistische Diskriminierung vor dem Hintergrund der Massenvernichtung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland auslöst, beibehalten, den historischen Anlaß jedoch aufheben, da faktische Diskriminierung in heutigen westlichen Gesellschaften tatsächlich immer seltener diesem biologistischen Deutungsmuster folgt …”

aus: Brumlik, Micha: Aus Katastrophen lernen? Grundlagen zeitgeschichtlicher Bildung in menschenrechtlicher Absicht. Berlin/Wien: Philo 2004, S.33/34.

Abb.: Banksy.

12/04

08/10/2007 (21:50) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Psychospiele

“Wer heute im Milieu der Freizeit- und Mountainbike-Mittelschicht … reüssieren will, muß jene pathogene Diktatur akzeptiert haben, die Richard Sennett vor 15 Jahren als Die Tyrrannei der Intimität (deutsch 1983) auf den Begriff gebracht hat: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man quatschen.

In Heft 51 des Freibeuter (Thema “Beseelte Gesellschaft”) gehen mehrere Autoren den Ursachen und Hintergründen dieser relativ neuen Art von Müllproduktion nach. Was, fragt zum Beispiel Barbara Sichtermann, macht das gar nicht selbstverständliche Interesse am Innenleben … erklärlich? …

‘… Es wünscht ja auch kein Mensch, seinen Körper oder den seiner Nächsten von innen zu sehen; wieviel sympathischer sind wir einander im feinen Samtmantel unserer Haut, denn als luftig-preisgegebenes Gekröse. Allemal vom Psycho-Diskurs aufgestörte Gruppen und Paare müßten wissen, wieviel sie verlieren, wenn sie erst angefangen haben, im Abraum der Seele zu graben. Zu den ersten Verlusten gehören Handlungsfähigkeit und Gleichgewicht. Aber offenbar gibt es eine Lust am Schrecken, die stärker ist als Vernunft.” …

Der ‘harte Kern’ des Psychotrips sei die Lockung der Macht. … Was aber bleibt von dieser Macht übrig, … wenn … alle den Strategien des Entblößungs-Diskurses folgen? …

‘Die psychologische Neugier verwandelt ein heiteres Liebespaar, eine optimistische Projektgruppe, ein harmloses Pädagogenteam in ein haßerfülltes, ränkeschmiedendes, heulendes und zähneklapperndes Pandämonium. …

Die Alternative wäre der völlige Rückzug, der Bruch mit den Psycho-Reisenden. Der empfiehlt sich und wird von vernünftigen Menschen seit je vorgezogen.”

aus: Hans-Martin Lohmann: Zeitschritfenforum. Die Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte 1992, S.655-656.

Abb.: Sanchia Tryphosa Hamidjaja: Seeking Self Imagery, 2012, indoartnow, im Internet.

08/92

08/10/2007 (21:49) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Provinz

“Der Wiener … hat den bösartigsten Witz über das Schicksal des Provinzlers erfunden: ein aus der Metropole nach Linz verschlagener Beamter schildert … einem Freund die eigene Entwicklung wie folgt: ‘Im ersten Jahr – da maanst du stirbst. Im zweiten Jahr – na da wirst allmählich a bisserl deppert. Und im dritten – im dritten, da bist eben a Linzer.’

Der Provinzler ist eine Zwischenform … Ihm fehlt die aus der Begrenzung erwachsende Selbstsicherheit des Dörflers ebenso wie die aus der Unverschämtheit erwachsende des Großstädters. …

das erste wichtige Phänomen [der Provinz-Existenz ist] die Verspätung der kulturellen Signale. Sie gehen von der Großstadt aus; und kein Journal, kein Wort- und Bilderstrom über Presse und Ätherwellen vermag dieses Schicksal zu ändern.

