Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH

Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die modische Form eines Blogs gegossen:

Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé. Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:

Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de modische vorm van een blog gegoten:

Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into the fashionable form of a blog:

www.woydt.be/blog/


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MALTE WOYDT

PRIVATHOME:    LESEBUCH:    PRIVATISIERTE GEWALT

Privatisierte Gewalt

"Seit 1989 hat die Gewalt nicht abgenommen, sondern zugenommen. Dies ist aber außerhalb dessen geschehen, was als Krieg definierbar ist. ... Wenn sechs Banditen ein Hotel überfallen, dann ist die bewaffnete Polizei am Zug, und wenn 600 Banditen eine Stadt überfallen, dann nennen sie es Krieg. Manche Pazifisten und die Militärs sagen dann: Das ist nichts für uns, denn das ist nicht der Krieg, den wir gelernt haben. ..."

"Die Gegenden der Erde, besonders Afrikas, in denen oft nicht mehr klar ist, wer hier gegen wen kämpft, nennen die Franzosen 'entités ingouvernables'." - "In der 'entité chaotique ingouvernable' wirbt ein Warlord Söldner an, bewaffnet sie, terrorisiert mit ihnen die Gegend, aus der die wilde Truppe zu leben sich entschieden hat. ... Der Staat ist nicht, wie Hegel meinte, das Endziel, der natürlche Endzustand gesellschaftlicher Organisation. Er kann auch wieder zerbröseln."

"Militärische Gewalt wird zu einer käufliche Dienstleistung, ähnlich wie im Dreißigjährigen Krieg. Privatisierte Gewalt ist kommerzialisierte Gewalt. ... Im Umgang miteinander sind die Söldner der privatisierten Gewalt manchmal geradezu rücksichtsvoll. Sie lieben den Kampf gegeneinander nicht. Dabei springt nichts heraus. Man hält sich lieber an die Zivilbevölkerung ... Im Ersten Weltkrieg kam auf zehn gefallene Soldaten ein getöteter Zivilist. Im Zweiten Weltkrieg war es schon ein Zivilist auf zwei Soldaten. Wo die privatisierte Gewalt sich austobt, kommen auf einen getöteten Soldaten fünf ermordete Zivilisten. ..."

"Im 16. Jahrhundert haben die Landesfürsten ... [ihr] Gewaltmonopol gegen Raubritter und Wegelagerer durchgesetzt. Im 14. Jahrhundert waren es die wenigen Städte, die sich durch solide Mauern und wohlbewachte Tore sichern konnten, während die 90%, die in Dörfern lebten, ungeschützt willkürlicher Gewalt ausgesetzt blieben. Wie wird es im 21. Jahrhundert sein?"

"Warum privatisiert sich die Gewalt? Warum wandert sie aus staatlicher Obhut aus? Da gibt es ganz banale Gründe: Moderne Waffen sind leicht zu handhaben, können von Zehnjährigen getragen und bedient werden. Der illegale Waffenmarkt wird gut bedient. ... Ein weniger banaler Grund: Der weltweite Trend zur Privatisierung. Wenn man schon einmal dem Markt prinzipiell mehr zutraut als politischen Entscheidungen, dann leuchtet nicht mehr ein, warum nicht auch die innere und sogar die äußere Sicherheit besser in Privathand aufgehoben wären. Unsere Konzerne schützen sich seit langem selbst. Man nennt das Werkschutz. Wir haben in Deutschland schon mehr Angestellte privater Sicherheitsagenturen, als wir Polizisten haben. ...

Daß die Privatisierung der Gewalt noch längst nicht so zum Thema geworden ist, wie sie es verdient hätte, hat wohl damit zu tun, daß dagegen links wir rechts Hemmungen wirksam sind. Auf der Linken ist noch die Erinnerung wach an Che Guevara und den Vietcong, an die idealistischen Freiheitskämpfer, die sich gegen staatlichen Terror auflehnten. Auch Pazifisten wagen sich nicht an das Thema. Pazifismus ist das unbedingte Nein zum Krieg. Was wird aus dem Pazifismus, wenn ihm der Krieg abhanden kommt? Auf der Rechten mag man nicht zugeben, daß die Privatisierung der Gewalt etwas zu tun hat mit der Welle der Privatisierungen, die der Neoliberalismus in Gang gesetzt hat, daß die Entstaatlichung der Gewalt die äußerste Konsequenz einer Ideologie ist, die Ent-Staatlichung zum Programm gemacht hat. ...

[Man] kann nicht jede Gewalttätigkeit als Krieg bezeichnen. Ein Krieg verlangt zum Beispiel, daß es eine Instanz gibt, die ihn beginnen und beenden kann. Eine solche Instanz gibt es heute in den seltensten Fällen. ... Gegenüber privatisierter Gewalt ist das Militär bislang so hilflos wie die Pazifisten. ... Den 'Krieg', der hier zu führen wäre, haben die Militärs nicht gelernt. Nichts ist ihnen mehr zuwider als die Bekämpfung von Banden, die überall und nirgens zu lokalisieren, deren Ziele unklar, deren Methoden unberechenbar sind. ... [Und] was tut der Pazifist, wenn eine Gewalt sich ausbreitet, für deren Zähmung eigentlich gar nicht das Militär, sondern die Polizei zuständig ist? Welcher Pazifist fordert die Abschaffung der Polizei?"

"Berichte aus Bosnien und dem Kosovo zeigen, daß inzwischen der Respekt der Pazifisten vor den Soldaten wächst und daß die Soldaten froh sind, wenn da ein paar Pazifisten versuchen, den Haß abzubauen. ... Die Soldaten können allenfalls das massenhafte Morden beenden. Die Pazifisten können erst arbeiten, wo die Soldaten eben dies getan haben."

Erhard Eppler: Komplettes Stückwerk. Erfahrungen aus fünfzig Jahren Politik. Überarbeitete und aktualisierte Taschenbuchausgabe, Frankfurt(Main): Suhrkamp 2001, S.303-315 und: Erhard Eppler: Privatisierung der politischen Moral? Frankfurt(Main): Suhrkamp 2000, S.87-94. Neu zusammengesetzt...

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