Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH
Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
modische Form eines Blogs gegossen:
Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
modische vorm van een blog gegoten:
Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
the fashionable form of a blog:
www.woydt.be/blog/
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PRIVATHOME:
LESEBUCH:
HANDELN
Handeln
"'Wissen
Sie, wo der Unterschied zwischen Ihnen und David besteht? ... David hat
eine wirkliche Schleuder gebraucht, während Sie einen Artikel veröffentlichen
wollen, der nachweist, wie böse
Goliath ist.'
'Aber
der Artikel ist meine Schleuder!'
'Das ist Ihr
Trugschluß! Er ist nichts als ein Stück
Literatur
... Sie, Pierre,
sind ein Opfer gewisser falscher Lehren über die Demokratie.
Zu diesen Irrlehren gehört der Glaube an die Presse und an die unmittelbare
Wirkung der Literatur. Man hat Ihnen gesagt, Freiheit
sei identisch mit Pressefreiheit ... Es ist eine Illusion, mit der man Gutgläubige
täuscht und sie veranlaßt, zu schreiben
und zu lesen, anstatt zu handeln,
selbst wenn ein Gegner vor ihnen auftaucht, für den die Worte
wie Freiheit, Schreiben und Lesen überhaupt nicht existieren. Man delegiert
das, was man zu tun hätte, an die Presse. Handeln - das bedeutet: irgendwo
fließen Lettern aus einer Setzmaschine.'
'Ich
danke Ihnen, Mondello, Sie befreien mich von meiner letzten Hemmung.'
'Hemmung
wovor?'
'Ich
steige aus. Ich habe es vorhin schon Solange mitgeteilt.'
'Was,
Sie wollen jetzt kneifen, Pierre?'
'Sie
überzeugen mich doch selbst von der Nutzlosigkeit alles dessen, was
ich bisher gedacht habe. Oder nicht?'
'Aber
doch nur, damit Sie sich überlegen, ob nicht etwas getan werden könnte,
das Sinn hat.'
'Es gibt nichts
dergleichen. Wir leben in einer Welt der falschen Alternativen. Ich kann keine
der Faktionen wählen, die heute miteinander kämpfen. Auch nicht das
kleinere Übel. Das kleinere Übel ist für mich das größte.
Ich gebe zu, daß ich bis heute abend an eine dritte Kraft geglaubt habe:
die Öffentlichkeit. Sie haben
mir diese Illusion genommen. ...
'Ich
achte Ihren Entschluß, Pierre. Vielleicht ist es gut für Sie,
wenn Sie eine Weile fortgehen. Fortgehen, um zu erkennen, daß Freiheit
nicht bedeutet, irgendeine Ideologie wählen zu können, sondern
das Unrecht zu zerreißen, wo immer man es trifft. ... Es gibt ein
ganz sicheres Erkennungszeichen des Unrechts: dort, wo nichts mehr Sie
auffordert zu schreiben, wo nur ein einziger Gedanke Sie beherrscht: zu
handeln, nichts als zu handeln: dort ist es, wo das Böse herrscht.'
'Mondello,
geben Sie der Literatur denn gar keine Chance mehr?'
'Nicht
der
Literatur, die Sie meinen, Pierre. Jener Sekundär-Literatur, die sich
für die Geschichte selbst hält, weil sie sich aufregt und diskutiert.
Sie ist nur Symptom, nichts weiter. Große Literatur tut etwas anderes:
sie breitet lange und langsame Entwicklungen vor, sie streut in ein paar
Gedanken und ein paar Formen Samen aus, die die Welt erneuern und sie an
etwas Altes erinnern: Augustinus hat das getan, Pascal, Spinoza, Marx,
Kafka...'"
Alfred
Andersch: In der Nacht der Giraffe. In: ders.: Gesammelte Erzählungen.
Zürich: Diogenes 1971, S.150-154.
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