Während der Dörfler … auf die Marotten der Großstadt pfeift und oft genug die Gaudi erlebt, daß der Großstädter wie Antäus zur Scholle zurückflüchtet, fühlt die Provinz den gar nicht so dunklen, aber immer starken Drang, up-to-date zu sein; und immer wieder sieht sie dieses Ziel entschwinden. …

Wohlbemerkt: das hat nichts mit Bildung zu tun – jedenfalls nicht im akademischen Sinn. … der Provinzler legt mehr Wert auf Bildung als der Großstädter. …

Dem Provinzler fehlt das Element. … Der Großstädter gewinnt ja seine vielberufene Freiheit aus der Tatsache, daß er wieder zum Jäger geworden ist; Mensch, Mitmensch ist für ihn das Mitglied seines Clans, oder mehrere, durch die Pluralität seiner Interessen gebildeter Clans. Mit ihnen, seinen Clangefährten, jagt er im Dschungel aus Steinen, Asphalt, Autos und Individuen, die er nicht kennt und die ihn nichts angehen. Der Dörfler andererseits ist nach wie vor auf den universalen nachbarlichen Zusammenhalt angewiesen, der zwar Feindschaften, Todfeindschaften, aber keine rigorose Kastenbildung erlaubt.

Der Provinzler ist nicht so frei wie der Großstädter, seine kongenialen Jagdgefährten zu wählen – aber auch mit der universalen Nachbarschaft ist es bei ihm vorbei. Er ist gezwungen … die Gruppe herauszufinden, in der er funktionieren kann. Meist wird hier freilich gar keine Wahl vollzogen, sondern die Gruppe wählt ihn, determiniert ihn, legt ihn fest. … [Hier ist] eine der tiefsten Wurzeln provinzieller Malaise zu finden … und aus ihr wachsen allzurasch und allzuleicht zwei unausrottbare provinzielle Überzeugungen: erstens die Überzeugung, daß der größte Teil der sozialen Umgebung schicksalhaft ist … und zweitens das speziell provinzlerische Subjekt-Objekt-Gefühl gegenüber dem Nächsten. …

Die Mehrheit der sozialen Kontakte in der Provinz … ist aufgezwungen, vom gesellschaftlichen Pflichtbewußtsein diktiert. Relativ wenig gefühlt wird das in der breiten Basis der sozialen Pyramide, unter Arbeitern und kleinen Gewerbetreibenden – aber das Problem verschärft sich, je weiter oben auf der Pyramide der Provinzler zuhause ist. …

Der Provinzler lebt genau so moralisch bzw. unmoralisch wie der Großstädter … Die moralische Schnellstraße, die das Auto dem Menschen eröffnet hat, kennt der Provinzler mindestens genausogut wie der Großstädter. Nein, die Konventionen der Provinz sind sozialer Art: sie haben dafür zu sorgen, daß die Kontinuität der unentrinnbaren Gruppe gewahrt bleibt. Der Großstädter, der Jäger im kleinen Clan, tut sich leicht: er kann jede beliebige soziale Katastrophe zurücklassen und morgen einen neuen Haufen finden – oder eine neue Einsamkeit, je nachdem. …

Das erklärt die Notwendigkeit der kulturellen Signal-Verspätung. Kulturelle Signale können erst dann aufgenommen werden, wenn sie konventionsfähig werden. … Wer [in der Provinz] wirklich unkonventionell sein will (und es auch fertigbringt), der wird notwendig zum Einsiedler … [Man] findet … überall in der Provinz diese Eremiten. Sie sind kulturell unfruchtbar. …[Meist] sind sie Käuze, Erfinder von längst Erfundenem, Denker von längst Gedachtem, Querköpfe, Querflieger und Querschießer. …

Nun hat natürlich dieser Zustand der Konvention seine positive Seite: … Der Provinzler ist, aufs Ganze gesehen, politisch und sozial leistungsfähiger als der Großstädter. … Auch wo die Interessen regieren (und wo regieren die nicht?), sind sie nirgends anonym, sondern leicht mit Personen zu identifizieren. … Auf diesem Feld trainiert die Provinz eine große Schar von Politikern und entsendet sie auf weitere Felder der Aktion.”

aus: Carl Amery: Der Provinzler und sein Schicksal. In: ders. (Hg.): Die Provinz. Kritik einer Lebensform. München: Nymphenburger 1964, S.5-12.

