Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH
Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
modische Form eines Blogs gegossen:
Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
modische vorm van een blog gegoten:
Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
the fashionable form of a blog:
www.woydt.be/blog/
|
.
|
PRIVATHOME:
LESEBUCH:
DRITTE WELT
Dritte Welt
"Da ich in
den meisten Relationen über Ägypten die kläglichsten Jeremiaden
über das Elend dieser unglücklichen Klasse gelesen
hatte, so war ich nicht wenig verwundert, meistens kräftige, gesund aussehende
und lustige Menschen zu finden, die singend und lachend ihre Arbeit
verrichteten, von den Aufsehern höchst nachsichtig behandelt wurden und
selbst das Bakschis (Trinkgeld), um das sie uns ansprachen, nur im Scherz zu
verlangen schienen. Ihr Ansehen war allerdings zerlumpt, aber wo sieht man es
im Orient wie auch in Griechenland anders? Das Klima verlangt so wenig, und
Ordnung und Reinlichkeit gehört noch nicht zu den Tugenden dieser Länder.
Ich habe später diesem Gegenstand fortwährende Aufmerksamkeit geschenkt
und die feste Überzeugung gewonnen, daß die hiesigen Fellahs im Vergleich
mit manchen andern ihrer Kameraden in Europa,
zum Beispiel den irländischen Bauern, welche doch Untertanen
des erleuchtetsten Gouvernements
in der zivilisierten Welt sind, oder den armen Webern im Vogtlande, von denen
ich erst heute, im Jahre 1843, in den Zeitungen
las, daß sie ihren täglichen Verdienst höchstens auf zwei Gröschel
bringen könnten, und wenn ihre einzige Nahrung, die Kartoffeln, fehlschlugen,
dem Hungertode nahe kämen – daß, sage ich, diese Fellahs sich, obgleich
mancher Härte und Willkür ausgesetzt, die ich nicht ableugnen will,
doch immer noch in einer Lage befinden, welche viele unsrer Proletarier oft
beneiden
könnten.
Die
Häuser der Fellahs sind meistens kleine Hütten von an der Sonne
gedörrten Lehmsteinen oder auch nur von getrocknetem Lehm aufgeführt,
ohne eine andere Öffnung als die Türe. Aber diese Wohnungen sind
meistens dicht und warm im Winter, immer vor leichtem Regen und Unwetter,
was ohnedem so selten hier eintritt, geschützt, schattengebend im
Sommer und geräumig genug für die geringen Bedürfnisse dieser
Leute, während in Griechenland selbst die Wohlhabenderen unter den
Landleuten selten ein Dach
besitzen,
das nicht Schnee und Regen durchließe,
und erinnert man sich vollends der von erstickendem Rauch angefüllten
Schweineställe, in denen die armen Irländer hungern und die in
jenem verhältnismäßig so kalten Klima fast gar keinen Schutz
gewähren, so richtet sich das Mitleid nach einer ganz andern Seite.
Die
Fellahs sind arm; aber in den geringsten Dörfern Ägyptens, wo
ich hinkam, fand ich fast immer Brot, Milch, Butter, Käse, Eier, Gemüse
in Fülle, auch Geflügel, in den größeren selbst Schlachtfleisch,
was man uns gern für einen sehr billigen Preis zum Verkauf anbot,
sobald nur kein Gouvernementsbeamter dabei war, deren Raubsucht allerdings
zu den Kalamitäten Ägyptens gehört – während in Griechenland
häufig Zwiebeln und ein fast ungenießbares Maisbrot das einzige
sind, was man sich verschaffen kann, auch die Leute selbst dort in der
Regel von gleicher Kost leben müssen wie in Irland von Kartoffeln
und Whiskey. Endlich hörte ich noch nie, daß ein Fellah verhungert
sei, was zur Schande der Menschheit bei den irländischen Bauern notorisch
schon öfters vorgekommen ist und vielleicht heute noch möglich
sein mag.
Die Fellahs
sind ferner höchst elend gekleidet, aber auch hier ist der Vergleich zu
ihrem Vorteil, denn erstens bedürfen sie bei dem milden Klima fast gar
keiner Kleidung; zweitens habe ich bis jetzt noch nicht gesehen, daß die
hiesigen Weiber, gleich den irländischen Frauen
und Mädchen der gemeinen Klasse, nicht einmal Lumpen genug besaßen,
um ihre Blöße soweit zu bedecken, als es die Schamhaftigkeit gebietet.
Im Gegenteil erblickt man die Weiber der Fellahs, wenn auch oft in zerrissenen
Gewändern, doch immer wie die übrigen Morgenländerinnen bis an
den Mund verhüllt, wozu sie meisten 5-6 Goldstücke, in einer Reihe
vorn vom Antlitz bis auf die Brust herab aufgenäht, tragen, was ebenfalls
mit der bodenlosen Armut nicht recht übereinstimmen will, von der unsre
philantropischen Reisenden uns ein so abschreckendes Bild entwerfen, weil sie
wohl den Strohhalm im fremden Auge, aber den Balken im eigenen nicht sehen.
Ich glaube, daß mitten in Paris und London teilweise gräßlicheres
Elend nachzuweisen ist, als in ganz Ägypten gefunden werden kann. ... Wer
aber frisch aus Europa hier debarkiert und zum erstenmal das gemeine Volk in
Schmutz und Lumpen gehüllt sieht, was im Orient gang und gäbe, in
Europa aber nur die Livree des höchsten Elends ist, dessen Einbildungskraft
wird zu leicht ergriffen, und er sieht von nun an mit gefärbter Brille,
im Fall er nicht gar absichtlich falsch sehen will."
Hermann Fürst von Pückler-Muskau Aus Mehemed Alis Reich Ägypten
und der Sudan um 1840. Geklaut beim Gutenberg-Projekt: http://www.gutenberg2000.de/pueckler/mehemed/mehe105.php
|