MALTE WOYDT

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Bildung

“Bildung besteht nicht in dem Besitz bestimmter Kenntnisse, Kenntnisse sind bloßes Material für die Bildung des Geistes, wie Nährstoffe für den Leib, sondern in der Aneignung und Verwertung von Kenntnissen zur Ausgestaltung des inneren Menschen und zur wirksamen Bestätigung in der geistigen und natürlichen Lebensumgebung. Nicht, was man weiß, sondern was man mit seinem Wissen anzufangen weiß, ist entscheidend für die Bildung einer Persönlichkeit.

Diese Fähigkeit, das Wissen als werbendes Kapital zu verwenden, es als Kraft zur Lösung von Aufgaben, theoretischen und praktischen zu gebrauchen, wird nur durch freie, Betätigung der intellektuellen Kräfte am Stoff gewonnen. An welchem Stoff diese Betätigung stattfindet, ob an Sprachen und Literatur oder an der Natur und der Mathematik, darauf kommt es nicht so sehr an: jede lebendige, aus dem Interesse an der Sache kommende und daher den ganzen Menschen erfassende Betätigung geistiger Kräfte wirkt bildend auf sein ganzes Wesen.

Und umgekehrt: ohne die spontane, aus eigener Teilnahme an der Sache fließende Arbeit ist jeder Besitz von Kenntnissen tote Last; das Edelste wird gemein, wenn es als bloßes Examenswissen eingedrillt und mitgeschleppt wird. Nur ein grober didaktischer Materialismus kann dies verkennen, kann den Wert der persönlichen Bildung des einzelnen nach dem Wert oder nach seiner Schätzung des Wertes der Bildungsstoffe bestimmen.”

Friedrich Paulsen: Das Prinzip der Gleichwertigkeit der drei Formen der höheren Schule. In: ders.: Ausgewählte pädagogische Abhandlungen. Paderborn 1960: S.82

07/10/2007 (22:34) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Besonnenheit

“Die Besonnenheit (temperantia) … ist die Zügelung des an sich Ungezügelten. Sie ist das innere Engagement, das doch vor dem Handeln zurückschreckt und im Beobachten eine Erfüllung sucht, die dieses im Grunde nicht geben kann. …
Das engagierte Beobachten beruht … auf einer inneren Beteiligung, die der der Handelnden an Intensität nicht nachsteht. … Das engagierte Beobachten ist in besonderem Masse der Wahrheit verpflichtet. Hier liegt der Unterschied zu einer bloss engagierten Literatur, die überzeugen, ja missionieren will. Hier liegt auch der Unterschied zum entschiedenen Handeln, das noch im günstigsten Fall bereit ist, Einwände und Bedenken im Namen des angestrebten Ziels beiseitezuwischen. Die Wahrheit entzieht sich für immer unserem Zugriff, aber die Suche nach ihr und der Glaube an ihre Einzigartigkeit sind … für den engagierten Beobachter bestimmend. Weder Moden noch Interessen dürfen von der Wahrheit ablenken. …
Trotz aller Erläuterungen bleibt das engagierte Beobachten ein Paradox, ein Widerspruch in sich selbst. Infolgedessen finden die, die es pflegen, sich regelmässig zwischen den Stühlen. Von den Wissenschaftlern, mit denen sie häufig Institutionen, meistens Universitäten, teilen, werden sie für Politiker gehalten, von den Politikern dagegen für ziemlich ‘akademisch’.”

aus: Ralf Dahrendorf: Versuchungen der Unfreiheit. Die Intellektuellen in Zeiten der Prüfung. München: Beck 2006, S.67-70.

Abb.: Obey Giant: Golden Compass.

11/06

07/10/2007 (22:32) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Aufklärung, Dialektik der

“Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt. Sie wollte die Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen stürzen. … Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, und sie und die Menschen vollends zu beherrschen. Nichts anderes gilt. Rücksichtslos gegen sich selbst hat die Aufklärung noch den letzten Rest ihres eigenen Selbstbewußtseins ausgebrannt. … Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben. … Nur solches Denken ist hart genug, die Mythen zu zerbrechen, das sich selbst Gewalt antut. …

Auf welche Mythen der Widerstand sich immer berufen mag, schon dadurch, daß sie in solchem Gegensatz zu Argumenten werden, bekennen sie sich zum Prinzip der zersetzenden Rationalität, das sie der Aufklärung vorwerfen. Aufklärung ist totalitär. … Ideal ist das System, aus dem alles und jedes folgt. … Aber die Mythen, die der Aufklärung zum Opfer fallen, waren selbst schon deren eigenes Produkt. … Der Mythos wollte berichten, nennen, den Ursprung sagen: damit aber darstellen, festhalten, erklären. … Der Mythos geht in die Aufklärung über und die Natur in bloße Objektivität.

