Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH
Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
modische Form eines Blogs gegossen:
Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
modische vorm van een blog gegoten:
Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
the fashionable form of a blog:
www.woydt.be/blog/
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PRIVATHOME:
LESEBUCH:
URLAUB
Urlaub
"Im Grunde hatte es eine merkwürdige Bewandtnis mit diesem
Sicheinleben am fremden Orte, dieser - sei es auch mühseligen -
Anpassung und Umgewöhnung, welcher man sich beinahe um ihrer
selbst willen und in der bestimmten Absicht unterzieht, sie kaum,
daß sie vollendet ist oder doch bald danach, wieder aufzugeben
und zum vorigen Zustande zurückzukehren.
......
Man schaltet dergleichen
als Unterbrechung und Zwischenspiel in den Hauptzusammenhang des
Lebens
ein, und zwar zum Zweck der 'Erholung', das heißt: der
erneuernden, umwälzenden Übung des Organismus, welcher
Gefahr lief und schon im Begriffe war, im ungegliederten Einerlei der
Lebensführung sich so zu verwöhnen, zu erschlaffen und
abzustumpfen.
......
Worauf beruht dann aber diese Erschlaffung und
Abstumpfung bei zu langer nicht aufgehobener Regel? Es ist nicht
so sehr körperlich-geistige Ermüdung und Abnutzung durch
die Anforderungen des Lebens, worauf die beruht (denn für diese
wäre ja einfache Ruhe das wiederherstellende Heilmittel); es
ist vielmehr etwas Seelisches, es ist das Erlebnis der
Zeit, -
welches, bei ununterbrochenem Gleichmaß abhanden zu kommen
droht und mit dem Lebensgefühle selbst so nahe verwandt und
verbunden ist, daß das eine nicht geschwächt werden kann,
ohne daß auch das andere eine kümmerliche Beeinträchtigung
erführe.
......
Über das Wesen der
Langeweile
sind vielfach irrige
Vorstellungen verbreitet. Man glaubt im Ganzen, daß Interessantheit
und Neuheit des Gehaltes die Zeit 'vertreibe', das heißt:
verkürze, während Monotonie und Leere ihren Gang beschwere und
hemme. Das ist nicht unbedingt zutreffend. Leere und Monotonie
mögen zwar den Augenblick und die Stunde dehnen und 'langweilig'
machen, aber die großen und größten Zeitmassen
verkürzen und verflüchtigen sie sogar bis zur Nichtigkeit.
Umgekehrt ist ein reicher und interessanter Gehalt wohl imstande, die
Stunde und selbst noch den Tag zu verkürzen und zu beschwingen, ins
Große gerechnet jedoch verleiht er dem Zeitgange Breite, Gewicht und
Solidität, so daß ereignisreiche Jahre viel langsamer vergehen als
jene armen, leeren, leichten, die der Wind vor sich her bläst und die
verfliegen.
......
Was man Langeweile nennt, ist also eigentlich vielmehr eine
krankhafte Kurzweiligkeit der Zeit infolge von Monotonie: große
Zeiträume schrumpfen bei ununterbrochener Gleichförmigkeit auf eine
das Herz zu Tode erschreckende Weise zusammen; wenn ein Tag wie alle ist,
so sind sie alle wie einer; und bei vollkommener Einförmigkeit
würde das längste Leben als ganz kurz erlebt werden und unversehens
verflogen sein. Gewöhnung ist ein Einschlafen oder doch ein Mattwerden
des Zeitsinns, und wenn die Jugendjahre langsam erlebt werden, das spätere
Leben aber immer hurtiger abläuft und hineilt, so muß das auf
Gewöhnung beruhen.
......
Wir wissen wohl, daß die Einschaltung von Um-
und Neugewöhnungen das einzige Mittel ist, unser Leben zu halten, unseren
Zeitsinn aufzufrischen, eine Verjüngung, Verstärkung, Verlangsamung
unseres Zeiterlebnisses und damit die Erneuerung unseres Lebensgefühls
überhaupt zu erzielen. Das ist der Zweck des Orts- und Luftwechsels, der
Badereise, die Erholsamkeit der Abwechslung und der Episode.
......
Die ersten Tage
an einem neuen Aufenthalt haben jugendlichen, das heißt starken und breiten
Gang, - es sind etwa sechs bis acht. Dann, in dem Maße, wie man 'sich
einlebt', macht sich allmähliche Verkürzung bemerkbar: wer am Leben
hängt, oder besser gesagt, sich ans Leben hängen möchte, mag
mit Grauen gewahren, wie die Tage wieder leicht zu werden und zu huschen
beginnen; und die letzte Woche, etwa von vieren, hat unheimliche Rapidität
und Flüchtigkeit.
......
Freilich wirkt die Erfrischung des Zeitsinnes dann
über die Einschaltung hinaus, macht sich, wenn man zur Regel zurückgekehrt
ist, aufs neue geltend: die ersten Tage zu Hause werden ebenfalls, nach der
Abwechslung, wieder neu, breit und jugendlich erlebt, aber nur einige wenige:
denn in der Regel lebt man sich rascher wieder ein als in ihre Aufhebung, und
wenn der Zeitsinn durch Alter schon müde ist oder - ein Zeichen von
ursprünglicher Lebensschwäche - nie stark entwickelt war, so
schläft er sehr rasch wieder ein, und schon nach vierundzwanzig Stunden
ist es, als sei man nie weg gewesen und als sei die Reise der Traum einer
Nacht."
Thomas Mann: Der Zauberberg. Dünndruckausgabe Berlin 1926,
S.139/140.
08/93
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