08/10/2007 (21:49) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Professorendeutsch

“‘Aber mit dem Verstehen’, klagte Dirk, ‘da hapert es doch immer sehr. Entweder ich höre so einen Bauern – da verstehe ich kein Wort. Oder ich lese, was ein sehr gebildeter Mann geschrieben hat – da verstehe ich jedes Wort, aber keinen Satz. Warum seid ihr Deutschen bloß so schwer zu verstehen?’ …

Machen wir die Probe, nehmen wir ein paar Beispiele, ein paar … ganz alltägliche Beispiele, aus Briefen, Zeitungen, Reden, Büchern abgeschrieben.

Ein deutscher Professor: ‘Die lebenschaffende Sprache ist kein Monolog. Sie ist auch nicht das Unisono gleichgeschalteter Massen. Sie ist eine Sprache der Verständigung im höchsten und eigentlichen Sinne des Wortes, Zwiesprache, die nur dadurch möglich ist, daß jeder seinen eigenen Sprachton finden soll, wie er auch nur in seiner eigenen Sprachebene angesprochen werden kann.’ …

[ein] Doktor phil et med.: ‘Der Gefahr der Vermassung durch den Verstädterungsprozeß mit allen seinen Gefahren vegetativer und emotionaler Fehlsteuerung und Fehlprägung kann außer durch sinnvolle Steuerung der apersonalen psychosomatischen Einflüsse selbst nur durch Persönlichkeitsbildung und Ermöglichung der ‘Bildung’ von Gemeinschaften jeder nur möglichen Art begegnet werden, da von seiten der ärztlichen Anthropologie als auf das bedrohlichste Zeichen einer Entartung des Verstädterungsprozesses hingewiesen werden muß auf die tödlich gefährliche menschliche Vereinsamung des einzelnen gerade und besonders in unserem Zeitalter organisierter Massen.’ …

… dieser Stil übt eine ungeheuerliche Anziehungskraft auf uns aus, und, was offenbar gar nicht allgemein bekannt ist: man kann, wen man erst einmal ein bißchen geübt hat, stundenlang so schreiben, ohne jede andere als die rein physische Anstrengung.

Das Schlimmste ist nicht, daß wir Deutschen tatsächlich so reden oder schreiben – es sind vielleicht gar nicht so viele von uns, die das tun. Schlimmer ist, daß diese Art von Schreiben bei uns, und daran ist gar nicht zu rütteln, hochangesehen ist. … Diese Art, aus Vorsicht Sprache zu kastrieren, den Sinn hinter Qualm verschwinden zu lassen, gibt es nicht nur in Deutschland. … In Deutschland gab es [aber] immer besonders viele Ämter und Kanzleien. Vor allem aber kam dem Amtsdeutsch von einer ganz anderen Seite her das Professorendeutsch weit entgegen. Auch seine Mutter ist die Vorsicht – in einem Lande wie Deutschland war Vorsicht allzu häufig geboten.

Da will beispielsweise jemand sagen: ‘Wer in der Großstadt lebt, muß damit rechnen, daß er seinen persönlichen Charakter verliert, daß er krank oder verrückt wird.’ Schriebe er das, dann hätte er … zwanzig Millionen Großstädter auf dem Hals, die sich alle einbilden, danke, noch ganz normal zu sein. … [Aber] nicht den Groll derer, die sich getroffen fühlen fürchtet er, [unser doppelter Doktor], sondern den Schaden, den sein Ruf erleiden könnte, wenn sich seine bedeutenden Aussagen als ‘einer wissenschaftlichen Nachprüfung nicht standhaltend’ erweisen sollten.