Die Mythologie selbst hat den endlosen Prozeß der Aufklärung ins Spiel gesetzt, in dem mit unausweichlicher Notwendigkeit immer wieder jede bestimmte theoretische Ansicht der vernichtenden Kritik verfällt, nur ein Glaube zu sein, bis selbst noch die Begriffe des Geistes, der Wahrheit, ja der Aufklärung zum animistischen Zauber geworden sind. …

Das Prinzip der schicksalhaftigen Notwendigkeit, an der die Helden des Mythos zugrunde gehen … herrscht … zur Stringenz formaler Logik geläutert, in jedem rationalistischen System … Wie die Mythen schon Aufklärung vollziehen, so verstrickt Aufklärung mit jedem ihrer Schritte tiefer sich in Mythologie. …

Der Furcht wähnt er [der Mensch] ledig zu sein, wenn es nichts Unbekanntes mehr gibt, Das bestimmt die Bahn der Entmythologisierung. … Aufklärung ist die radikal gewordene, mythische Angst. … Wissenschaft, in ihrer neopositivistischen Interpretation, wird zum Ästhetizismus, zum System abgelöster Zeichen, bar jeglicher Intention, die das alte System transzendierte: zu jenem Spiel, als welches die Mathematiker ihre Sache längst schon stolz deklarierten.”

aus: Max Horkheimer / Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt(Main): Fischer 1988 (1944), S.9-24

Abb.: Anna Oppermann: Mythos und Aufklärung, 1985-1992, im Internet.

07/10/2007 (1:01) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Belg worden

“Onlangs … vroeg een wat oudere Hollandse heer van het liberale type mij waarom ik nu eigenlijk Vlaming was geworden. … zijn vraag liet me niet los. Om te beginnen realiseerde ik me dat ze verkeerd was gesteld. Want wat is het Vlaamse van de Vlaming anders dan een kwestie van natuur, familie, worteling, provincie, dialect … ik kan dus onmogelijk Vlaming worden.

Het Belgische van de Belg daarentegen, zijn ‘belgitude’, is een kwestie van cultuur, levenswijze, vriendschap, urbaniteit, Nederlands en Frans – en voor die cultuur heb ik gekozen. Ik ben dus om zo te zeggen Belg geworden. Hoe… ongebruikelijk! En waarom in hemelsnaam?

… Nederland … heeft in de loop van vier eeuwen een democratie … ontwikkeld, die berust op een fundamentele tevredenheid van het Nederlandse volk met zichzelf, en voorts op de bereidheid van de enkeling om zijn individualiteit tot op zekere hoogte ondergeschikt te maken aan de gemeenschap, de staat, het superego, de ogen van de buurvrouw, de sussende folders van de overheid. … Als zoön politikon, als politiek dier, doet de Nederlander trouwens wel aan het voor hem gefokte rundvee denken. Vergelijk hem met de Belg, het opportunisme van de Belg, de radicale onverschilligheid van de Belg voor zijn overheid … De Belg heeft eerder iets van het varken: een intelligent dier, met een ongunstige reputatie, die het niet verdient. Aards. Altijd op zijn hoede voor de slager, aan wie hij zoveel van zijn voorouders verloren heeft. …

Bij God en in België is alles mogelijk, zegt een Belgisch adagium.

De belgitude heeft dan ook een vrolijk, epicurisch, zacht-cynisch karakter, dat voor buitenstaanders evenwel verborgen blijft achter rolluiken, bureaucratie, vormelijkheid, distantie – de gezichtseinder van buitenstaanders in België valt gewoonlijk samen met de rand van hun restauranttafel. Die onbegrijpelijkheid van de belgitude voor oningewijden draagt omgekeerd weer bij tot de levensvreugde van de Belgische Belg, voor wie het Belg-zijn ook een strategische kant heeft: hoe minder de anderen van België begrijpen, hoe beter. In die zin is de belgitude zijn methode om onder te duiken in de geschiedenis. …

