Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH
Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
modische Form eines Blogs gegossen:
Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
modische vorm van een blog gegoten:
Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
the fashionable form of a blog:
www.woydt.be/blog/
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.
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PRIVATHOME:
LESEBUCH:
SOZIALISMUS 1
Sozialismus
......
"Lieber Eckard,
......
Sozialismus
ist für mich kein Zustand, in den ich irgendwann
eintreten könnte wie in ein Zimmer, sondern eine Tätigkeit,
die ich alltäglich betreibe. In der kleinen bayerischen
Fremdenverkehrsgemeinde, wo wir seit sechs Jahren wohnen,
bin sozusagen ich der Sozialismus. ... unser SPD-Ortsverein
mit seinen gerade 18 Mitgliedern verkörpert in meinem
Heimatdorf so gut oder schlecht es eben gehen mag, den
Sozialismus. Ich bin der Vorsitzende.
......
Was wir tun (oder nicht tun, weil wir nicht wollen oder
nicht können), ist das, was die 3.000 Seelen vom Sozialismus
erfahren. Andere politische Gruppierungen, die sich als
"links"
verstehen könnten (wie Grüne oder DKP), spielen hier, auf
kommunaler Ebene keine Rolle.
......
Was tun wir nun also, und was tun wir nicht?
......
Die B19 von Sonthofen nach Oberstdorf führt durch den Ort
mittendurch. Wir haben uns stark gemacht für eine Begrenzung
der Geschwindigkeit auf 80, fanden die Unterstützung des
Bürgermeisters und des ganzen Gemeinderats und konnten doch
nicht mehr erreichen, als ein Probejahr mit den 80-Schildern,
das nun beendet werden sollte. Neuerliches Hin und Her. Schreiben
an die Abgeordneten im Landtag, an die Presse - jetzt ist es
soweit, 80 gilt ohne
zeitliche
Begrenzung.
......
Seite an Seite mit der CSU, in diesem Fall - eine solche
Äußerung wird nach meiner Erfahrung außerhalb Bayerns immer
mißverstanden, auch von denen, die sich als gewitzt verstehen.
Die meisten Intellektuellen und Linken, die ich treffe, glauben
ganz genau zu wissen, wie es in Bayern zugeht. Sie erzählen
es mir, meist lachend. Auf die Idee, mich zu fragen,
welche Erfahrung ich hier mit der CSU mache, ist noch
niemand gekommen. Alle wissen es schon - sie glauben es zu
wissen. Die Wirklichkeit, wie ich sie erlebe, ist anders.
......
... Der Mittelstand ist es, der hier regiert; das ist wörtlich zu
verstehen. ... Wer alteingesessener Gewerbetreibender ist, der
ist katholisch und CSUler und in etlichen Vereinen aktiv. Die
besten Leute aus dieser Schicht sitzen zu zwölft im Gemeinderat
und bilden die CSU-Fraktion, die vom Bürgermeister, der zugleich
CSU-Vorsitzender ist, geleitet wird.
......
Ihnen gegenüber sitzen wir zwei SPD-Mitglieder, der andere ist
Hauptschullehrer und auch, wie ich, zugezogen. Wer nicht
alteingesessen ist, und keinen Betrieb geerbt hat, wer also
zugezogener Arbeitnehmer, Selbstständiger oder kleiner
Beamter ist, der organisiert sich in der Regel als Sozi, ist
evangelisch und denkt 'liberal' im fortschrittlichen Sinne.
......
Wir zwei werden nun von der übermächtigen CSU-Fraktion (nach
anfänglichen Scharmützeln mit schwerem Säbel) gut behandelt.
In allen Ausschüssen sind wir vertreten. Anträge, die uns
wichtig waren, fanden die nötige Unterstützung; allein könnten
wir nichts ausrichten.
......
Am wichtigsten war mir persönlich das Grabdenkmal für drei 1944
an Lungenentzündung verstorbene Fremdarbeiter. Wir hatten hier
ein Außenlager des KZ Dachau, es war klein. ... neben
'verschleppten' [wurden] auch 'freie' Fremdarbeiter beschäftigt.
Drei, ein Belgier, ein Pole, ein Ukrainer, lagen unter
vernachlässigten Holzkreuzen auf dem ansonsten durchaus wohlhäbig
gestalteten Friedhof. Wir setzten durch, daß ihnen ein Grabmal
aus drei schönen, auffälligen Granitkreuzen gesetzt wurde. ...
......
Das Verhältnis zu den Gemeinderatskollegen ist gut. Neulich
waren wir mal auf Besichtigungsfahrt in München und wurden von
der Zentrale einer riesigen Bank bewirtet. Der Gastgeber flocht
in einer Laudatio auf uns Ehrenamtliche ganz beiläufig ein, wie
sehr doch die politische Bewegung von 1968 gescheitert sei. Nichts
sei davon übriggeblieben. Da meldete ich mich und sagte: Doch,
ich sei übriggeblieben und auf meinem Weg durch die
Institutionen jetzt hier angekommen, in dieser Bank, um
ihm zu widersprechen. ...
......
Es hätte peinlich sein können, war's aber nicht, denn unser
Bürgermeister sagte in freundlich-kommunikativem Ton zu dem Mann:
Jawohl, die Molsners seien in der
Tat
so
Altachtundsechziger,
doch doch, solche gebe es schon noch.
......
Zu einem großen lärmenden Zusammenstoß zwischen den Fraktionen
ist es bisher nicht gekommen. Sollte ein Anlaß solchen
Zusammenstoß fordern, werde ich ihm nicht ausweichen. Vor allem
will ich aber zeigen und sozusagen vor-leben ..., daß man
nicht hassen und große Anlässe suchen muß, um Interessen zu
vertreten und auch zu realisieren. ...
aus: Michael Molsner: Das, was ich alltäglich tue. In: Eckard Spoo (Hg.): Wie weiter? Hamburg 1988.
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