Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH
Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
modische Form eines Blogs gegossen:
Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
modische vorm van een blog gegoten:
Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
the fashionable form of a blog:
www.woydt.be/blog/
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PRIVATHOME:
LESEBUCH:
LESESCHLAF
Leseschlaf
"Was
ich später so oft empfunden habe, das ahnte ich damals irgendwie voraus:
daß man nicht das Recht hatte, ein Buch
aufzuschlagen, wenn man sich nicht verpflichtete, alle zu lesen.
Mit jeder Zeile brach man die Welt an. Vor den Büchern war sie heil
und vielleicht wieder ganz dahinter. Wie aber sollte ich, der nicht lesen
konnte, es mit allen aufnehmen? Da standen sie, selbst in diesem bescheidenen
Bücherzimmer, in so aussichtsloser Überzahl und hielten zusammen.
Ich stürzte mich trotzig und verzweifelt von Buch zu Buch und schlug
mich durch die Seiten durch wie einer, der etwas Unverhältnismäßiges
zu leisten hat. ...
In späteren
Jahren geschah es mir zuweilen nachts, daß ich aufwachte, und die Sterne
standen so wirklich da und gingen so bedeutend vor, und ich konnte nicht begreifen,
wie man es über sich brachte, so viel Welt zu versäumen. So ähnlich
war mir, glaub ich, zumut, sooft ich von den Büchern aufsah und hinaus,
wo der Sommer war, wo Abelone rief. Es kam uns sehr unerwartet, daß sie
rufen mußte und daß ich nicht einmal antwortete. Es fiel mitten
in unsere seligste Zeit. Aber da es mich nun einmal
erfaßt hatte, hielt ich mich krampfhaft ans Lesen und verbarg mich, wichtig
und eigensinnig, vor unseren täglichen Feiertagen. Ungeschickt wie ich
war, die vielen oft unscheinbaren Gelegenheiten eines natürlichen
Glücks
auszunutzen, ließ ich mir nicht ungern von dem anwachsenden Zerwürfnis
künftige Versöhnungen versprechen, die desto reizender wurden, je
weiter man sie hinausschob.
Übrigens
war mein Leseschlaf eines Tages so plötzlich zu Ende, wie er begonnen
hatte; und da erzürnten wir einander gründlich. ..."
Rainer
Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Frankfurt: 1991
(1910), S.184/185.
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