Wat de belgitude met het dadaïsme gemeen heeft, is he ontregelen van de normale betrekking tussen een gedachte en haar uitdrukking – een kunstzinnig procédé dat in de Belgische politiek zijn grootste verfijning heeft bereikt. … In België uitgesproken of opgeschreven zinnen betekenen dikwijls absoluut niet wat men zou menen, want de Belgen hebben zich gedurende generaties geoefend in de overdrijving, de boutade, de paradox. … De aldus op velerlei manieren gezaaide verwarring amuseert de Belgen niet alleen, maar past ook perfect in de overlevingsstrategie van de belgitude, die ons in haar eerste leerstuk voorhoudt dat België ook bezet is als het niet bezet is, namelijk door België zelf. …

Nergens anders in Europa bestaat er een zo gezonde mengeling van kosmopolitisme en provincialisme. … het naakte bestaan van België in het Europa van Bosnië [is] een bewijs van beschaving …

Ik persoonlijk heb mij zelfs nooit laten naturaliseren, wat voor zoiets dadaïstisch en onvatbaars als de belgitude natuurlijk ook volkomen onbelangrijk is …”

Benno Barnard: Door God bij Europa verwerkt. Amsterdam/Antwerpen: Atlas, 1996, S.195-199.

12/02

07/10/2007 (1:01) Schlagworte: Lesebuch,NL ::

Beifall von der falschen Seite

“daran, wieviel Ansichten von der Realität möglich seien, bleibt von vorneherein kein Zweifel. Nur bis zwei darf gezählt werden. … [Wer ständig im feindlichen Feld nach Anzeichen des Beifalls Ausschau hält, macht seine Feinde zu Schiedsrichtern des eigenen Redens] …

Die Angst vor dem ‘Beifall von der falschen Seite’ ist … ein Charakteristikum totalitären Denkens. Kritik, die ihr Konzessionen macht, ist durch keinen Hinweis auf taktische Überlegungen zu rechtfertigen; sie ist hinfällig.”

Hans Magnus Enzensberger: Die Sprache des SPIEGEL, In: Hans Mayer:: Dt. Literaturkritik, Bd.4, Frankfurt(Main) 1983: S.569/570.

05/93

07/10/2007 (1:00) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Résident

“L’idéal du voyageur, c’est le résident, ce mi-chemin entre le touriste et le national, ce mélange d’éternité et de précarité, vivant à la frange de deux temps, entre deux urgences et qui transforme le lieu où il vit en substance composite. La résidence fait de nous des êtres inclassables, insituables qui ont un pied partout, une patrie de naissance et une patrie d’élection. On ne bouge pas et, pourtant, notre statut d’étranger ne cesse de nous déporter, délicieux cabotage mental qui est à proprement parler le plaisir du décalage. Car je suis étranger sans être métèque, je cumule les privilèges de l’identité et du déplacement, je suis un dériveur immobile qui n’est pas égaré sans être vraiment chez soi (à quoi s’opposeraient le statut de l’exilé politique chassé malgré lui de sa terre, celui de l’apatride errant de nation en nation et celui, plus rétro, du colonial fixé depuis si longtemps sous les tropiques qu’il est devenu étranger à son propre pays).”

Bruckner, Pascal / Finkielkraut, Alain: Au coin de la rue, l’aventure. Paris: Seuil 1979, S.73.

10/04

07/10/2007 (1:00) Schlagworte: FR,Lesebuch ::

Ausbeutung

“Wir wußten immer genau, wer die Bösewichter waren, die wie Maden im Speck von der Arbeit anderer lebten: Unternehmer, Regierungen, Beamte, höhere Angestellte und so weiter. Und diejenigen, die nach unserer Überzeugung alles produzierten und um die Früchte ihrer Arbeit betrogen wurden, wußten ebenso genau, wer außer den Unternehmern und ‘denen da oben’ noch von ihrer Arbeit, von ihren ‘Steuergeldern’ lebte: die Studenten, die Langhaarigen, die Punks, die Hausbesetzer und so weiter.”

Peter Gäng: Von einigen Widersprüchen des staatsfernen Lebens. In: Schmid, Thomas: Entstaatlichung. Neue Perspektiven auf das Gemeinwesen. Berlin: Wagenbach 1988, S.81.

03/04

07/10/2007 (0:59) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Armoede 1

“het enorme gat tussen arm en niet-arm bestaat eigenlijk uit vijf diepe kloven.

