Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH
Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
modische Form eines Blogs gegossen:
Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
modische vorm van een blog gegoten:
Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
the fashionable form of a blog:
www.woydt.be/blog/
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PRIVATHOME:
LESEBUCH:
UNWIRTLICHKEIT
Die Unwirtlichkeit
unserer Städte
"Die hochgradig
integrierte alte Stadt hat sich funktionell entmischt. Die Unwirtlichkeit, die
sich über diesen neuen Stadtregionen ausbreitet, ist niederdrückend.
...
Kann man in ...
[den Städten], die keine von Bäumen bestandenen Boulevards mehr haben,
keine Bänke, die sich zum Ausruhen im faszinierenden Kaleidoskop der Stadt
anbieten - kann man in ihnen mit Lust verweilen, zu Hause sein? ...
Wer an einem Herbsttag
durch Amsterdam oder im Dezember durch Arles oder Venedig wandert, spärt
das Unverwechselbare dieser Gebilde. Ob jemand hingegen die Wohnsilos von Ludwigshafen
oder Dortmund vor sich hat, weiß er nur, weil er da- oder dorthin gefahren
ist. Die gestaltete Stadt kann 'Heimat' werden, die bloß agglomerierte
nicht, denn Heimat verlangt Markierungen der Identität eines Ortes. ...
Was wir zuließen,
war die Egalisierung der deutschen Städte ... Die Einebnung so verschiedener
Stadtgestalten wie Nürnberg oder Dresden, Hamburg oder München ist
leicht zu vollbringen ... Nach dem Krieg
fand sich keine Bürgerschaft, die sich ihrer Stadt mit einem Blick auf
die Zukunft angenommen hätte ... der Zerfall des stadtbürgerlichen
Charakters war dem der Städte vorausgegangen. ... Es ist eine ausgesprochene
Denkfaulheit, zu erwarten, die Stadt von morgen
were ganz selbstverständlich ihre zunächst unbeabsichtigte, aber von
Generation zu Generation langsam verwirklichte Funktion weiter erfüllen:
der Ort der Selbstbefreiung des Menschen zu sein. ...
Tausenderlei ...
Beispiele zeigen den Unsinn der Entmischung der Stadtfunktionen, die trotzdem
weiter gefördert wird. Am wenigsten scheint diese Stadtzerstörung
dem kritischen Verstand der Städtebewohner zu bekommen. Das ist es: die
Stadt dieser Art wird zur Provinz,
der citoyen, der Stadtmensch, zum bloßen Bewohner einer wenig rühmenswerten
Gegend. ...
Wäre
... das Dorf nicht so stickig, die Provinzstadt nicht so provinziell
langweilig
gewesen, so hätte dieser Zug in die großen Metropolen nie stattgefunden.
Stadtluft hat ja tatsächlich zunächst einmal frei
gemacht. ...
Wir hatten Anlaß,
die Zerstörung unserer Städte zu beklagen - und dann die Formen ihres
Wiederaufbaus; wir haben gegenwärtig Anlaß, die Zerstörung der
an die Städte grenzenden Landschaften zu beklagen - und haben wenig Hoffnung,
daß diese Schäden wieder gutzumachen sind. Nur weil die Gewohnheit
abstumpft, wenn Bäume fallen und Baukräne aufwachsen,
wenn Gärten asphaltiert werden, ertragen wir das alles so gleichmütig.
...
Durchstreift
man diese oft reichen Einfamilienweiden, so ist man überwältigt von
dem Komfortgreuel, den unsere technischen Mittel hervorzubringen erlauben. ...
Das Vorort-Einfamilienhaus
... ist der Begriff städtischer Verantwortungslosigkeit: Dem Bauherrn ist
gestattet, seine Wunschträume mit seiner Identität zu verwechseln.
... [vom] Wüstenrot- und Leonberghaus, ... [und der] Bimsblock-Tristesse,
die sich um jedes einigermaßen stadtnahe Dorf legt, bis zu den geplanten
Slums, die man gemeinhin sozialen Wohnungsbau nennt und die einem in ihrer Monotonie
an den Ausfallstraßen der Großstädte die Lektion erteilen,
daß alles noch viel schlimmer ist, als man es sich einreden möchte.
...
Mit jedem Grundstück,
das am Stadtrand parcelliert und zu schwindelhaften Bodenpreisen veräußert
wird, schiebt sich der Horizont des Städters, an dem die Landschaft beginnt,
weiter hinaus, wird Land der Allgemeinheit irreparabel entzogen. ... dem Wachsen
der Vorstädte [korrespondiert] die Langeweile ..., die Langeweile der Monotonie.
Von Kontrasterfahrung der Natur ist der Einfamilienhausbewohner für gewöhnlich
so weit entfernt wie das Huhn des Hühnerhofs von der freien Flugbahn. ...
dies Parcellierung der Natur [wird] nicht das bringen ..., was der von idealisierten
Hoffnungen geschwellte Erbauer eines solchen Einfamilienhauses sich erträumt
hatte. ...
Da das historische
Gedächtnis so kurz ist, kann man unbesorgt als eine der Grundfesten der
freien Gesellschaft ausgeben, daß das
Privateigentum auch dort heilig
sei, wo es die Lebensform dieser Gesellschaft ernstlich beeinträchtigt.
Dabei waren in großen Zeiten
städtischen
Lebens die stadtbürgerlichen
Obligationen eindeutig dem Eigennutzen vorgeordnet gewesen. ...
Es ist wenigstens
tröstlich zu wissen: die neuen Häuser sind so windig entworfen, so
schludrig gebaut, der Aufbau im alten Eigentumszuschnitt hat eine so ideenlose
Monotonie entstehen lassen, daß es kein Kulturfrevel sein wird, dies alles
besseren Konzepten zuliebe wo nötig abzureißén."
etwas umsortierte
Zitate aus: Alexander Mitscherlich: Die Unwirtlichkeit unserer Städte.
Anstiftung zum Unfrieden. Frankfurt (Main): Suhrkamp 1965, S.9-143
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