Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH
Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
modische Form eines Blogs gegossen:
Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
modische vorm van een blog gegoten:
Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
the fashionable form of a blog:
www.woydt.be/blog/
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PRIVATHOME:
LESEBUCH:
WORTE
Worte
"... Es ist mir völlig
die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend
zu denken oder zu sprechen. Zuerst wurde es mir allmählich unmöglich,
ein höheres oder allgemeineres Thema zu besprechen und dabei jene
Worte in den Mund zu nehmen, deren sich doch alle Menschen ohne Bedenken
geläufig zu bedienen pflegen.
Ich empfand ein unerklärliches
Unbehagen, die Worte "Geist", "Seele" oder "Körper" nur auszusprechen.
Ich fand es innerlich unmöglich, über die Angelegenheiten des
Hofes, die Vorkommnisse im Parlament oder was Sie sonst wollen, ein Urtheil
herauszubringen. Und dies nicht etwa aus Rücksichten irgendwelcher
Art, denn Sie kennen meinen bis zur Leichtfertigkeit gehenden Freimut:
sondern die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß
bedienen muß, um irgendwelches Urtheil an den Tag zu geben, zerfielen
mir im Munde wie modrige Pilze.
Es begegnete mir, daß
ich meiner vierjährigen Tochter Catarina Pompilia eine
kindische
Lüge,
deren sie sich schuldig gemacht hatte,
verweisen und sie auf die Notwendigkeit, immer wahr
zu sein, hinführen wollte, und dabei die mir im Munde zuströmenden
Begriffe plötzlich eine solche schillernde Färbung annahmen und so
ineinander überflossen, daß ich, den Satz, so gut es ging, zu Ende
haspelnd, so wie wenn mir unwohl geworden wäre und auch tatsächlich
bleich im Gesicht und mit einem heftigen Druck auf der Stirn, das Kind allein
ließ, die Tür hinter mir zuschlug und mich erst zu Pferde, auf der
einsamen Hutweide einen guten Galopp
nehmend, wieder einigermaßen herstellte. Allmählich aber breitete
sich diese Anfechtung aus wie ein um sich fressender Rost.
Es wurden mir auch im familiären
und hausbackenen Gespräch alle die Urtheile, die leichthin und mit schlafwandelnder
Sicherheit abgegeben zu werden pflegen, so bedenklich, daß ich aufhören
mußte, an solchen Gesprächen irgend teilzunehmen. Mit einem unerklärlichen
Zorn, den ich nur mit Mühe notdürftig verbarg, erfüllte es mich,
dergleichen zu hören wie: diese
Sache ist für den oder jenen gut oder schlecht ausgegangen; Sheriff N.
ist ein böser, Prediger T. ein guter Mensch; Pächter M. ist zu bedauern,
seine Söhne sind Verschwender; ein anderer ist zu ^
beneiden,
weil seine
Töchter haushälterisch sind; eine Familie kommt in die Höhe,
eine andere ist am Hinabsinken. Dies alles erschien mir so unbeweisbar, so lügenhaft,
so löcherig wie nur möglich. Mein Geist zwang mich, alle Dinge, die
in einem solchen Gespräch vorkamen, in einer unheimlichen Nähe zu
sehen: so wie ich einmal in einem Vergrößerungsglas ein Stück
von der Haut meines kleinen Fingers gesehen hatte, das einem Brachfeld mit Furchen
und Höhlen glich, so ging es mir nun mit den Menschen und Handlungen.
Es gelang mir nicht mehr,
sie mit dem vereinfachenden Blick
der Gewohnheit zu erfassen. Es zerfiel
mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile und nichts mehr ließ
sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich; sie
gerannen zu Augen die mich anstarrten und in die ich wieder hineinstarren muß:
Wirbel sind sie, in die hinabzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam
drehen und durch die hindurch man ins Leere kommt.
Ich machte einen Versuch,
mich aus diesem Zustand in die geistige Welt der Alten hinüberzuretten.
Platon vermied ich, denn mir graute vor der Gefährlichkeit seines bildlichen
Fluges. Am meisten gedachte ich mich an Seneca und Cicero zu halten. An dieser
Harmonie begrenzter und geordneter Begriffe hoffte ich zu gesunden. Aber ich
konnte nicht zu ihnen hinüber. Diese Begriffe, ich verstand sie wohl: ich
sah ihr wundervolles Verhältnisspiel vor mir aufsteigen wie herrliche Wasserkünste,
die mit goldenen Bällen spielen. Ich
konnte sie umschweben und sehen wie sie zueinander spielten; aber sie hatten
es nur miteinander zu tun
und das Tiefste, das persönliche meines Denkens blieb von ihrem Reigen
ausgeschlossen.
Es überkam mich
unter ihnen das Gefühl furchtbarer Einsamkeit;
mir war zumuth wie einem, der in einem Garten mit lauter augenlosen Statuen
eingesperrt wäre ..."
Hugo von Hofmannsthal:
Brief des Lord Chandos (1902), zit.
nach http://www.gutenberg.aol.de/hofmanns/prosa/chandos.ph
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