[1] De gevoelskloof is het meest fundamenteel. Armen voelen zich letterlijk niemand. … De meeste armen hebben een fundamenteel gebrek an eigenwaarde. Het gevoel van permanente uitsluiting wordt dagelijks gevoed en versterkt door de vele stuntelige en vooraf tot mislukken gedoemde pogingen om aansluiting te zoeken bij de samenleving. Om er ook bij te horen, richten armen zich op de uiterlijk waarneembare kenmerken van zogenaamd ‘geslaagde’ middenklassers. Ze streven naar een mooie wagen, een gsm, dure merkkleding en andere statussymbolen die ze associëren met de wereld van de niet-armen. Het streven om erbij te horen wordt door de samenleving vaak genadeloos afgestraft. De reacties van de welstellende goegemeente zijn heel voorspelbaar. ‘Als je zo’n dure wagen koopt,, is het normaal dat je in de schulden zit.’ en ‘Ze kunnen geen eten voor hun kinderen kopen, mar ze hebben wel een gsm.’ … Innerlijke pijn en schuldgevoelens [ontnemen] aan armen de noodzakelijke ruimte om te leren. … Een kind dat voortdurend het gevoel heeft niemand te zijn, kan zijn geest onmogelijk vrijmaken om te studeren. Zo’n kind heeft mar één doel in het leven: iemand zijn, iets betekenen.

[2] Vervolgens gapt er een immens grote kenniskloof tussen beide werelden. Armen kennen bijna niets van de wereld van de niet-armen. Meestal zijn ze zich daarvan niet eens bewust, ze weten niet dat ze informatie missen, waardoor ze geen vragen kunnen stellen. Als ze met een bepaald probleem zitten, zoeken ze hulp in hun eigen netwerken van familieleden en vrienden die vaak met dezelfde problemen worstelen. … De basiskennis die ieder mens nodig heeft om probleemloos zijn weg te vinden in het gecompliceerde leven, blijft voor armen onbereikbaar. Levenskennis is immers niet uiterlijk waarneembaar.

[3] Bijzonder hardnekkig is de vaardigheidskloof. Mensen in de armoede hebben geleerd volgens een patroon zonder vaardigheden te leven. Hun leven is opgebouwd volgens een overlevensstrategie … Ze zijn niet op de hoogte van de meest vruchtbare opvoedingstechnieken, ze kunnen moeilijk met geld omgaan en een huishouden runnen. Ook de minimale basis om met papieren en administratie om te gaan is hen totaal vreemd. … Ouders met een problematisch verleden kunnen hun kinderen niet aanleren wat ze zelf nooit hebben geleerd. Heel veel evidente vaardigheden die bij middenklassers als het ware met de moedermelk worden meegegeven, ontbreken bij armen.

[4] Verder is er de positieve-krachtenkloof. Armen hebben veel meer positieve krachten dan doorsnee middenklassers. Ze hebben doorgaans een grenzeloos solidariteitsgevoel. Veel meer dan de gemiddelde burger hebben armen de moed en de instinctieve drang om mensen te helpen. … Voor een middenklasser moet alles efficiënt, gestructureerd en ordelijk zijn. Wij leven met een voortdurende controleangst, terwijl armen kunnen overleven in een complete chaos. In schril contrast met modale middenklassers gaan mensen in de armoede de rechtstreekse confrontatie niet uit de weg. … Wij wikken onze woorden en zoeken voortdurend naar eufemismen waardoor het leven nodeloos ingewikkeld wordt. Armen zijn doorgaans verrassend rechtuit. Ze hebben geleerd dat de verdoezeling of overbetutteling van hun situatie hen geen stap verder helpt.

Armen hebben ook een sterk gevoel voor humor. De intensiteit waarmee armen – ondanks hun eigen ellende – blijven lachen en plezier maken is onvoorstelbaar. Ook daarin is er een hemelsbreed verschil met de gemiddelde ernstige, overwerkte en verzuurde middenklasser die zich over de minste prul opwindt.

Mensen in de armoede zijn radars van gevoelens. Instinctief voelen ze perfect aan of ze iemand al dan niet kunnen vertrouwen. …

[5] De structurele kloof overspant alles en is het best gekende, onderzochte en beschreven luik van de armoede. Armen worden systematisch uitgesloten van alle maatschappelijke levensdomeinen: goede huisvesting, degelijk onderwijs, gezondheidszorg, tewerkstelling en cultuur. Mensen in de armoede leven … gemiddeld acht jaar minder dan niet-armen. … Dit alles overstijgt het geheel, terwijl de buitenwereld zich blind staart op geldgebrek, wat slechts één facet van de armoede is.”

aus: Lut Goossens, zitiert bei: Demyttenaere, Bart: In vrije val. Armoede in België, Antwerpen: Manteau 2006, S.147-150

Abb.: Pawel Kuczynski: 37, 2009, im Internet.