Die Kunst, geisteswissenschaftlich unwiderlegbar zu werden, besteht darin, so lange zu abstrahieren, bis der endlich gefundene Begriff alle konkreten Angriffsflächen verloren hat – damit freilich auch alle Farbe, alle Kraft, jeden praktischen Sinn. …

Im Amtsdeutsch will’s der Schreiber nicht gewesen sein, im akademischen Deutsch will er sich keine Blöße geben. …

Diese Sprache kennt keine Tätigkeitswörter und bevorzugt, wo sie der Verben nicht ganz entraten kann, blasse, bedeutungsleere Hilfszeitwörter. … Diese Sprache legt das wenige, was sie auszusagen hat, in die Substantive, wobei die abstrakte Form des Substantivs bevorzugt wird; sehr beliebt sind gelehrte Fremdwörter oder deutsche Abstrakta, die auf -ung enden, … Ung-geheuer …

[Schwer zu verstehen] ist heute Friedrich von Logaus feinziselierte Sinngedicht-Behauptung:

‘Kann die deutsche Sprache schnauben, schnarren, poltern, donnern, krachen,
kann sie doch auch spielen, scherzen, lieben, kosen, tändeln, lachen.’

Kann sie das noch? …”

Rudolf Walter Leonhardt: X-mal Deutschland. Hamburg u.a.: Deutscher Bücherbund, Revidierte und erweiterte Neuausgabe 1971, S.296-302

08/10/2007 (21:47) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Problemlösung

“… für mich war natürlich in erster Linie die Frage interessant, wie es bei Tieren mit den Lernprozessen aussieht, und da zeigte sich, daß Tiere, die von Amerikanern beobachtet wurden, rastlos herumhetzen und dabei irgendwann einmal rein zufällig ihr Problem bewältigen, während die von Deutschen beobachteten Tiere still sitzen, sich hinter den Ohren kratzen und abwarten, bis die Lösung in den Tiefen ihres Innenlebens herangereift ist und zutage kommt.”

aus: Bertrand Russell, zit. in ZONG 29.

Abb.: Anna Josefin: Don’t Worry, 2014, indoartnow, im Internet.

08/10/2007 (21:46) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Privatheit

“Das man ‘von nichts gewußt’ habe, ließen wir nur als Schutzbehauptung gelten, ebenso die Behauptung, es habe auch damals ein ‘Privatleben‘ gegeben. An diesen Vorhalt erinnere ich mich noch gut, er wurde von den Älteren mit besonderer Emphase vorgetragen. Was war damit gemeint? … Wir … glaubten, nicht immer zu Unrecht, darin eine Rechtfertigungsformel zu erkennen. … Diese gleichsam schuldbeladene Vorstellung von ‘Privatheit’ , der unsere Eltern frönten, die Abschottung gegen den Nächsten, den Nachbarn, wie wir sie insbesondere in der Weihnachtszeit in den 50er Jahren selbst erleben durften, war nicht unsere. … War nicht … der Rückzug ins Private ein aggressiver Akt, da er soviel Schreckliches ungerührt hatte geschehen lassen? Der Gedanke, daß das Privatisieren der ‘Ohne-Michels’ der Nachkriegszeit auch aufgefaßt werden könnte, als die Abkehr von der totalitären Politisierung der Bürger unter dem Nationalsozialismus, kam uns gar nicht erst. Die engagierte Jugend der 60er Jahre zog die Vorstellung des allseits politisierten Individuums vor, das sich, wenn “Faschismus” drohte, nicht ins Private zurückzog, sondern auf die Straße ging. … Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bestimmte die Vorstellung vom engagierten Bürger, dem keine Freizeit vom Engagement mehr zugebilligt wurde. Daß der private Raum, auch, ja unbedingt ein politischer sei – ‘das Private ist politisch’ – wurde zur die Szenen der 70er Jahre bestimmenden Sentenz, deren terroristischer Gehalt überdeckt wurde von der noch viel größeren Angst: so wie die Eltern den Widerstand gegen die Katastrophe zu verpassen.”

Cora Stephan: Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte. Reinbek 1993: 103-105

Cora Stephan hat eine eigene Homepage mit vielen Artikeln: www.cora-stephan.de

08/10/2007 (20:59) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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