08/07

07/10/2007 (0:58) Schlagworte: Lesebuch,NL ::

Apparatschiks

“Die moralische Entrüstung vermag nicht nachzuvollziehen, wie gerade die im Apparat reüssieren können, die – entsprechend charismatischer Auffassung – die Dümmsten, gewöhnlichsten sind, die, denen jeder eigene Wert fehlt. Tatsächlich reüssieren sie nicht, weil sie die Gewöhnlichsten sind, sondern weil sie nichts außerhalb des Apparates besitzen.”

Pierre Bourdieu, zit. nach der Neuen Gesellschaft 19/89, S.957.

Abb.: Pawel Kuczynski: Black Sheep, im Internet.

07/10/2007 (0:57) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Antifaschismus

(NL; FR)

“Unbestreitbar, ich war gegen Hitler – von Anfang an, unbedingt, ohne irgendwelche Vorbehalte psychologischpazifistischer oder diabolisch-paradoxer Art. … Das ist immerhin etwas, ein Argument, welches sich denn doch für meinen moralischen Instinkt und meine politische Urteilsfähigkeit ins Feld führen läßt. Aber es ist nicht genug.

Ja, vielleicht verhält es sich sogar so, daß dieser völlige Mangel an Kontakt mit der Nazi-Mentalität es mir zunächst schwer oder unmöglich machte, eben diese Mentalität wirkungsvoll zu bekämpfen. … Man bekämpft nicht – oder doch nicht mit vollem Einsatz -, was man durchaus verachtet. Lohnt es sich, den offenbaren Unsinn und frechen Aberwitz logisch zu widerlegen? Man begnügt sich mit einem angewiderten Achselzucken.

Diese Nazis, ich verstand sie nicht. Ihre Journale … hätten ebensogut in chinesischer Sprache erscheinen können: ich kapierte kein Wort. … vielleicht wurde in die Mysterien der Nazi-Seele und des Nazi-Jargons nur eingeweiht, wer die Vernunft in sich überwunden, endgültig auf sie verzichtet hatte? …

Mir war beklommen zumute, aber nicht beklommen genug – eben weil ich nicht verstehen wollte, daß die Mehrzahl meiner Mitbürger … längst … die Vernunft in sich ertötet hatte. Dergleichen hält man möglichst lang für ein Ding der Unmöglichkeit. … Mir wollte es nicht in den Kopf, daß die Deutschen Hitlern allen Ernstes für einen großen Mann, ja für den Messias halten könnten.

Der und groß? Man brauchte ihn doch nur anzusehen! … Ich hatte wiederholt die Gelegenheit, diese Physiognomie zu studieren. Einmal aus nächster Nähe, etwa eine halbe Stunde lang, … 1932, [in der] Carlton-Teestube in München. Da saß er, … und ließ sich sein Erdbeertörtchen schmecken. Ich nahm am Nebentisch Platz, kaum einen Meter entfernt. Er verschmauste noch ein Erdbeertörtchen mit Schlagrahm …; dann ein drittes – wenn es nicht schon das vierte war. Ich esse selbst recht gerne süßes Zeug; aber der Anblick seiner halb infantilen, halb raubtierhaften Gefräßigkeit verschlug mir den Appetit. …

Diese Deutschen, ich verstand sie nicht. … Bei aller Bewunderung für die großen Taten des deutschen Geistes, bei aller Sympathie für gewisse Züge und Möglichkeiten des deutschen Charakters: ich brachte keine Begeisterung auf für die Nation, wie sie sich nun einmal entwickelt hatte und allem Anschein nach weiter entwickeln würde. Ich fühlte mich der Nation nicht zugehörig. …

Hatten die Repräsentanten dieses Nationalismus – die Nazis und ihre Freunde – nicht recht, wenn sie Existenzen meiner Art ‘entwurzelt’ nannten? Ich hatte keine Wurzeln, wollte keine haben …”

aus: Klaus Mann: Der Wendepunkt. o.O.: Fischer 1952 (englischsprachige Orig.-Ausg.1942), S.268-272.

Abb.: John Heartfield: Mit seinen Phrasen will er die Welt vergasen, Arbeiter-Illustrierte Zeitung, 1933, im Internet.

07/10/2007 (0:57) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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